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richten, uns aufzusparen, möglichst wenig von uns selbst an den Dingen hängen zu lassen, die Lautheit, die unsrer Stimme natürlich wäre, zum Sprechen und Flüstern zu dämpfen, alle Gebärden zu beschränken, alles Heisse und Starke, statt es als Leidenschaft und Maßlosigkeit aus uns fließen zu lassen, immer in uns zu halten und schließlich nur mehr in Andeutungen zu leben, (...). Mir will scheinen, (...) als wären wir lebenslang Mitspieler in einem Spiele, dessen Sinn und Zweck wir nicht kennen. Wir schelten den einen Toren, der sich nach den Regeln und Gewinsten erkundigt und nennen einen Klugen, wer ohne zu fragen das Gehaben der andern nachahmt und mittut bei dem, was sie treiben — — Das Haus wird leer und öde stehen, wenn ich morgen aus ihm gegangen bin (...). Der Regen mag gegen die verschlossenen Fensterläden schlagen oder die Herbstsonne die (...) Ranken wilden Weines bescheinen. Seine Fenster wollten mir in diesem Jahre nicht glänzen, als ich Einzug hielt, die Türen hatten sich gewöhnt, unfreundlich zu knarren, wenn ein Gast ihre Klinke erfasste und der Rauch aus seinen Schornsteinen schlug nieder und bedrückte mich (...), statt in die Höhe zu steigen. So gehe ich jetzt, um mir in fremderem Lande und unter freieren Himmeln eine andere Heimat zu suchen.* Von ganz anderem Ton sind die Gelegenheitsgedichte und -verse, die Anna Freud ab 1926 schrieb. Zumeist waren das Hundegedichte, die dem Vater anlässlich seines Geburtstags überreicht wurden - signiert mit dem Namen des jeweils im Hause Freud weilenden Vierbeiners. Das erste dieser Art übertrug Anna Freud der Autorschaft ihres Schäferhundes Wolf, den ihr Sigmund Freud 1925 geschenkt hatte. Ein wegen der Ankunft (...) anderer Verwandier Vom Hause Verbannter macht, entgegen seiner sonst lauteren Artung Heut stumm seine Aufwartung. (..) drum bewahr ihm von allem, was nahrhaft am Feste, einen Anteil der Reste. Er empfiehlt sich, trotz allen guten Bissen Vergänglichkeit, in hündisch unwandelbarer Anhänglichkeit.” Traditionellerweise überbrachten die Freud’schen Hunde die Geburtstagsgedichte selbst.” Die poetischen Glückwünsche hatten sie um den Hals gebunden. So ein weiteres Mal Wolf am 6. Mai 1929 zu Sigmund Freuds 73. Geburtstag: In verehrender Ergebenheit— zu sich jährender Begebenheit— erscheint in gewohnter Verzierung — zur Gratulierung- ein schnell zu verwöhnender, — schwer zu versöhnender — sehr sensitive [sic.: sensitiver] Aggressiver. Er möchte in (...) poetischer Gebundenheit — seine Reime und Rythmen |sic.: Rhythmen] — dem Geburtstag widmen. Doch versagt bei den Hunden — wenn sie zu viele Stunden — (...) —sich mit Prosa beschäftigen — Durch des Kopfes Benommenheit — der Dichtkunst Vollkommenheiit. Wolf?" Wie kommt es zu diesem Schwenk in Anna Freuds Schreiben? Warum macht die Dichterin den Hundepoeten Platz? Aus dem Briefwechsel mit Lou Andreas-Salomé geht hervor, dass Anna Freud oft gegen Schreibblockaden anzukampfen hatte.