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und kritisierte den „Irugschluss, daß jeder Kriegsverbrecher deshalb entschuldbar sei, weil es auf der anderen Seite auch welche gegeben hat.“”® Lob jedoch bekam der theatrale Verzicht auf „Rache“ von anderer Seite, die von der Geschichte sprach, aber die Gegenwart meinte. In seiner Besprechung lieferte Heinz Kindermann eine Interpretation, die in ihrer Aufrechnung von Schuld auch ihn selbst entlasten sollte: „Die Schuldigen also finden sich immer in beiden Lagern, will uns Hochwälder in diesem Problemstück um Gerechtigkeit und um das moralische Recht des Strafvollzugs sagen.“ Realität der Gegenwart Als strikter Verfechter der dramatischen Form konnte Fritz Hochwälder sogar als Pionier von literarischen Richtungen wirken, die später etwa unter den Begriffen „politisches Volkstheater“ oder „Dokumentartheater“ rubriziert wurden.” Das zeigt sich verstärkt an den Stücken „Der Himbeerpflücker“ und „Der Befehl“, die Hochwälder in den 1960er Jahren schrieb und die er in der Gegenwart spielen ließ. Umfassend ist in der Komödie „Der Himbeerpflücker“ — die übrigens nicht am Burgtheater aufgeführt wurde — die Schuld der Honoratioren des Dorfes „Brauning“ durch ihr Verhalten während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Sie, die nach allgemeiner Konvention als anständig gelten, werden im Stück letztlich als die eigentlichen Verbrecher kenntlich. Der kleine Gauner mit seinen Eigentumsdelikten hingegen bleibt demgegenüber geradezu integer, zumal er vom Verhalten der honorigen Herren abgestoßen ist. Als thematische Grundlage des Stückes gab Hochwälder unverhohlen „die unbekümmert fröhliche Urständ feiernde Nazigesinnung in der Zweiten Republik“ an. Der Schwank, die Posse benötigen keinen ausbalancierten Konflikt, und wenn Hochwälder den in Bedrängnis geratenen Wirt, ehemaligen „Ortsgruppenleiter“ und jetzigen Bürgermeister Konrad Steisshäuptl, der seinen Wohlstand mit dem Zahngold ermordeter Juden begründet hat, rufen lässt: „Die andern haben auch gemordet, die Bomben, war das nichts?“? — dann ist damit jegliche Relativierung von Schuld entlarvt. Hugo E Koenigsgarten, Autor der Kleinkunstbühne „Der liebe Augustin“, später Lehrer für Theatergeschichte und Regisseur in Oxford, der 1933 vor den Nationalsozialisten von Deutschland nach Wien und dann nach der Annexion ins Exil nach Großbritannien geflohen war, besuchte 1968 in der Österreichischen Botschaft in London eine Präsentation des von Erich Neuberg (mit Helmut Qualtinger in der Rolle des Steisshauptl) inszenierten Fernsehspiels, iiber das er Hochwailder begeistert schrieb.** Er kannte das Stiick vom Lesen und hatte sich dazu bereits 1965 in einem Brief an den Autor geäußert: „Ich bin froh, dass Sie vom Allegorischen und Abstrakten zu dem zurückgekehrt sind, was Ihre Stärke ist: die pralle Wirklichkeit — mit einem tieferen Sinn.“ Theodor W. Adorno, dem bekanntlich Beckett mit seiner Komik in der Abstraktion die ästhetische Norm war, verfasste zum „Himbeerpflücker“ für das Programmheft des Zürcher Schauspielhauses einen kleinen Aufsatz und schickte diesen vorab an Fritz Hochwälder, dessen Dramen ihm sonst denkbar fern sein mussten. Adorno, der das Stück und nicht das Fernsehspiel vor Augen hatte, sah die Gefahr, dass sich die Zuschauer am Ende mit dem um keine List verlegenen Protagonisten Konrad Steisshäupd identifizieren und versucht sind, „die Gleichung, daß der Prachtkerl der Hauptschuft ist, umzukehren und den Hauptschuft für einen Prachtkerl zu halten.