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Lebensgewohnheiten; natürlich, normal war er schon damals, eben was man heutzutage normal nennt. Odipus war ein Narr, sich zu blenden, blödsinnige Geschichte das, Vatermord und Mutterbeischlaf, wer kann dafür, das Schicksal wollte es, nichts zu machen, Schuldgefühl. Larifari! und das Gewissen — was ist das?! Schuld und Gewissen wurden auf den Bühnen der Nachkriegszeit durchaus thematisiert, nicht nur — wie es den Konventionen entsprach — mit den Inszenierungen alter Stücke, sondern auch durch die Aufführung von Dramen des Exils. Ab 1948 kam jedoch das Thema Nationalsozialismus in den großen Theatern kaum mehr vor, und eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschehenen durchzog viele der pathetischen oder fröhlichen Unternehmungen. Das Thema Schuld existierte allerdings in verwandelter Form weiter: Als unverbindlicher Moralismus, der sich auf gute oder schlechte Eigenschaften der Figuren sowie eben auf deren Gewissen bezog. Dieser Theater-Moralismus hatte davor schon bestanden und entsprach der Selbstberuhigung des Einzelnen in der Gesellschaft. Verstärkt aber war jetzt eine Funktion des Theaters hervorgerufen worden, die sich als moralische Anstalt der Entsühnung bezeichnen lässt. Dieser Lage verdanken die Stücke Fritz Hochwälders auch ihre Erfolge. Dabei findet sich doch in seinen Dramen der beunruhigende Zusammenhang zwischen persönlicher Haltung und Handeln gestaltet, ebenso der Widerspruch zwischen beiden, oder die Zwangslage, in der die Eindeutigkeit der Moral in Frage gestellt ist. Damit nahm der Dramatiker eine konträre Position zu jenem Moralismus ein, der den Einzelnen von den Folgen seines Handelns freisprach. Durch die schematischen dramaturgischen Konstruktionen entfernte Hochwälder sich zwar von den aktuellen Verhältnissen, konnte jedoch den Dialog stärker mit dem Agieren der Individuen verknüpfen. Die zeitweilige Wahl historischer Stoffe war nach Ansicht des Dramatikers kein Ausweichen, sondern sollte dazu beitragen, dem Geschehen Allgemeingültigkeit zu verleihen, was sich besonders an den Stücken „Meier Helmbrecht“, „Der öffentliche Ankläger“ und „Donadieu“ erkennen lässt, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt in Wien erfolgreich aufgeführt wurden. „Die Ansiedlung eines Problems in eine[m] geschichtlichen Raum“, schrieb Hochwälder, „objektiviert und steigert zugleich die Aussage, welche im Gewand der Gegenwart leicht Gefahr läuft, zu Kolportage und Leitartikel zu werden.“ Analogien der Schuld In einem Mittelalter mit Analogien zur Gegenwart spielt das Schauspiel „Meier Helmbrecht“, das 1947 am Theater in der Josefstadt uraufgeführt wurde, und dessen Stoff der Versnovelle von Wernher dem Gärtner entnommen ist. Die holzschnittartigen Figuren wirken, trotz ihrer ausgestellten Leidenschaften, nahezu wie Gegenstände, die vom dramatischen Handwerker durch das Geschehen geschoben werden. Vor allem repräsentieren sie Varianten von Schuld: Die Schuld des Sohnes entspringt seiner Hybris, die ihn, den Bauernsohn, zum Raubritter werden lässt, der — „Schlingdasland“ genannt — mordend und plündernd durch das Land zieht. Die Schuld des Vaters, Meier Helmbrecht, besteht darin, dass er dem Treiben des Sohnes lange zugesehen und ihn nicht aufgehalten hat. Er begeht also selbst keine Verbrechen, sondern hat sie nur nicht verhindert. Das Thema der Schuld ist hier innerhalb einer Familie aufgespalten, und zwar in den Massenmörder und in denjenigen, der diesen nicht aufhält. Der ganze letzte Akt ist dem Schöffengericht gewidmet, das „den gefesselten und in Lumpen gehüllten Meier Helmbrecht“”? schuldig spricht. Meier Helmbrecht, jene Figur, in die einzufühlen die ZuschauerInnen veranlasst werden, sträubt sich dabei zunächst, seine Schuld einzugestehen, bekennt sich aber schließlich dazu und beginnt, seinen niedergebrannten Hof wieder aufzubauen.”