*” Mangelnde Stirke 42 ZWISCHENWELT der Kreativität mutmaßt die Freundin — jedoch scheint auch Sigmund Freud eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Dynamik, die einen tiefen Konflikt erahnen lasst, gespielt zu haben. Auf die literarischen Ubersetzungsversuche aus dem Englischen, die Anna als Achtzehn-, Neunzehnjahrige unternimmt, reagiert der Vater mit unverhohlenem Stolz: Es wird Sie interessieren, daß wir unlängst entdeckt haben, daf meine Kleine englische Dichter sehr schön in deutsche Verse übersetzt, schreibt er am 17. Mai 1914 an Karl Abraham.” Auffällig ist, dass er sowohl die Übersetzungen als auch die Hundegedichte,™ nicht aber die literarischen Eigenschöpfungen seiner Tochter in Briefen an Freunde erwähnt. Anna schrieb ihm auch gelegentlich von ihren literarischen Plänen und Projekten, in den Antwortbriefen nahm er jedoch nie darauf Bezug. In den Briefen, die Anna an Lou Andreas-Salome richtete, fallen gelegentlich Bemerkungen, die auf eine Art Verzögerungsund Ablenkungshaltung des Vaters schließen lassen: Nach der Rückkehr von einem Besuch bei der Freundin in Göttingen wollte sie gleich auf eine Geschichte losgehen und sie aufschreiben, aber Papa hat gefunden, sie solle sie lieber lassen und an ihren Vortrag denken. Ein anderes Mal findet er es, wie Anna befürchtet, sehr überflüssig und schade, soviel gute Zeit damit hinzubringen?,, regt stattdessen zu gemeinsamen Spaziergängen an, bei denen man sich über Annas psychoanalytische Arbeit unterhalten könne®, oder es wird ‚ein Stück Analyse‘ gemacht und abends mit dem Vater Karten gespielt, wenn das Tagträumen wieder hartnäckiger wird.” Wir können nur darüber spekulieren, was Sigmund Freud am Dichten seiner Tochter, wie es scheint, nicht behagte. Dachte eran Anna O., deren ‚Privattheater‘ statt Kunst die Symptomatik der Hysterie, wie er und Breuer sie theoretisierten, hervorbrachte?“ Schließlich war er ja ihr Analytiker und kannte Inhalt und Problematik des Tagträumens seiner Tochter dort, wo es sich nicht in Literatur transformieren ließ, aus direkter Quelle.“ Dazu kam, dass er die Tochter, wie bereits erwähnt, mit Ausbruch seiner Krebserkrankung umso dringender als Nachfolgerin auf dem Gebiet der Psychoanalyse brauchte. Dass jetzt (fast) nur noch das spielerisch-ironische Gelegenheits-Dichten sich zeigen mag, korrespondiert mit einer Gepflogenheit, die durchaus auch dem Vater vertraut ist: Er verfasste zum Beispiel in antikisierendem Versmaß Glückwünsche an Wilhelm Fließ, als dessen zweiter Sohn geboren wurde,” dichtete einen schauerlichen Vierzeiler, der ihm in Karlsbad unterkam, um und schickte ihn in seiner verbesserten Version an die Tochter Anna.” In der Familie war er generell für seine köstliche Wortakrobatik‘* bekannt. Reimereien wie jene gegen die von ihm mit Argwohn betrachteten Fahrradfahrer, die den Staub linieren und die Kinder überführen, machten ihm verbürgterweise großen Spaß.“ Der Literat, der ‚Nervenkünstler‘ der Moderne waren Freud suspekt.‘° Aber dass er versiert mit der Sprache umgehen konnte, durfte ein humanistisch gebildeter Professor und Goethe-Preisträger schon zeigen. Vielleicht lässt sich so der Rahmen skizzieren, innerhalb dessen sich Freuds Tochter weiterhin kleine ästhetische Spielereien mit der Sprache erlauben konnte. Auch gereimte Zweizeiler als Bildunterschriften in einem Fotoalbum, das sie dem Vater schenkte,“ gehören in diesen Kontext. Ebenso The Story of Yo-Fie, die sie ihren Pflegerinnen in den letzten Lebensmonaten diktierte** — eine kleine Hundegeschichte, wie man sie Kindern zum Einschlafen erzählt und die die Geschichtenerfinderin und Kinder-Therapeutin Anna Freud noch einmal spürbar werden lässt.