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zugleich auf das, was er in Österreich wahrnimmt, aber er ist wenig beeinflußt dadurch, wie man in Österreich darüber spricht. Mit dem Englischen wahrt er gewissermaßen seine mentale Unabhängigkeit. Durch das Englische schaut er, was geschieht und getan wird sozusagen von der Seite an, gibt die Perspektive des aus dem Exil Gekommenen nicht auf zugunsten einer trüben Zugehörigkeit. Es ist nicht zu verschweigen: Wie kaum ein anderer hat sich Kuhner stets an der Vergeßlichkeit der Österreicher gestoßen, an ihrer Neigung, sich selbst als Opfer zu betrachten und der Opfer des Nationalsozialismus nur halbherzig zu gedenken, vor allem aber daran, daß man sich mit den katastrophalen Folgen des Nationalsozialismus auf wissenschaftlichem, kulturellem und sozialpsychologischem Gebiet allzu leicht abgefunden hat. Wir wissen, auch darum sind von den 135.000 Vertriebenen nur sehr wenige, jeder oder jede Zwanzigste vielleicht, nach Österreich zurückgekehrt. Und ohne diese wenigen, muß ich heute im Rückblick sagen, hätte in Österreich ein wesentliches Ferment der Kritik, der Dissidenz, des demokratischen Engagements, der intelligenten Lebendigkeit gefehlt. Österreich muß, wie schon oft festgestellt, den Zurückgekehrten unbedingt dankbar sein. Ich bin es jedenfalls aus vielen, nicht zuletzt persönlichen Gründen. Was Kuhner besonders irritiert, ist die künstlerische Verherrlichung des Inhumanen, ob es sich nun um blutige Opferrituale oder um sprachliche Brutalisierung handelt. Seine Invektiven gegen den Wiener Aktionismus und gegen Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Iheater haben wiederum jene irritiert, die in der künstlerischen Avantgarde einen treuen Verbündeten der von ihnen ersehnten, wenn auch nicht näher definierten Modernisierung schen. Für Kuhner hingegen war das 20. Jahrhundert mit seinen Weltkriegen, seinen Lagern, seinen Genoziden keine Schule der Humanität, der Menschlichkeit — und es liegt immer noch als Aufgabe vor uns, uns den Idealen der Humanität wenigstens anzunähern. Da aber Kuhner kein Prophet ist, der die Gesetzestafeln bringt, sondern ein Dichter, verweist er uns durch seine kritisch sondernde Poesie darauf, die Maßstäbe gegenwärtiger und künftiger Humanität aus unserer Erfahrung, unserer Kenntnis, unserem eigenen Urteil zu entwickeln. Eine Welt der Gewaltfreiheit, die dennoch nicht bloß idyllisch, vielmehr reich an innerer Spannung ist, hat Kuhner indes in der österreichischen, slowenischen, kroatischen Lyrik der Gegenwart gefunden - in literarischen Landstrichen, in denen Historisches sehr wohl als Verbindendes weiterlebt. Er hat aus diesen Literaturen ausgewählt, in Verein mit Freunden wie Lev Detela übersetzt und in mehreren Anthologien herausgegeben. Mir scheint, Kuhner besitzt die Fähigkeit, sich ganz vorbehaltlos dem Klang, der inneren Stimmigkeit, der Durchwärmtheit seines Gedichtes zu überlassen und das Übersetzen desselben dann freudvoll zu genießen. Obwohl das ja auch eine Arbeit ist. Für die Theodor Kramer Gesellschaft wurde Herbert Kuhner durch seine Anthologien und Übersetzungen auch als Entdecker bedeutsam, der uns auf AutorInnen hinwies, die sonst unserer Aufmerksamkeit entgangen wären — so erwa auf’ Tamar Radzyner, eine Überlebende von Auschwitz, die zuerst auf Polnisch schrieb, che sie, vor dem neuen Antisemitismus in Polen üchtend, ausgerechnet 14 ZWISCHENWELT nach Wien kam und Lieder, Gedichte und Szenen auf Deutsch zu verfassen begann. Unter anderen hat kein Geringerer als Georg Kreisler sie vertont. Gedichte Radzyners und Stella Rotenbergs — der 2013 verstorbenen ersten Theodor Kramer-Preisträgerin — hat Kuhner ins Englische übertragen. Rotenbergs Gedichte liegen jain einer repräsentativen Sammlung seit 2003 vor, Tamar Radzyners Gedichte werden wir im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft in einem Band der Reihe „Nadelstiche“ herausbringen. Eine literarische Tat Kuhners war auch die von ihm maßgeblich mitbetreute Anthologie moderner jüdischer Lyrik aus Österreich, „Wären die Wände zwischen uns aus Glas“ (1992) — der Titel ist einem Gedicht Willy Verkauf-Verlons entnommen, der von 1987 bis zu seinem überraschenden Tod 1994 Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft war. Nicht um jüdische Gedichte der Zwischenkriegszeit oder des Exils handelte es sich da, sondern um solche der Gegenwart! Umgekehrt lichen sich die HerausgeberInnen bei Harry den Titel für die große Anthologie österreichischer Exil- und Widerstandsdichtung, „In welcher Sprache träumen Sie?