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Katharina J. Ferner Versuch einer Brandrede Ein Mensch ertrinkt jetzt Das Wasser ist heute ziemlich warm, deswegen ist das Ertrinken an diesem Tag etwas angenehmer als sonst, dafür dauert es auch länger, da es keinen Kälteschock gibt, sodass das Herz nicht stehenbleibt, sondern weiterschlägt, einige Zeit noch sogar Organversagen gibt es nur selten im Mittelmeer. Haie auch. Das ist ein Glücksfall für Yasin, denn er ist einer der wenigen, der in der Schule schwimmen gelernt hat. Und der jetzt losschwimmt, einfach weil er es kann. Ganz alleine schwimmt er. Manche Menschen glauben, dass man, wenn man am Meer lebt, quasi mit Flossen geboren wurde. Das ist aber nicht so. Yasin ist eine Ausnahme. In vielerlei Hinsicht ist er das Er ist schr ehrgeizig und spricht vier Sprachen, unter anderem auch Italienisch, dass er erst vor kurzem begonnen hat zu lernen, in einem Kurs der ihm und anderen zukünftigen Flüchtlingen suggerieren sollte, dass sie im Land ihrer Hoffnung auch Arbeit finden würden. Manche lernten auch Spanisch oder Portugiesisch. Besonders Hoffnungsfrohe versuchten es sogar mit Ungarisch und anderen Sprachen von Ländern, die gar nicht am Meer lagen und von denen die meisten nur eine geringe Vorstellung hatten, wie es dort überhaupt aussah. Kalt würde es sein, hatte man Yasin gesagt. Das sei der einzige Haken. Dass sie Decken zur Überfahrt mitbringen sollten. Yasin stellte sich damals vor, was für ein Bild er abgeben würde. Einziges Gepäckstück: eine Decke. Dass er vieles zurücklassen würde, ja. War auch nicht so schwierig, denn es gab kaum noch etwas, das man mitnehmen hätte können. Yasin reiste also mit: einer Decke, einer Handvoll getrockneter Datteln (man hatte ihm angekündigt, dass Vorräte an Bord sein würden), einer Puppe, die seiner kleinen Schwester Aleyna gehört hatte. Bevor das Haus eingestürzt war, mit seiner Schwester darin Ein Mensch ertrinkt jetzt Yasin war beinahe froh, dass seine Schwester nun nicht bei ihm war. Er hätte sie auf den Rücken nehmen müssen. Sie konnte nicht schwimmen. Und vermutlich hätte sie sich gefürchtet und ihn, wenn auch nicht absichtlich, unter Wasser gedrückt. Und Yasin hätte versucht sie zu beruhigen, aber ihm wäre bald die Kraft ausgegangen Auch jetzt würde ihm bald die Kraft ausgehen. Er hätte sich gerne kurz wo festgehalten, doch er traute sich nicht zurück zum Boot zu schwimmen. Er wollte seine Hände nicht auftoten Körpern ablegen Ein Mensch ertrinkt jetzt Es war das erste Mal, dass Yasin sich fühlte, als wäre er auf der Flucht. Er hatte sich bereits daran gewöhnt, zwischen Häuserruinen hin- und her zu huschen, war zum Schatten geworden, wenn es notwendig war. Yasin hatte ein Spiel daraus gemacht und es hieß: Unsichtbar. Aber gerade möchte Yasin nicht unsichtbar sein, er möchte zwar sichtbar sein, aber für wen? Nicht für die Zurückgebliebenen. Es ist nicht lange her, da hat Yasin etwas getan, das er bis jetzt verdrängt hat. Er hat getreten, so richtig fest getreten hat er. Und das wäre nicht weiter schlimm, denn wenn man ins Wasser fällt, dann tritt man nun Mal, einfach um wieder hochzukommen. Aber was, wenn jemand unter einem ist? Sich ans eigene Bein klammert. Yasin keucht Ein Mensch ertrinkt jetzt 66 _ZWISCHENWELT Er schwimmt nun schon seit fünfzehn Minuten. Das weiß er nicht, aber sein Körper weiß es und noch ist kein Ende in Sicht. Das stimmt nicht ganz. Yasin sieht etwas, das sich vom Meer abhebt, er kann jedoch nicht erkennen ob es ein Schiff ist oder eine Insel. Bevor er abfuhr, hatte er versucht die geplante Route aufzuzeichnen, doch er hatte keine Möglichkeit gehabt die Karte zu verifizieren Ein Mensch ertrinkt jetzt Es war ein Cousin seiner Mutter gewesen, der ihm vom Boot erzählt hatte, kurz nachdem das Haus eingestürzt war. Aleyna. Yasin hatte sich die Puppe um den Bauch gebunden, als klar wurde, dass das Boot nicht mehr zu retten war. Das Plastik gab ihm einen leichten Auftrieb oder zumindest redete er sich das ein. Vielleicht war die Puppe auch schon längst fortgetrieben, so wie der Rest von seinen Sachen. Yasin hatte schon in den ersten Minuten seine Kleidung ausgezogen, Ballast abgeworfen Ein Mensch ertrinkt jetzt Dreißig Minuten. Yasin fühlte sich schwindlig. Er versuchte sich aufden Rücken zu drehen, doch so konnte er die Richtung nicht bestimmen. Und wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er immer noch diese Erhebung im Wasser schen. Er wollte nicht aufgeben, auch wenn er wusste, dass er es bis dahin nicht schaffen würde Wenn es ein Schiff war, kam es ihm vielleicht entgegen. Yasin keuchte. Die Sonne stach ihm in die Augen. Yasin versuchte ein neues Spiel: Fisch sein. Er stellte sich vor, wie zwischen seinen Händen Kiemen wachsen. Aleyna hätte dieses Spiel gefallen. Sie liebte Fische, tot und lebendig, aber vor allem auf dem Teller. Ob sie Yasin wiedererkennen würde, wenn sein Körper plötzlich mit Schuppen überzogen wäre? Ein Mensch ertrinkt jetzt Tatsächlich springen Fische über Yasin. Er versucht sie zu greifen, festzuhalten, aber sie sind zu schnell, lachen ihn aus mit winkenden Flossen. Yasin ist sich nicht sicher, ob er tatsächlich die Hand ausgestreckt hat. Er hat nun das Gefühl, gegen das Wasser ankämpfen zu müssen. Nicht aufgeben, denkt Yasin. Einatmen. Ausatmen. Einatmen Yasin versucht durch den Mund auszuatmen, das einströmende Wasser auszublasen Plötzlich hat er das Gefühl er steht auf einer Sandbank. Yasin lächelt erleichtert. In Gedanken vergräbt er die Füße im Sand. Ganz ruhig steht er da uns wartet mit leicht geöffnetem Mund. Einatmen. Ausatmen. Ein Yasin ertrinkt jetzt Und wann fahren Sie wieder ans Mittelmeer? Katharina Johanna Ferner, 1991 in Salzburg geboren, lebt seit 2009 vorwiegend in Wien, wo sie ihren Bachelor in Slawistik, Russisch abgeschlossen hat. Aktuell studiert sie an der Universität Wien Deutsch als Fremd-/Zweitsprache im Master. Schreibt auch Rezensionen für das österreichische Bibliothekswerk sowie für die junge Literaturzeitschrift „& Radieschen“. Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. U.a. SIGNUM, „Miromente. Zeitschrift für Gut und Bös“. Gewinnerin des Preises „Wir lesen uns die Münder wund“, 2009; Nominierung für den Literaturpreis Wartholz 2015.