“ 36 ZWISCHENWELT Die Mittel der Komödie mögen hier eine Identifikation mit dem Protagonisten blockiert haben, die mögliche Einfühlung in einen Schuldigen - bis hin zu Relativierung, Bewunderung und eben Identifikation — konnte allerdings zu einer wesentlichen Problematik bei der szenischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus werden. Diese trat wohl mehr noch bei Hochwälders Schauspiel „Der Befehl“ auf, in dem sich Tragödie mit satirischem Volksstück mischt, wobei der Autor auch hier erneut reale Zusammenhänge und Voraussetzungen recherchiert hatte.” Wieder geht es um eine „Ödipus“-Konstruktion: Ein österreichischer Polizeibeamter, Franz Mittermeyer, hat als Angehöriger der deutschen Feldpolizei 1942 im besetzten Holland anlässlich einer Razzia gegen Widerstandskämpfer ein Mädchen getötet; nun nach Jahrzehnten bekommt er den Auftrag, dieses Verbrechen zu untersuchen und muss rasch erkennen, dass er selbst der Schuldige ist. Der Ermittler, der seine eigene Schuld als NS-Verbrecher untersucht und schließlich selbst in den Tod geht, indem er sich von einem Gangster erschießen lässt, ist in den szenischen Begegnungen mit ehemaligen ‚Kameraden‘ - die in ihrer Leugnung und Verharmlosung des Geschehens vom Autor satirisch entlarvt werden - als Typus zugleich herausgehoben und zurückgenommen. Er wird zum einzig Anständigen in einer Welt der Verbrecher, eine Konstruktion, die in der Rezeption dann zur Endastung der vielen Schuldigen führen konnte, die sich mit der konstruierten Figur des ehrlichen Mörders identifizieren durften. Hugo E Koenigsgarten konstatierte einen Zusammenhang des „Befehls“ mit dem „Himbeerpflücker“: „gleichsam die Tragödie zur Komödie.“ Auf die Metamorphose vom Aufschen erregenden Fernsehspiel (1967) zum Burgtheaterstück von 1968 kann ich hier nicht eingehen. Hochwälder selbst sprach von der „Tragödie des kleinen Befehlsempfängers“°*, und das Mitleid, das die ZuseherInnen mit dem Protagonisten fühlen konnten, war nun eigentlich das Mitleid mit sich selbst, gewiss ohne die Furcht, für das Geschehene persönliche Konsequenzen tragen zu müssen. Die Besetzung der Rolle mit Erich Auer, der häufig chrliche und gewissenhafte Figuren spielte, wird bei der Burgtheater-Inszenierung den Effekt verstärkt haben. Komik und Dämonie Aber ich kehre in jene Nachkriegsperiode zurück, um die es hier vornehmlich geht: Zeitlich zwischen „Meier Helmbrecht“ und „Donadieu“ liegt die Entstehung des 1949 vom Burgtheater aufgeführten Schauspiels „Der öffentliche Ankläger“. Es wurde für einige Jahre das — nach dem „Heiligen Experiment“ — international vermutlich am meisten beachtete Stück Hochwälders.?” Das dreiaktige Drama spielt nach dem 9. Thermidor, also nach dem Sturz Robespierres, im Amtsraum des „öffentlichen Anklägers“. Dieser — Fouquier-Tinville — ist der Protagonist, um dessen Sturz es nunmehr geht. Eine Anklageschrift ist von Theresia Tallien mit Hilfe ihres Mannes Jean-Lambert Tallien - die historischen Figuren sind vom Autor wie immer frei gestaltet - lanciert worden, nur der Name des zu Verurteilenden ist noch nicht eingefügt. Nunmehr waltet der „öffentliche Ankläger“ seines Amtes, sammelt durch Erpressung Zeugen und Indizien gegen den anonymen Angeklagten, um sich schließlich unwissentlich selbst im Prozess zu Fall zu bringen. Angst ist die Grundstimmung des Stückes, Angst vor dem Terror, vor Fouquier, der sich lange Zeit als einziger sicher wähnt, Angst zwischen den Menschen, die einander verdächtigen, auch nachdem Fouquier dem Scharfrichter übergeben wurde.“