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Die Weitsicht erfolgt nicht und wenn, dann nur lieblos. Und seien wir uns doch mal ehrlich. Dieses Bild, das wird nie fertig. Ich gehe am 1.11.2055 in Pension. Bis dahin werde ich dieses Bild noch oft rausholen. Yasmin Hafedh Textbeispiel Textbeispiel 1: Malte wusste, dass er heute die Frau seines Lebens treffen würde, dass er heute den Mann treffen würde, der ihm den einen Job, den er immer schon haben wollte, verschaffen würde, und er wusste auch, dass er dafür aus dem Haus gehen müsste und jetzt wirklich die letzte Folge „How I met your mother“ schauen würde. Textbeispiel 2: Wie spaltet man ein Atom? Man gibt es einer Frau und sagt, sie soll es nicht kaputt machen. Oder. Wie nennt man das Fettgewebe um die Vagina herum? Frau. Textbeispiel 3: Yasmin Hafedh, 24 Jahre alt, studiert in Wien, ist Rapperin und Poetry Slammerin und wird gefragt, wie es für sie ist, als Frau auf einer Bühne zu stehen. Textbeispiel XX Ich weiß nicht mehr, ob es gestern oder morgen war, ich weiß nur noch, dass ich mal dachte, dass es cooler ist mit den Burschen abzuhängen, weil mich Schminke nicht interessiert hat und ich lieber den Prinz von Bel-Air geschaut hab als Lassie — ich fand Tiere immer irgendwie doof, ich weiß noch, dass ich immer verwundert war, als ich dann doch mit den Mädchen Polly Pocket gespielt hab und mit den kleinen Figuren nur Party spielen wollte, sie aber Märchenprinz findet Prinzessin spielen wollten, und dass die kleinen Figuren nicht auf meinen Spielzeugtraktor gepasst haben und ich das deswegen ch nicht so interessant fand und auf meinem Spielzeugtraktor Ken immer am Beifahrersitz gesessen ist und Barbie gefahren ist, bis mich Tatjana aus der Volksschule darauf aufmerksam gemacht hat, dass Ken fahren sollte, weil sich Barbie die Nägel kaputt machen könnte beim Fahren — true story. Ich weiß nicht mehr, ob es gestern oder morgen war, ich weiß nur noch, dass meine Mutter selbstständig war und mein Vater Geschäftsführer, dass beide gekocht haben und auch beide geputzt haben, obwohl mein Papa durchblicken hat lassen, dass er das nicht so gerne macht, gemacht hat er es aber trotzdem, ich weiß noch, dass ich nach der Scheidung manchmal meiner dann alleinerziehenden Mutter böse war, wenn sie nach einem langen Arbeitstag abends Fernschen wollte, Fernsehen war dumm und ich war dagegen und in der Pubertät, ich weiß noch, als mir letztens ein Freund erzählte, dass er findet, dass seine alleinerziehende Mutter, die zwei Jobs hatte, um ihre zwei Söhne durchzufüttern, einiges falsch gemacht hat, weil man 48 _ ZWISCHENWELT Für jetzt klebe ich Steuererklärungen, Rautetasten und mein I-Phone auf das Bild, stelle es in die Ecke und lasse es dort sein. Denn manche Dinge, die können auch im Versteckten scheinen. als Mutter zuhause bei den Kindern sein sollte. Dass sein Vater aber einfach abgehauen ist und 10 Jahre später wieder aufgekreuzt ist, das hat ihn nicht gestört. Ich weiß nicht mehr, ob es gestern oder morgen war, ich weiß nur noch, dass ich die Frauenquote dumm fand, weil, ganz ehrlich, wenn man etwas erreichen will, dann muss man hart dafür arbeiten, dann schafft man das schon. Dass das ein patriarchalisches Denkmuster ist, hab ich mir nicht gedacht, ich weiß nur noch, dass mir mein Ex-Freund gesagt hat, dass es für ihn manchmal schwierig ist, weil in meiner Arbeit, da arbeite ich mit vielen Männern zusammen und er hat in seiner Abteilung nur eine Frau, also hat er mehr Grund eifersüchtig zu sein. Dass es meine Entscheidung ist, ob ich ihn betrügen möchte oder nicht, und nicht die Entscheidung meiner Arbeitskollegen, daran hat er nicht gedacht, ich weiß nur noch, dass ich den Raum verlasse, sobald ich einen Witz über dicke Frauen auf einer Bühne höre, sobald ich in einer Frage höre, wie es für mich ist als Frau aufeiner Bühne zu stehen, und sobald ich eine Geschichte höre, in der Malte rausgeht, um die Frau seines Lebens zu