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Zu „Berichtigungen“ in ZW.Nr. 2-3/2014 5. 97: In ZW Nr. 1/2014, S. 62f., war ein Bericht von Markus Vorzellner über die im März 2013 in Wien stattgefundene Tagung „Eichmann nach Jerusalem. Hintergründe, Be-Deutungen und Folgen des Prozesses“ zu lesen. Darin wird auch auf den Beitrag von Regina Fritz über die Reaktion der kommunistischen Staats- und Parteiführung Ungarns auf die 1960 erfolgte Verhaftung des Hauptverantwortlichen für die Organisation der Ermordung des Großteils des ungarischen Judentums, Adolf Eichmann, hingewiesen. Markus Vorzellner schreibt, dass „von den über 400.000 ungarischen Juden rund 320.000 ermordet worden waren“ (S.62) und erweckt damit den Eindruck, als wäre das die Gesamtzahl der Shoa-Opfer Ungarns gewesen. Dabei hat er Regina Fritz falsch interpretiert, die sich in ihrem Referat auf das Wirken Eichmanns in der ersten Deportationswelle von Mai bis Juli 1944 konzentriert hat, wo innerhalb von acht Wochen mehr als 400.000 Menschen deportiert wurden. Davon wurden unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau 320.000 Jüdinnen und Juden sofort in den Gaskammern getötet. Vorzellner hat diese Opferzahlen übernommen, aber nicht in den korrekten zeitlichen Zusammenhang gestellt. (Regina Fritz hat am 24.9.2014 in einem E-mail an mich dieses Missverständnis von Markus Vorzellner bestätigt, nachdem sie freundlicherweise auch in ihrem Redemanuskript der Tagung Nachschau gehalten hatte.) Leider ist eine wesentlich größere Anzahl ungarischer Jüdinnen und Juden — zum Teil bereits vor der deutschen Besetzung, aber vor allem nach der vorübergehenden Unterbrechung der Deportationen im Sommer 1944 — ermordet worden. Auf diese Tatsache wollte Karl Pfeifer in einem Leserbrief aufmerksam machen, den er am 27.5.2014 der ZW übermittelt hat. Gestützt auf die Forschungen des Historikers Läszlö Varga stellte Karl Pfeifer dabei richtig, dass der Shoa in Ungarn mindestens 550.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Die folgende Ausgabe der ZW Nr.2-3/2014 hat den Leserbrief Karl Pfeifers nicht abgedruckt, sondern lediglich in einem redaktionellen Beitrag (auf S.97) kommentiert und dabei Karl Pfeifer besserwisserisch — aber dennoch falsch — entgegengehalten, dass sich die von Vorzellner genannten Opferzahlen „offenbar“ auf das Ungarn in den Grenzen des Friedensvertrages von Trianon beziehen. Auf den Fehler Vorzellners hingewiesen zu werden und diesem noch einen weiteren hinzuzufügen, ist für eine verdienstvolle Zeitschrift mit den Ansprüchen der ZW äußerst peinlich. Die monströsen Dimensionen der Shoa verlangen einen sorgfältigen Umgang mit den Fakten. Außerdem ist es unfair und verletzt die Regeln einer demokratischen Diskussionskultur, einen Leserbrief nicht zu veröffentlichen, ihn aber trotzdem zu kommentieren. Karl Pfeifer ist nicht nur in Ungarn knapp der Shoa entkommen, sondern tritt auch seit seiner Jugend engagiert und unermüdlich für dieselben Werte ein, denen 78 ZWISCHENWELT sich die Theodor Kramer Gesellschaft und die ZW ebenso verpflichtet fühlen. Ich hoffe auf eine deutliche Geste des Bedauerns und eine persönliche Entschuldigung bei Karl Pfeifer. Heimo Gruber, Wien, 29. September 2014 Der Leserbrief Karl Pfeifers vom 27. Mai 2014 lautete: Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, in diesem Artikel fand ich zwei Fehler, die in einer Zeitschrift, die der Kultur des Exils und des Widerstands gewidmet ist, als besonders krass auffallen. Laut Autor hätte Regina Fritz behauptet, die ungarische Regierung mußte auf den EichmannProzeß reagieren, „da von den über 400.000 ungarischen Juden, rund 320.000 ermordet worden waren.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass die seriöse Historikerin Regina Fritz derartig falsche Zahlen angegeben hätte. Der ungarische Historiker Läszlö Varga schrieb: „Der Holocaust in Ungarn forderte also mindestens 550.000 jüdische Tote.“ (Dimension des Völkermords, Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, 1991, S. 351). Es ist auch mehr als schlampig einen ehemaligen SS-Obersturmführer (Egon Schönpflug) lediglich als „SS-Offizier“ zu bezeichnen. Mit freundlichen Grüßen Karl Pfeifer Im ZW-Schwerpunktheft „Exil in Ungarn“ (Nr. 2-3, März 2007) werden im Editorial und in den Beiträgen von Rene Geoffroy, Jonny Moser, Siglinde Bolbecher die wohl annähernd richtigen Zahlen der jüdischen Opfer angegeben, bezogen auf jenes Groß-Ungarn, das durch die Annexionen der Südsowakei, der Karpato-Ukraine, des nödlichen Siebenbürgen, des Murzipfels und der Batschka 1938-1941 entstanden war. Von 725.007 Jüdinnen und Juden fielen 564.500 den Verfolgungen und dem NS-Massenmord zum Opfer. Von ‚jenen 725.000 lebten etwa 325.000 in den ab November 1938 völkerrechtswidrig annektierten Gebieten. Da die jüdische Bevölkerung Ungarns in den Grenzen des Friedensvertrages von Trianon 1938 noch etwa 400.000 Personen umfaßte, schien die von M. Vorzellner angegebene Opferzahl von 320.000 im Zusammenhang einer von der ungarischen Regierung erwogenen Demarche durchaus ‚plausibel. (Allerdins bleiben dabei an die 100.000 Personen, die aufgrund der ungarischen „Judengesetze“ 1938 bzw. 1939 ebenfalls als Juden galten, unberücksichtigt.) In jenem ZW-Heft wird auch die Anzahl der im Mai-Juli 1944 nach Auschwitz Deportierten mit 434.851 angegeben. Es waren uns also die Ausmaße der Shoa auf ungarischem Gebiet sehr wohl bewuft. Da wir ausschlossen, daß die Historikerin Regina Fritz sich geirrt hatte, interpretierten wir M. Vorzellners Bericht in dem Sinne, wie wir es in den „Berichtigungen“ getan haben, was ein Mißverständnis war, welches durch Karl Pfeifers Hinweis auf die Gesamtzahl der Opfer auch nicht ausgeräumt gewesen wäre. Bleibt mir persönlich die Aufgabe, Karl Pfeifer für die Überheblichkeit, mit der ich seinen berechtigten Einwand zurückwies, um Entschuldigung zu bitten. Ich hätte noch einmal nachfragen müssen. — K.K. Elazar Benyoötz Ein Wort aus Jerusalem Brief an Riccarda Tourou Liebe Riccarda, ich machte einen kleinen Abstecher nach Jerusalem, um wenigstens gedanklich meine Bücherwelt vor einem eventuellen Raketen-Ruin zu schützen, das war nun die passende Gelegenheit, die Zeit mit Veronika Seyrs Forellenschlachten zu verbringen. Literarisch — beachtlich, menschlich noch mehr. Ob das stimmt? Die Form des Buches mit seinen Nebenformen hat in sich Möglichkeiten, die für die Literatur noch fruchtbarer gemacht werden könnten. Mir waren diese besonders erfreulich, Veronika Seyr sieht und kann so vieles- und alles mühelos, aus ihrer natürlichen Gediegenheit. Sie hat immer ihr Niveau, auch wo sie ihre Ausdrücke nicht wählt. Freilich verlangt das große Buch seine Ausführlichkeit, das müssen Besprechungen besorgen, sie tun es sicher auch. Müsste ich dem Buch eine Betrachtung widmen, ich konzentrierte mich auf den 19. Brief mit allen seinen Nachträgen. An diesem Brief ist alles zu sehen (Veronika nicht weniger als Smilja — nebenbei: auch Riccarda), an ihm ist alles zu beweisen, auch die weiterführenden Literaturkniffe. Veronika — sie weiß, was sie will, weiß auch immer, was sie tut oder was zu tun sei, sie braucht die „äußerste Strenge“ nicht, und doch kommt sie ihr zugute. Da merkte ich Deine nachhelfende Hand. Es muss eineschöne Buchgemeinschaft gewesen sein, die Freude darüber steht jain klaren Lettern, istauch zu spüren, und auch die Anerkennung stellt sich nach und nach ein. Hab Dank, liebe Riccarda, und teile mir bitte die Mail der Autorin mit, dass ich auch ihr Dank sagen kann. Schön sind die kleinen Sprachwelten, die sie am Klavier „vom Blatt“ spielt. Das Buch hat seinen musikalischen Schlüssel. Da Veronika Seyr gern und gut schreibt, kann ich mir kaum denken, daß sie nicht weiter schriebe. Herzlich grüßt Dich Dein Elazar Jerusalem, 10. Juli 2014 Elazar Benyoétz lebt in Tel Aviv und Jerusalem. 2010 wurde ihm fiir sein Lebenswerk der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil zuerkannt. Veronika Seyr veröffentlichte 2014 „Forellenschlachten. 33 Briefe aus dem vergessenen Krieg“ im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft. Das Buch wurde von Riccarda Tourou lektoriert.