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Der Rückgriff auf die Konstruktion des Sophokleischen „Ödipus“ wurde vom Autor zugleich negativ gewendet, denn Fougier ist nicht ein tragisch schuldig Gewordener, der aus eigenem Entschluss ahnungslos nach der Wahrheit sucht und auf seine Schuld stößt, sondern ein mechanisch agierender Bürokrat, der jeden anklagt, den er anzuklagen hat, sich dabei der Lüge und Fälschung bedient, bis er schließlich in seinem eigenen Netz gefangen ist. Fouquier erlebt auch keine ethischen Konflikte, von denen viele Gestalten Hochwälders bewegt sind. Hier berührt diese Figur sich mit den sonst gänzlich anders gestalteten Opportunisten des modernen Dramas, aber auch den Hanswurst-Figuren der Wiener Volksstücke, die ganz den Anforderungen des Moments sowie des eigenen Vorteils leben. Bei seinen Vorarbeiten zum Stück exzerpierte Hochwälder aus Werken über die französische Revolution und las Stefan Zweigs Romanbiographie „Joseph Fouch£. Bildnis eines politischen Menschen“ von 1929, in der auch Fouquier-Tinville erwähnt wird.“ Wie ein dunkles Vorbild mag dieses Buch auf Hochwälder gewirkt haben, als er am „Öffentlichen Ankläger“ arbeitete. Auch wenn das Stück ganz anders konzipiert ist, sein Thema vom Menschen ohne Gewissen hat Hochwälder im Roman von Stefan Zweig bereits dargestellt gefunden. Wenn in Romanen und Dramen des Exils die Französische Revolution behandelt wurde, dann aber oftmals, um deren Ideale wie Freiheit und Gleichheit der Menschen zu thematisieren und der Inhumanität des Nationalsozialismus entgegenzuhalten. Ein optimistischer Zug konnte diese Darstellungen durchziehen, zumindest die Hoffnung, mit den Waffen des Geistes, die mit Aufklärung und Demokratie identifiziert wurden, zur Beförderung einer besseren Gesellschaft beitragen zu können. Hochwälder jedoch nahm pessimistisch den Endpunkt der Französischen Revolution zum Ausgangspunkt des Stückes und gestaltete eine Situation, die keinen Ausweg mehr zu bieten scheint. Das wurde in den Zeitungen der Kommunisten heftig kritisiert, die zuvor sein Werk freundlich besprochen hatten.“ Ein wesentlicher Grund für die Ablehnung blieb dabei ungenannt, nämlich dass sich die dramatische Analogie nicht nur auf das NS-Regime, sondern auch auf den sowjetischen Bereich beziehen ließ. Arthur Koestlers Roman „Sonnenfinsternis“, der die Moskauer Prozesse der Jahre 1936 bis 1938 reflektiert, hatte Hochwälder in dieser Hinsicht beeindruckt und „Der öffentliche Ankläger“ ist davon beeinflusst: „Wenn der Ankläger nur ein Viertel so gut wird wie der Koestlersche Roman, dann kann ich mir sämtliche Finger abschlecken!““> In Werken des Exils, bei denen ein positiver Bezug zur Französischen Revolution hergestellt wurde, finden sich öfter Mittel des Komischen verwendet; der epochale Stoff konnte in die überschaubaren Genres des Unterhaltungsromans oder der Boulevard-Komödie gebracht werden. Lion Feuchtwanger und Ferdinand Bruckner etwa relativierten den historischen Heroismus durch Ironie, ohne den aufklärerischen Impetus zu verlieren. Dabei wurde die eigentliche Periode der Revolution meist ausgespart, das Geschehen spielte etwa am Vorabend der Revolution oder bereits zur Zeit Napoleons, der dann als Verräter der revolutionären Ideale dargestellt wurde. Als Hochwälder Oskar Jellinek eine frühe Fassung seines „Öffentlichen Anklägers“ nach Los Angeles schickte, schlug dieser dem Dramatiker vor, das Stück doch als „Komödie“ zu bezeichnen. Jellinek hat die komischen Dimensionen erkannt, vor allem aber wollte er bei den ZuschauerInnen ein etwaiges ,,Erschauern“ über den Sturz des Verbrechers durch das Mittel der „Ironisierung“ verhindert wissen.