finden und den Mann zu treffen, der ihm den Job geben kann. Weil in den meisten Fällen interessiert mich nicht, wovon jemand spricht. Denn immer, wenn man etwas sagt, sagt man auch etwas nicht. Und das, ja das interessiert mich. Man kann sich über Randgruppen lustig machen, man kann Frauenwitze machen, man kann Klischees hernehmen, um nichts Neues erfinden zu müssen, man kann das alles aber auch nicht! Ich weiß nicht mehr, ob es gestern oder morgen war, aber ich weiß, dass es mir reicht. Ich weiß, wie lange ich manchmal an einem Text sitze, wieder streiche und während ich schreibe nachdenke, ob man das überhaupt so sagen kann, und vor allem, ob man das überhaupt so denken kann. Ich zerbreche manchmal an Wörtern und an der Welt, denn sprechen und sagen impliziert denken und Taten und das Wissen darum möchte ich mir von allen, aber vor allem von PoetInnen erwarten. Was der Pinsel beim Maler ist, ist doch für uns die Sprache, ist doch Werkzeug, Bindemittel und zugleich Tatsache, dass wir zivilisiert miteinander kommunizieren können. Nur wenn man Vielfalt verliert und durch Sprache Müll reproduziert, dann weiß ich nicht, ob es gestern oder morgen war, ich weiß nur sprechen und sagen impliziert denken und Taten. Das hier ist kein Gendertext, keine Moralkeule oder ein lackierter Zeigefinger, das hier ist ein Text, der ehrlich ist. Und ich weiß nicht mehr, ob es gestern oder morgen war, als ich gefragt worden bin, wie es für mich als Frau ist auf einer Bühne zu stehen. Ich hab zurückgefragt, ob sie einem Mann diese Frage auch stellen würde, sie sagte dann „Na ja, bei denen ist es ja ch klar.“ Sprache konstituiert Denken und eben Gesagtes denke ich nicht. Also sage ich’s nicht. Und in den meisten Fällen interessiert mich nicht, wovon jemand spricht, denn immer, wenn man etwas sagt, sagt man auch etwas nicht. Ich sag Euch, wie es sich anfühlt als Frau aufeiner Bühne zu stehen: Man betritt die Bühne, ist nervös, richtet sich den Mikroständer zurecht Lilith J. Eisen Einbahn Gedichte Verweilend in den Buchstaben... Verweilend in den Buchstaben, zerstreut im Wort, versteckt im Beistrich, auf der Flucht vor dem Satz. Der Satz will mir den Weg versperren, doch T, O und R eilen herbei und schreiben einen Notausgang. Ein Baum, ein Busch, ein Bub ... Ein Baum, ein Busch, ein Bub, sie steckten fest im Gliick, sie wollten wieder hinaus, doch ein Knie war zu viel, um zu stiirzen in das Pech, denn die Chance zu fliehen, lag ganz allein beim Bein. Bestellung Einmal extra Ratlosigkeit mit einer Prise Scham, bitte. Einbahn... Einbahn keine Bahn eine Bahn voran zwei sind dabei. und trägt dann sein Innerstes nach vorne. Im besten Fall hören offene Ohren einem zu und dann geht man wieder. Yasmin Hafedh, geb. 1990 in Wien, ist eine österreichisch-tunesische Rapperin, Poetry-Slam-Veranstalterin, Slampoetin und Autorin. Sie studiert in Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Seit 2010 organisiert sie Poetry-Slams und seit 2011 eine Lesebühne. Hafedh erreichte 2009 als erste Österreicherin den ersten Platz in der Kategorie der Unter-20-Jährigen bei der deutschsprachigen PoetrySlam-Meisterschaft in Düsseldorf‘ 2013 war sie die erste Frau, die die österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften gewinnen konnte. 2013 ist ihr zweites Album „Kein Platz für Zweifel“ erschienen. In ZW Nr. 3-4/2013, S. 27-28, wurde ihr Poetry-Slam-Text „Wo kommst du her?“ publiziert, in der Nr. 2-3/2014, 5. 32-33, die Erzählung „Djerba, anderer Himmel“. Versteckt in der Strecke liegt die Ecke. Verdeckt im Heck, verleiht die Wand dem Gang eine weite Breite. Überhand nimmt die Wand. Die Wand nimmt den Gang auf in ihren Bestand. Der Übergang verliert sich im Sand. Steh auf... Steh auf! Lehn dich an die Sommerbrise! Folge der Devise: Nichts ist noch fertig! Es summt... Es summt die Schwalbe stumm im Sturm. Der Daumen dreht sich mit dem Wind. Die Sprache dimmt geschwind die grelle Wahrheit. April 2015 49