“, in der natürlich auch Gedichte Herbert Kuhners zu lesen sind. Leider sind etliche Bücher Kuhners derzeit vergriffen. Nicht lieferbar sind ein englischsprachiger Roman, „Nixe“, der Gedichtband „Liebe zu Österreich“ (ein satirisch gemeinter Titel!), seine „Memoiren eines Neununddreißigers“: „Der Ausschluß“ (1988). Was heute auf dem Büchertisch liegt, ist eine Sammlung von Kuhners Kurzprosa, „Minki die Nazikatze und die andere Seite“, und, frisch aus der Druckerpresse, der zweisprachige Gedichtband „Smoke and Fire / Rauch und Feuer“ - er ist erschienen im Wiener PROverbis Verlag, wo ab 2015 in Zusammenarbeit mit der ‘Theodor Kramer Gesellschaft noch eine Reihe übersetzerischer und literarischer Arbeiten Kuhners herauskommen werden. Unter ihnen ein Band Jazz-Gedichte - der seine Entstehung wohl Harrys Jazz-Leidenschaft und seiner Mitwirkung an der No-Nonsense Band, die heute für uns musiziert, verdankt. Lieber Harry, lieber Herbert, ich schließe mit der Jury-Begründung für den Theodor Kramer Preis: „In seinen Prosastücken, Erinnerungen, Gedichten, Polemiken sucht Herbert Kuhner Verständigung, nicht Versöhnung. Seine Perspektive bleibt die des aus dem Exil Zurückgekehrten, dem das Leben in Österreich nicht einfach selbstverstindlich ist. Er sieht Kontinuitäten, wo andere Neues erwacht glauben, Kontinuitäten des routinierten Umgangs mit geschehenem Unrecht, des fraglosen Weiterspinnens einer Wunsch- und Fantasiewelt, die ihre Realisierung einst in den Krematorien der Konzentrationslager fand. Kuhner ist also ein Aufklärer, aber auch ein Träumer, der eine Gegenwart erhofft, die sich nicht mit den in der Vergangenheit geschaffenen Tatsachen abfindet, die Humanismus nicht für obsolet erklärt, sondern als Aufgabe ansicht. Kuhners Blick erfasst eine erschütterte Wirklichkeit, und es ist nicht seine Sache, sich sogleich wieder ans Flicken des Weltenbaus zu machen. So weist er uns durch seine literarische Arbeit neue Wege unserer Arbeit und Kritik.“ Der Theodor Kramer Preis 2014 wurde gefördert vom Land Niederösterreich, der Kunstsektion des österreichischen Bundeskanzleramtes und von der Stadt Wien. Zu danken ist den Kooperationspartnern Psychosoziales Zentrum ESRA (Wien), Kulturverein Niederhollabrunn, StifierHaus (Linz), Literaturhaus Graz und Literaturhaus Salzburg. Vorwort Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll Niederhollabrunn, Verleihung zum 14. Mal des Theodor Kramer-Preises Als Landeshauptmann von Niederösterreich freue ich mich sehr über die Gelegenheit zu Grußworten anlässlich des diesjährigen Theodor KramerPreises. Der nunmehr bereits zum 14. Mat in Erinnerung an diesen großen Weinviertler vergebene Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil ist eine willkommene Gelegenheit, einmal mehr die Wichtigkeit von Demut gegenüber der Geschichte und des Ankampfens gegen das Verdrangen und Vergessen ins Bewusstsein zu rücken. Die Erinnerung an die Geschichte ist das beste Mittel gegen die Arroganz der Gegenwart und die irrwege in die Zukunft und sie mahnt uns, nie aufzuhören, miteinander zu reden und einander zu respektieren. In dieser Erinnerung an die Geschichte ist heuer, 100 Jahre nach Beginn des Ersten bzw. 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, ein besonderes Gedenkjahr, das freilich vor allem ein ,Bedenkjahr" sein sollte. Und auch wenn kriegerische Ereignisse auf dem ganzen Erdball, Gewaltherrschaft, Unfreiheit, Folter und Terror dagegen zu sprechen scheinen, leitet sich doch gerade aus dem geschichtlichen Rückblick die Hoffnung ab, dass die Menschheit doch dazulernt. Europa zumindest, davon bin ich überzeugt, hat aus dem Ersten und vollends Zweiten Weltkrieg - spät, für Dutzende Millionen Menschen viel zu spät - seine Lehren gezogen, das Miteinander gesucht und, jedenfalls im Großen, Diktatur, Unterdrückung und Krieg von diesem Kontinent verbannt. Letztlich ist die gesamte europäische Entwicklung eine Konsequenz der beiden Weltkriege. Daher glaube ich persönlich auch nicht daran, dass die Menschen nicht in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen, dass der Menschheit nicht, wie es Karl Kraus formulierte, die Kugel bei einem Ohr hinein- und beim anderen herausgegangen sein wird. Dafür ist allerdings das Bewusstsein entscheidend, dass Friede und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind und jeden Tag aufs Neue erarbeitet werden müssen. Meiner Gratulation an den diesjährigen Preisträger Herbert Harry Kuhner und meinem Dank an die Theodor Kramer Gesellschaft darf ich daher abschließend die Bitte anfügen, dass wir alle nicht darin nachlassen, Demokratie und Menschenwürde hochzuhalten, gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einzutreten und über alle Unterschiede und Grenzen hinweg stets das Miteinander zu suchen. Me frm boll HERBERT KUHNER DER AUSSCHLUSS €» MEMOIREN EINES NEUNUNDDREISSIGERS Herbert Kuhner: Der Ausschluss. Memoiren eines Neununddreißigers. Wien: Edition 39 1988. Lyrik Herbert Kuhner: Liebe zu Österreich. Love of Austria. Lyrik. Poetry. Wien: Verlag der Apfel 1998. Nerbert Kuhner die IT) Herbert Kuhner: Minki die Nazi Katze und die menschliche Seite. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 1998. Herbert Kuhner: Smoke and Fire / Rauch und Feuer. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, PROverbis 2014. April 2015 15