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irgendwas darlegen, der will zu mir kommen, damit ich ihm die Absolution erteile oder was, der will an meiner Trauer teilhaben, keine Ahnung, was soll das bitte, mich persönlich treffen und sich entschuldigen, will er jetzt zu allen hinrennen, die übrig geblieben sind von den hunderttausend, die sein Vater auf dem Gewissen hat, und sich entschuldigen? Will er ins GuinnessBuch der Rekorde damit? 3. Szene Hinterzimmer eines Cafes. Eher trist. Scheußliche, längst verfärbte Tapete, Kitschbilder an den Wänden. An der Tür zum WC die humoristische Aufschrift „Noteingang“ sagt eigentlich schon alles. Vielleicht auch noch lustige Poster von der Sorte „Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten, aber es hilft“ oder „Ich dir nix pumpen, du böse. Ich dir pumpen, du nix wiederkommen, ich böse. Besser du böse.“ Vier Tische mit Plastiktischtüchern und Aschenbechern versehen. An einem der Tische sitzt Mautner vor seinem schon fast geleerten Caffe-Latte-Glas. Die Schwingtür öffnet sich und herein kommt Berger im Rollstuhl, den Miriam schiebt. Mautner steht auf. Berger streckt ihm die Hand hin. BERGER: Grüß Gott! Herr Mautner? Ich bin Kurt Berger. MAUTNER (überwindet seine Überraschung): Guten Tag. Er gibt Berger die Hand. BERGER: Das ist die Miriam. Meine Tochter. Ich bin auf sie angewiesen. MAUTNER (gibt Miriam die Hand): Freut mich. MIRIAM: Stimmt überhaupt nicht. Mein Vater kommt gutallein zurecht! Er wollte mich nur einfach dabei haben. (Ironisch:) Ich soll was lernen, heute. BERGER: Hier stört uns niemand. Höchstens, es geht wer aufs Klo, aber am Nachmittag sind nie viele Leute. MIRIAM: Die kommen eigentlich nur fürs Mittagsmenü. Wie ich studiert hab, hab ich hier kellneriert, wissen Sie. Ich bin hier wie zu Haus. BERGER: Holst mir einen Verlängerten, bitte, und dem Herrn Mautner — was hätten Sie gern? MIRIAM (Nach einem Blick auf Mautners Glas): Noch einen Latte? MAUTNER: Mm, ja okay, und ein Mineralwasser, bitte. Miriam geht hinaus. Betretenes Schweigen. BERGER: Also das war schon sehr berührend, wie Sie bei der Feier das Lied da gesungen haben. MAUTNER: Ja. Und ich hab der Redakteurin auch gesagt, sie soll das rausschneiden. BERGER: War das so eine Art Totengebet? MAUTNER: Nein, das war ein Lied über eine jüdische Partisanin. BERGER (erstaunt): Ach so? MAUTNER: Das hat's gegeben. BERGER: Also ich mag jüdische Musik. (Er singt und streckt dabei die Arme nach den Seiten und wiegt sich, als ob er tanzen würde.) Tschiri biri bimbim bim, tschiri biri bimbim bim. MAUTNER (peinlich berühro): Bitte — könnten Sie ... BERGER: Ach ja, freilich, entschuldigen Sie. Das ist Ihr Zuständigkeitsbereich. Miriam kommt herein mit Mautners Mineralwasser. MIRIAM: So, da ist einmal das Wasser. Die Kaffees kommen gleich. Geht’s euch gut? 68 — ZWISCHENWELT BERGER: Ja, Schatz. Miriam verschwindet wieder. BERGER: Ich wollt auch studieren. Geschichte und Philosophie. Besonders Alte Geschichte hätt mich interessiert. Aber — damals har’s dafür praktisch keine Möglichkeit gegeben. Beim Mitschreiben war ich zu langsam und oft war's gar nicht möglich, bis zum Hörsaal zu kommen. Miriam kommt herein mit den Kaffees. Für sich hat sie ein Red Bull mitgebracht. MIRIAM: So, da sind die Kaffeetscherln. Sie setzt sich, die beiden erwartungsvoll anstrahlend. MAUTNER: Sie wollten über Ihren Vater sprechen. BERGER: Ja. Das ist ein schwieriges Kapitel. Eigentlich weiß ich nicht viel über ihn. Ich bin in Brasilien geboren. In Säo Paulo. Mein Vater war da schon recht alt. Er war Jahrgang 1912 und ich bin 1960 geboren. Da war mein Vater schon 48. Meine Mutter war seine zweite Frau. Zuerst war er mit einer Deutschen verheiratet, mit der hat er eine Tochter gehabt. MIRIAM: Die Tante Ingeborg. BERGER: Ja. Meine Halbschwester. Was mauschelst da immer mit deinem Handy herum? Lass das bitte! Und als seine Frau gestorben ist, hat er ein Kindermädchen gesucht und die hat er dann gleich geheiratet. Meine Mutter ist Brasilianerin, aber sie hat österreichische Wurzeln. Ihre Großeltern sind so um 1900 nach Brasilien eingewandert. Ich hab meine Mutter gefragt, ob sie vielleicht Juden waren, weil meine Mutter ein dunkler Typ ist, aber sie hat gesagt, es waren Bauernkinder aus dem Burgenland. Also Westungarn eigentlich, damals, aber deutschsprachig. Meine Mutter sagt, ihre andere Großmutter war Italienerin, und deswegen — aber ich hab mich immer gefragt — ich meine, sie sieht irgendwie jüdisch aus. MIRIAM: Ja, da hat er einen Fimmel! Mir hat er einen jüdischen Namen gegeben! BERGER: Der ist doch schön. Na ja, nach dem Aussehen kann man natürlich nicht gehen. Kennen Sie den, wie der Herr Kohn aus Wien in China in eine Synagoge kommt? MAUTNER: Ja. BERGER: Na ja, einem Juden soll man keine Witze erzählen, er kennt immer schon alle. Aber wär das nicht irre, wenn ich von einem Nazi und von Juden abstammen würde? MAUTNER: Und wie war das also mit ihrem Vater? BERGER: Als Kind hab ich meinen Vater eigentlich schon geliebt. Er war ja nicht oft da. Er hat eine Firma gehabt und war ziemlich angehängt bis spät am Abend. Aber an den Wochenenden hat er mit mir im Garten Fußball gespielt. Ja- und mit zehn Jahren bin ich dann an Meningitis erkrankt. Da war er halb verrückt vor Angst um mich. Ich glaub, er hat sogar den Betrieb vernachlässigt. Da ist er bei mir gesessen im Spital und hat mich gestreichelt und geseufzt: „Werd gsund, Burli, werd wieder gsund, du musst gsund werden, Burli!“ Aber dann, wie es klar war, dass ich nicht mehr so wie früher sein werd, dass ich ein Spasti bin, da hat er sich plötzlich von mir abgewandt. Auf einmal war er in der Firma unabkömmnlich, er war praktisch nur mehr in der Firma, auch am Wochenende, und wenn er einmal zu Hause war, eigentlich nur, weil er irgendwas geholt hat, irgendwas gebraucht hat, da hat er mich nicht angeschaut, da war ich Luft für ihn. Ich hab richtig gespiirt so etwas wie — so etwas wie — wie Ekel. Das war furchtbar. Furchtbar! Auch mit der Mama hat er dann so geredet, als ob sie schuld wire, dass ich so bin. Nix mehr mit zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl.