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Martin Auer Die Entschuldigung Personen ARIEL MAUTNER (64 Jahre alt) KURT BERGER (55 Jahre alt) MIRIAM BERGER, Kurt Bergers Tochter (25 Jahre alt) Das Stück spielt in Wien, im Jahr 2015 1. Szene Mautner in seiner Wohnung (eventuell vor dem Vorhang). Er bügelt seine Hemden. Sein Handy läutet. Er stellt das Bügeleisen hochkant, holt das Handy aus der Tasche, schaut auf das Display. Eine Nummer, die er nicht kennt. MAUTNER: Ja? Er horcht. MAUTNER: Ja, ich bin Ariel Mautner. Er horcht. MAUTNER: Warten Sie einmal, ich stell Sie auf laut, ich muss da... Er stellt das Handy auf Lautsprecher, legt es auf das Bügelbrett und macht weiter. MAUTNER: So, jetzt geht's. BERGERS STIMME: Ich hoffe, ich störe Sie nicht bei etwas. MAUTNER: Nein, ich bügel grad meine Hemden. Es geht schon. BERGERS STIMME: Soll ich später...? MAUTNER (ungeduldig): Nein, nein, passt schon. Um was geht's denn? BERGERS STIMME: Ich habe Ihr Interview im Radio gehört. Es war sehr beeindruckend. MAUTNER: Danke. BERGERS STIMME: Und ich würde Sie gerne einmal persönlich treffen. Zu einem Gespräch. MAUTNER: Ja- ah — was soll das für ein Gespräch sein? BERGERS STIMME: Das ist schwer am Telefon zu erklären. MAUTNER: Ja schen Sie, das Interview — das haben ja viele Leute gehört. Ich kann ja nicht - bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht unhöflich sein... BERGERS STIMME: Ich verstehe Sie schon, Sie können sich nicht mit jedem treffen, der Sie im Radio gehört hat, das ist schon klar. Aber sehen Sie, wir, Sie und ich, haben eine sehr persönliche Beziehung, wenn auch - eine schwierige... MAUTNER: Sagen Sie mir bitte einfach, worum's geht, dann können wir uns etwas ausmachen oder auch nicht! BERGERS STIMME: Ja, sehen Sie, es ist so. Ihre Großeltern wurden doch in Treblinka... MAUTNER: Ermordet, ja. Umgebracht. Vergast. BERGERS STIMME: Und dafür wollte ich mich - bei Ihnen — entschuldigen. MAUTNER: Entschuldigen? Wie kommen Sie dazu? Sind Sie der Bundespräsident? BERGERS STIMME: Der Bundes... — nein, wieso? Ach so — nein, ich habe keine offizielle Stellung, ich möchte mich ganz persönlich bei Ihnen... MAUTNER: Hören Sie, ich hab nichts am Hut mit Kollektivschuld, Erbschuld oder was immer Sie da im Sinn haben. Darüber hab ich doch gesprochen, das bringt nichts. Niemand muss sich schuldig fühlen für etwas, was er nicht getan hat - oder sie. Wir haben Verantwortung für die Gegenwart, für die Zukunft. Studieren Sie die Vergangenheit, lernen Sie daraus, aber... BERGERS STIMME: Sie verstehen mich nicht. Mein Vater war... MAUTNER: Ja, Ihr Vater war ein Nazi. Auch dafür können Sie nichts. Wessen Vater war kein Nazi? Wenn Sie ein anständiger Mensch sind, haben Sie nichts, wofür... BERGERS STIMME: Mein Vater gehörte zur SS-Wachmannschaft in Treblinka. Mautner, der beim Telefonieren erregt hin und her gegangen ist, muss sich irgendwo anlehnen. Er schließt die Augen, atmet tief aus. MAUTNER (wie erschöpft): Hören Sie, das kann ich nicht. Ich kann Sie nicht treffen. Ich kann nicht mit Ihnen reden. Ich verzeihe Ihnen Ihren Vater, wenn Sie das brauchen, ich spreche Sie frei von allem, was Sie nicht getan haben, aber ich kann Sie nicht treffen. Das müssen Sie verstehen. Auf Wiederhören! Mautner trennt die Verbindung. MAUTNER: Das hab ich gebraucht! Das hab ich gebraucht wie einen Kropf! Das hab ich gebraucht wie ein Loch im Kopf! Verdammt, verdammt, verdammte Scheiße! Er rennt erregt auf und ab. Er greift nach dem Hemd auf dem Bügelbrett und verbrennt sich am Bügeleisen. Er schmeißt das Hemd in den Wäschekorb, dann stößt er mit einem Tritt den Wäschekorb um. Er schlägt sich mit den Fäusten auf den Kopf. MAUTNER: Wie kommt der dazu! Wie kommt der dazu! Wie kommt der dazu! Was mischt er sich ein! 2. Szene Er nimmt das Telefon, wählt eine Verbindung. Während des folgenden Gesprächs räumt er — gewissermaßen reumütig — mit der freien Hand die Wäsche wieder in den Wäschekorb. MAUTNER: Servus! Weißt du, wer mich grad angerufen hat? Einer, der die Sendung gehört hat. Über den Stein der Erinnerung. Und jetzt will er mich treffen. - Warum? Warum? Er will sich entschuldigen! Entschuldigen! Für seinen Vater. Weil der in der Wachmannschaft war! — Ja, dort! Ich halt das nicht aus! Was geht ihn das an! Was drangt der sich da herein! Ich wollt doch nur fiir uns, fiir die Familie etwas... Etwas zum Anhalten, einen Fixpunkt, du weißt schon. Wir haben keinen Grabstein, nichts, wo wir hingehen können. Jetzt haben wir wenigstens diese kleine Messingplatte vor dem Haus, wo sie gewohnt haben. Das wollt ich. — Ja, natürlich ist das auch was Öffentliches, ja, ich hab ein Zeichen gesetzt und das hab ich jetzt davon! Öffentlich ja, ich bin jederzeit bereit, öffentlich Stellung zu nehmen, das ist eine Verpflichtung, wenn wer einen Vortrag haben will, gerne, von mir aus eine Podiumsdiskussion — aber der will ja persönlich, der drängt sich ins Private, der will ja nicht öffentlich September 2015 6/