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Georg B. Deutsch Schriftsteller Karl Tschuppik Wenn man heute im Wiener Heiligenstädter Friedhof das Grab Nr. 117 in der Gruppe XIII besucht, kann man dort keinen Hinweis finden, dass dieses Grab neu belegt ist. Bis 1999 befand sich dort die „auf Friedhofszeit“ erworbene letzte Ruhestätte von Karl Tschuppik, unweit vom von der Stadt Wien betreuten Ehrengrab seines Freundes Ödön von Horväth. Seinem eigenen Grab wurde aber nicht nur der Status eines Ehrengrabes vorenthalten, es wurde— trotz der eigentlich unbeschränkten Dauer - wegen Verwahrlosung und fehlender Betreuung vor 16 Jahren aufgelöst. Doch war 1937 die Bestattung des damals prominenten Journalisten, Schriftstellers, Historikers ein größeres Ereignis. Das Begräbnis wurde nicht nur von prominenten Rednern zelebriert, es trug auch ein damals bekannter, mit Tschuppik befreundeter Heurigensänger — dem letztem Wunsch des Heurigenliebhabers Ischuppik entsprechend — mit der Ziehharmonika das Lied „Erst wann’ aus wird sein mit aner Musi und mit’n Wein“ vor. So bekannt der „streitbare Bohemien“ und engagierte Nazigegner der ersten Stunde in Wien und teilweise im gesamten deutschsprachigen Raum vor dem Zweiten Weltkrieg auch war, nach seinem Tod geriet Tschuppik rasch in Vergessenheit und wurde kaum mehr rezipiert. Nur eine einzige umfangreichere Publikation ist in den letzten 70 Jahren über ihn erschienen!, seine Bücher wurden kaum wieder publiziert, erst nach Verstreichen der Autorenrechte wurden einige wenige seiner Werke wieder verlegt’. Karl Tschuppik stammt väterlicherseits aus einer alten österreichischen, deutschböhmischen katholischen Beamten- und Offziersfamilie, seine Mutter war eine tschechische Arzttochter aus Prag. Er wurde 1876 in Böhmen geboren und ist in Leitmeritz und anderen böhmischen Orten, wo sein Vater als leitender Beamter tätig war, aufgewachsen. Seine „Muttersprache“ war Deutsch, er hat sich auch der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe zugehörig gefühlt, verstand aber auch Tschechisch und hatte zeitlebens eine (für Deutschböhmen) auffallend positive Einstellung zum Tschechentum. Ja, er wurde in einem Nachrufim Prager Tagblattsogar als „ein freiwilliger und selbstverständlich unhonorierter Propagandist des tschechischen Volkstums in Wien“ gelobt. Über seine jungen Jahre ist wenig bekannt. Er war offenbar zunächst, alter Familientradition folgend, für eine Offizierslaufbahn bestimmt, was indirekt in seinem autobiographisch gefärbten Roman Ein Sohn aus gutem Hause einen Niederschlag gefunden hat. Doch hat er diese Laufbahn nicht eingeschlagen — seine Militarzeit hat er als Gefreiter bei den k.k. Hoch- und Deutschmeistern verbracht. Er hat auch nicht, wie in Nachrufen fälschlich behauptet wurde, ein technisches Studium an der ETH in Zürich begonnen —da wurde er vermutlich mit seinem Vater verwechselt. 1896 stirbt sein Vater, worauf dieser die Familie offenbar nach Prag übersiedelt. Dort findet er seine Berufung im Journalismus (in dem auch sein jüngerer Bruder Walter eine Karriere macht). Die frühesten bekannten Artikel des 21-Jährigen finden sich in einem Prager Organ der sozialistischen Jugend und bald darauf im Prager Tagblatt. In den folgenden Jahren publiziert Tschuppik in vielen Blättern, u.a. auch in der Wiener Arbeiter-Zeitung, was seine Affinitat zum Sozialismus zeigt. 