“ Das entsprach in manchem der Sicht Hochwälders auf sein eigenes Stück, das er zunächst als „Justizkomödie“, später als „Leufelskomödie“ bezeichnete.** Hochwälder wählte schließlich die neutrale Bezeichnung „Schauspiel“, und unter dieser wurde es auch am Burgtheater (im Ronacher) aufgeführt. Adolf Rott war wieder der Regisseur, in der Fassung, die er spielen ließ, waren viele Bezüge zum geschichtlichen Geschehen sowie zahlreiche Erwähnungen von Revolutionären gestrichen worden.“ Rott wollte rasch und ohne Umwege durch den Abend kommen, Tempo und Temperament waren die immer gleichen Maximen seiner Regiearbeit. Hochwälder hatte daran gedacht, dass Fritz Kortner oder Gustaf Gründgens die Rolle des Fouquier spielen könnten”, in der Burgtheater-Inszenierung wurde sie dann mit Werner Krauß besetzt, dem exponierten Parteigänger der Nationalsozialisten, der nach 1945 von eigener Schuld nichts wissen wollte. Die Beschreibungen legen nahe, dass vor allem ein Virtuosenstück des Werner Krauß zu sehen war, der die Rolle nützte, um alle Register seiner Schauspielkunst vorzuführen. Wurden in Kritiken auch Analogien zu Nationalsozialismus und Gestapo“ gezogen, so erzeugte die Darstellung doch wohl weniger Distanz zum Verbrecher als Bewunderung für den Schauspieler — und irgendwie erstreckte sich diese schließlich auch auf die Figur selbst. Vom „drohende[n] Gehirngiganten“ war etwa die Rede, der „kalt wie ein erloschener, erstarrter Vulkan““ sei. In gewisser Weise spielt das Dämonische im Stück natürlich eine Rolle. Hochwälder selbst hatte die Konzeption seines Schauspiels ursprünglich so skizziert: „In seiner Form muss dieses Stück der unbarmherzig-kaltblütig-bürokratischen Guillotinebestie adäquat sein, das ist das Kunststückerl ...“°° Aber das Gefährliche war dann im Schauspiel mit dem Lächerlichen verknüpft und ins Kriminalstück gebracht worden. Bei der Burgtheater-Inszenierung konnte offenkundig mehr ein dämonischer Machtmensch und weniger die gefährliche Lächerlichkeit des gegen sich selbst ermittelnden Bürokraten erlebt werden. Werner Krauß jedenfalls war geübt in bühnenhafter Dämonie. Diese hatte mit den wechselnden politischen Bedingungen ihre Bedeutung gewandelt, ohne dass der Schauspieler seine Mittel ändern hätte müssen. Hier nun war der Mensch, der allen dient, zu einer Größe aufgeblasen, die es den Zuschauerlnnen ermöglichte, die Figur zu überhöhen und zugleich von der eigenen Existenz abzuspalten. Ab und zu wurde in den Kritiken auf Werner Krauß’ Biographie angespielt, aber das mündete meist in die Faszination, dass hier einer irgendwie auch sich selbst spielt. Der Mensch ohne Gewissen war für Fritz Hochwälder jedoch kein Anlass zur dramatischen Erhöhung ins Übermenschliche, sondern eine ewige Ihematik, die er in den Niederungen der menschlichen Verhältnisse aufspürte. Auch in Stücken des Autors, bei denen der Verweis auf die Verbrechen der Gegenwart weniger deutlich konstruiert war, widersprach die inszenierte Frage nach der Schuld doch stets vehement der alltäglichen Gleichgültigkeit, die das Einverständnis mit dem Unrecht enthält.’' Darin liegt die eigentliche Konsequenz des Autors, seine Ehrlichkeit, die zugleich häufig etwas von Gefangenschaft in Inhalt und Form erkennen ließ. Das szenische Räderwerk wirkte dabei wie eine unverrückbare Erinnerung an die Gattung Drama inmitten historischer Katastrophen. Aus einer Werkstatt, in der das Handwerk sich nicht zu verändern schien, aber der Blick des darin Arbeitenden auf die Gegenwart gerichtet blieb, kamen die Erfolge des Dramatikers, die dann doch ihre eigene Geschichte hatten. September 2015 37