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seiner Zerstörung unaufhörlich Anregungen ausgegangen, die die psychoanalytische Forschung und Arbeit in der ganzen Welt befruchtet haben. Daß es Ihnen gelungen ist, in den schweren Zeiten des Nationalsozialismus und des Krieges ohne Unterbrechung an der Psychoanalyse weiterzuarbeiten, zu lehren und zu heilen und damit die Iradition des Instituts weiterzuführen, erfüllt mich mit Bewunderung. Ich wünsche Ihrer neuen Gründung das allerbeste an Lebenskraft und Wirkung auf die Umwelt. Die Zerstörung der Psychoanalyse 1938 war logisch unabwendbar. Die Psychoanalyse kann nur dort gedeihen, wo Freiheit des Gedankens herrscht. Die neue Freiheit in Österreich wird, so denke ich, neues Leben für die psychoanalytische Arbeit bedeuten“ (Aichhorn, Th. S. 179f). Thomas Aichhorn, geboren 1944 in Wien. Psychoanalytiker. 19811998 Sozialpädagoge am Institut für Sozialtherapie der Stadt Wien. Vorträge und Publikationen zu Theorie und Geschichte der Psychoanalyse, der „Allgemeinen Verführungstheorie“ von Jean Laplanche, zur Psychoanalyse der Adoleszenz und zum Werk und zur Biografie August Aichhorns. Lebt und arbeitet in Wien, Studien in Staatswissenschaften, Psychologie, Pädagogik und Politikwissenschaften an den Universitäten Wien, Würzburg und Salzburg. Mitglied und Archivar der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Beirat und Herausgeber von Themenheften bei Luzifer-Amor, Vorstandsmitglied im Archivverein. Thomas Aichhorn, Karl Fallend (Hg.): August Aichhorn. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Wien, erscheint im Herbst 2015; Thomas Aichhorn (Hg.): August Aichhorn. Pionier der ‚psychoanalytischen Sozialarbeit. Wien 2013; Thomas Aichhorn (Hg.): Anna Freud/ August Aichhorn Briefwechsel 1921-1949. Wien 2012 Anmerkungen 1 Jochanan ben Sakkai hatte sich dafür eingesetzt, mit Rom Frieden zu schließen, da er die Zerstörung Jerusalems und den Verlust des Tempels voraussah. Wie konnten die Juden aber weiterleben ohne die heilige Stadt und ohne den Tempel? Er meinte, dass die Juden auch ohne den Tempel in Jerusalem durch das Lernen und Studieren der Tora und durch das Hochhalten der Tradition überleben könnten. Um nicht mit den übrigen Juden unterzugehen, musste er aber Jerusalem verlassen. Dazu ersann er einen Fluchtplan: Er wies seine Schüler an, das Gerücht zu verbreiten, er sei gestorben. Ruhig und ohne Furcht befahl er seinen Studenten, ihn in einen Sarg zu legen. Vertrauensvoll taten die Jünger, wie ihr Meister verlangte. Bei Sonnenuntergang bewegte sich der Leichenzug zu einem der Stadttore. Es wurde erlaubt, dass der Sarg die Stadt verlassen durfte und so entkam er aus Jerusalem, ein lebender Mann in einem hölzernen Sarg. Seine erste Aufgabe bestand nun darin, zum Heerführer der Römer zu gelangen, zu Titus Flavius Vespasianus, um zu erreichen, dass dieser das Städtchen Jabne und seine Gelehrten verschone. Vespasian entsprach dem Wunsch und befahl, Jabne zu verschonen. Die Hochschule in Jabne konnte als neues Zentrum der Iora, des Lernens und des Lehrens, weiter bestehen. 2 Robert Wälder (1900-1960) hatte Physik studiert. Er wurde 1924 Mitglied der WPV; ab 1925 lehrte er im Lehrinstitut. 1938 Emigration nach London, kurz darauf in die USA. Er ließ sich zunächst in Boston nieder, 1943 übersiedelte er nach Philadelphia, wo er Lehranalytiker des psychoanalytischen Instituts wurde. 3 Anton Sauerwald (1903-1970) schloss 1929 sein Studium der Chemie ab. Er war schon vor 1938 Mitglied der NSDAP. Er war mit der kommissarischen Leitung der psychoanalytischen Institutionen in Wien - Institut, Ambulatorium, Verlag - betraut. Ein Volksgerichtshofprozess, der 1948/49 u. a. wegen angeblicher Bereicherung bei dieser Tätigkeit gegen ihn geführt wurde, endete am 10. 1. 1949, nicht zuletzt dank der Interventionen von A. Freud und M. Bonaparte, mit Freispruch. Eine Haftentschädigung wurde 48 _ ZWISCHENWELT ihm nicht zuerkannt, da die Verdachtsgründe gegen ihn „nicht voll entkräftet worden“ seien und seine Handlungsweise „zumindest einer grob unsittlichen gleichkomm[e]“ (Akt des Sauerwaldsprozesses im WStLA). 