8 — ZWISCHENWELT 1910 wird der mit 34 Jahren noch relativ junge Tschuppik Chefredakteur beim Prager Tagblatt. Der gute Ruf als liberal-demokratische Qualitätszeitung hat sich unter seiner erfolgreichen Leitung etabliert, und während der sieben Tschuppik-Jahre hat sich die Auflage der Zeitung auch verdoppelt. In seinen zahlreichen Artikeln zeigt Tschuppik schon früh reiche Kenntnis und gute Einfühlung für geschichtliche Zusammenhänge, argumentiert oft recht scharf, lehnt zwar die Monarchie nicht ab, ist aber bei aller Liebe zu Österreich schr kritisch und oppositionell eingestellt; so bekämpft er z.B. die Annexion Bosniens 1908. Die folgenden Kriegsjahre zeigen eine seltsame Phase eines Mannes, der später zurecht als typischer (Alt-)Osterreicher und aufgeklarter Mensch, jeglichem extremen Nationalismus abhold, rezipiert wurde und diese Eigenschaften spater auch selber fiir sich reklamiert hat. Denn in der ersten Zeit des Ersten Weltkrieges erscheinen von ihm zahlreiche sehr wohl propagandistische, nationalistische, hetzerische und auch das „deutsche Wesen“ verherrlichende Leitartikel, was weder mit seiner vorhergehenden noch mit seinem späteren Leben leicht in Einklang gebracht werden kann. Doch ab 1916 werden seine Artikel wieder kritischer undliberaler. Noch während des Krieges, im November 1917, wurde offenbar gerade diese Haltung von dem neuen Eigentümer des Blattes nicht unbedingt geschätzt und Ischuppik wurde, vermutlich aber in erster Linie aus personell-kommerziellen Erwägungen des neuen Blattbesitzers, dem Qualitätsjournalismus kein Anliegen war, als Chefredakteur — gegen den Willen der Belegschaft - abgesetzt. Auf der Suche nach einer Verdienstquelle geht Tschuppik nach Wien und bezieht mit seiner Freundin und späteren Frau, der Prager Jüdin Berta Proskauer, das alte Hotel Bristol, das in den nächsten zwanzig Jahren seine Bleibe in Wien sein wird. In seiner zunächst verzweifelten finanziellen Lage findet er aber — nicht zuletzt auch durch Intervention seines Freundes Stefan Großmann — rasch gute Stellen bei mehreren Wiener Blättern und kann dann doch auch noch weiter als Wiener Korrespondent des Prager Tagblattes fungieren. Er wird leitender Redakteur der zwar kurzlebigen, aber sehr renommierten, eher linken pazifistischen Zeitschrift Der Friede, für die ein beträchtlicher Teil der europäischen Intelligenz als Mitarbeiter gewonnen werden konnte. Teilweise dieselben Personen schreiben auch für die ebenfalls kurzlebige Tageszeitung Der Neue Tag, deren Chef vom Dienst Tschuppik wird. Dort trifft er erstmals auf Joseph Roth, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Hermann Kesten, der in seinem Roman Die Zwillinge von Nürnberg Tschuppik unter dem Namen Wunder porträtiert, beschreibt die beiden, wobei er Joseph Roth unter seinem eigenen Namen auftreten lässt, folgendermaßen: Beide Wiener Dichter, Wunder und Roth, glichen einander bis zu einem gewissen Grad, sie hatten diesselben [sic.: dieselben] gelblich zerkauten Schnurrbärte, dasselbe betrunkene schwimmende Glitzern in den blauen Augen, dieselben großen Grundsätze im edlen Herzen, dasselbe gute menschenfreundliche Lächeln und Handeln, dasselbe ‚poetische Feuer, einen ähnlichen ätzenden Witz, die gleichen viel zu dünnen Beine in zu engen Hosen, dieselben dünnen blonden Haare, das gleiche gütige Fuchsgesicht, dieselbe trunkene Weisheit. Aber Wunder war um zwanzig Jahre älter, und das Alter hatte seine Maske so überecht gemacht, daß sie schon theatralisch wirkte.