* Mit diesem Wiederaufbau endet das Stück versöhnlich, aber das Bewusstsein eigener Schuld, mit der die Bühnenfigur Helmbrecht ans Werk geht, widerstrebt doch der realen Ideologie des Wiederaufbaus, die auf die Leugnung von Schuld gerichtet war. Keine Versöhnung gibt es für den Sohn Schlingdasland, der als Abbild Hitlers gedeutet wurde. Er darf am Aufbau des Hofes nicht teilnehmen, sein letzter Auftritt zeigt ihn, wie er als blinder Bettler durchs Land tappt. Das Stück wurde ebenso als eines „der wenigen gültigen Zeitstücke“” gepriesen wie für die problematischen Analogiebildungen kritisiert.”° Aus der Spiegelung der Gegenwart mit Hilfe einer altertiimlichen Welt konnte Entschiedenheit und Ausflucht gleichermaßen herausgedeutet werden. Konflikte der Schuld Mit seinem Schauspiel „Donadieu“, das 1953 vom Burgtheater uraufgeführt wurde, weitete Hochwälder das Ihema der Schuld aus und stellte die Frage nach Vergeltung. Das Stück, dessen Stoff der Ballade „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdinand Meyer entnommen ist, spielt in Südfrankreich in einer Juninacht des Jahres 1629. Hochwälder hatte erneut einschlägige Literatur studiert und dazu noch zahlreiche Passagen aus dem Alten und Neuen Testament exzerpiert, die der Autor dann vornehmlich seinen hugenottischen Protagonisten Donadieu zitieren läßt.”” Du Bosc, ein französischer Edelmann, Beauftragter des katholischen Königs, sucht fieberkrank mit seinem Kameraden Lavalette in einer Festung der französischen Protestanten, der Hugenotten, Schutz. Dort erkennen ihn die Tochter des Schlossbesitzers Donadieu, Judith, und die Wirtschafterin Barbe als jenen Mann, der die Frau von Donadieu vor Jahren getötet hat. Als Ergebnis der so klar konstruierten und vom Gehalt her doch so verworrenen Konflikte, die auch zeigen sollen, dass Verbrechen auf beiden Seiten — auf katholischer und protestantisch-calvinistischer — geübt wurden, verzichtet Donadieu auf Rache. Der Katholik Lavalette jedoch tötet am Ende des Stückes seinen verbrecherischen Kameraden. Hochwälder selbst war es dabei wohl weniger um die Relativierung von Schuld als um ihre Darstellung im konsequent durchgehaltenen dramatischen Konflikt gegangen, der eine Auflösung verlangt. Die dramatische Dialektik von Schuld, die der Autor hier mit einem historischen Stoff konstruierte, stieß jedoch auf die zeitgenössische Schuldfrage, die damals auf die unmittelbare Vergangenheit, also auf das NS-Regime, bezogen werden musste und fern dieser historischen Dialektik stand. Dem Regisseur Adolf Rott blieben solche Fragen aber ohnehin fremd, ihm galten Geschichte und Gegenwart in einem anderen Sinne als gleich, nämlich als Stoff für Effekt und Erfolg. Als Botschaft für die Identsetzung von Historie und Gegenwart im Geiste einer Versöhnung wirkte, dass die Figur des verzeihenden Donadieu von Ernst Deutsch gespielt wurde. Der jüdische Schauspieler und zurückgekehrte Exilant Ernst Deutsch war nach 1945 mit der Rolle des Nathan zum Symbol dieser Versöhnung, die in Versöhnlichkeit mündete, geworden. Edwin Rollett, der unter dem NS-Regime Häftling im Konzentrationslager Flossenbürg gewesen war, schrieb als Iheaterkritiker angesichts der „vom Autor mit Bedacht und Absicht eingefügten Aktualisierungen“ von „politischem Zwielicht“ September 2015 35