4 Heinrich Ritter von Kogerer (1887-1958) promovierte 1910 zum Dr. med; ab 1918 war an der Psychiatrisch-Neurologischen Universitatsklinik in Wien beschaftigt; 1927 Habilitation fiir Psychiatrie und Neurologie. Er war ab 1933 Mitglied des NS-Arztebundes und trat 1937 der NSDAP bei. 1938 wurde er von Göring zum Leiter der Arbeitsgruppe Wien des Deutschen Instituts ernannt. 1939 zum Militär eingezogen. 1945 kehrte er nach Wien zurück und eröffnete eine Praxis als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. 5 Im Gegensatz zum Bericht Sauerwalds, der den Umfang der Bibliothek mit etwa 1500 Bänden angegeben hatte, umfasste nach dem Bericht des Gaurevisors und des Buchprüfers, die ihm beigegeben worden waren, die Bibliothek etwa 4 000 Werke. Sie sei, wie sie schrieben, in dieser Vollständigkeit nur einmalig in der ganzen Welt vorhanden. Der Wert der Bibliothek sei vom wissenschaftlichen Standpunkt aus überhaupt nicht schätzbar. Der Buchwert sei mit RM 60 000.- sehr minimal eingeschätzt. Die gesamte Bibliothek sei in 60 Kisten verpackt an das SD-Hauptamt Berlin überwiesen worden. Es ist nicht gelungen, mit Sicherheit herauszufinden, ob die Bücher bis nach Berlin gekommen sind und falls sie dort angekommen sein sollten, was dann weiter mit ihnen geschah. 6 August Aichhorn (1878-1949) war Lehrer. Mitglied der WPV war er 1922 geworden, Mitglied ihres Lehrausschusses 1927. Er war vor allem in der Anwendung der Psychoanalyse auf Pädagogik und Sozialarbeit tätig (vgl. u. a.: Aichhorn, Th. (Hg.) 1976, 2011, 2012). 7 Richard Nepallek (1864-1940) war Psychiater. 8 Alfred Robert Winterstein (Freiherr v.) (1885-1958) hatte Freud im Winter 1907/08 kennengelernt. Er studierte Philosophie, 1910 wurde er Mitglied der WPV. Er war mit Schnitzler und Hofmannsthal befreundet und auch selbst sowohl literarisch wie journalistisch tätig. 1938, nach der Auflösung der WPV, zog er sich ins Privatleben zurück und arbeitete an einer psychoanalytischen Studie über Adalbert Stifter. Aichhorn hatte sich gleich nach Kriegsende mit Winterstein in Verbindung gesetzt, um ihn zur Mitarbeit in der WPV zu gewinnen. Winterstein wurde Obmannstellvertreter und Leiter der wissenschaftlichen Abteilung. Nach Aichhorns Tod war er bis 1957 Obmann der WPV. 9 Zur Tätigkeit Aichhorns und der Gruppe um ihn vgl.: Ash 2012, Fallend 2003, Perner 2003. 10 A. Aichhorn an R. Dworschak, Brief vom 31. 5. 1945; Original im NRD. 11 Wilhelm Solms zu Rödelheim (1914-1996) war ab April 1943 Stationsarzt im Hirnverletztensonderlazarett in Wien. Im März 1944 wurde er Ausbildungskandidat am Deutschen Institut; 1946 Mitglied der WPV. Während der nationalsozialistischen Herrschaft stand Solms Widerstandsgruppen nahe, nach 1945 trat er der Kommunistischen Partei Österreichs bei. Er habilitierte sich 1953; 1959 Rückzug in die Privatpraxis. Kurze Zeit später wurde er Direktor des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe. 1954 wurde Solms Lehranalytiker der WPV; 1957-1971 und nochmals 1978 war er deren Präsident. 12 Ernst Fischer (1899-1972) war Politiker und Schriftsteller. Von 1927 bis 1934 war er in der Redaktion der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ tätig; 1934 trat er der Kommunistischen Partei bei. Er emigrierte nach Prag und floh 1939 nach Moskau, wo er zeitweise im Volkskommissariat des Auswärtigen Amts der UdSSR arbeitete. 1945 nach Wien zurückgekehrt, stand er mit Friedl Fürnberg und Johann Koplenig an der Spitze der KPÖ und war zunächst Staatssekretär für Unterricht. Von 1945 bis 1959 war er Abgeordneter zum Nationalrat. Er hatte sich 1956 von den Ereignissen in Ungarn nicht distanziert, 1968 aber bezeichnete er die Ereignisse in der CSSR als „Verbrechen gegen den Sozialismus“ und „Panzerkommunismus“. Daraufhin wurde er im Oktober 1969 aus der KPÖ ausgeschlossen. 13 Schreiben vom 5. 6. 1945; Kopie im NAA. Die Kopie ist nicht unterzeichnet. 14 Theodor Scharmann (1907-1986) studierte Germanistik; 1938 wurde er als Heerespsychologe nach Wien versetzt, wo er im Luftwaffenlazarett für Hirnverletzte arbeitete. 1943 wurde er Leiter der Beratungsstelle für Schwerkriegbeschädigte am Arbeitsamt Wien; nach Kriegsende wurde ihm das Wiener Arbeitsamt für Jugendliche und Körperbehinderte übertragen. 1942 wurde er Ausbildungskandidat des Deutschen Instituts; 1946 Mitglied der WPV. Im Dezember des Jahres ging er zu Frau und Tochter nach Deutschland. 1955 Habilitation für Soziologie in Marburg; danach akademische Stellungen in Nürnberg, Linz und Salzburg.