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akzentfreies Türkisch sprach und in Ankara in Dialekt verfiel. In Ankara habe er Cola getrunken, während es das in Hakkari nicht gab. Ich habe etwas anderes erwartet, aber ich fühle mich diesem Mann nun verbunden. Ich habe als Kind in der Türkei Cola getrunken, viel Cola, aber als ich dann nach Deutschland kam, war in der Cola auf einmal zu viel Zucker drinnen und zu viel Koffein und zu viel Amerika und zu viel Konsum, und ich durfte nur noch ungesüßte Säfte trinken. Erdogan weiß, wie es ist, ohne Cola zu sein. Ronald Reagan war ja auch Schauspieler, das weiß ich, weil meine Mutter immer erzählt, wie sie damals extra nach Berlin gefahren ist, um gegen ihn zu protestieren. Ich glaube, ich finde es gut, wenn Politiker Schauspieler sind. Dann schen sie besser aus und man langweilt sich nicht so, wenn sie reden. In Deutschland dürfen Politiker ja nicht gut ausschen und mitreißend dürfen sie auch nicht sein. Das ist, weil wir schlechte Erfahrungen mit dem letzten gemacht haben, der mitreißend war, sagt der Hase immer. Hase ist mein Freund und sagt viele Sachen, die klug klingen. Erdogan aber auch. In diesem Land sind wir zu Geologen geworden, nachdem ein Erdbeben uns erschüttert hat, sagt er, wir sind zu Ökonomen geworden, nachdem die Finanzkrise uns gebeutelt hat, wir lernen unsere Lektionen erst, wenn es schon zu spät ist. Doch als er anfängt darüber zu reden, dass die Türken sich selbst nicht mögen und dass sie deswegen kein Recht haben, Respekt oder auch nur Achtung von Europa einzufordern, dass sie nicht besonders klug sind und dass sie den Untergang verdient haben, kommen mir Zweifel. Ist das der Präsident dieses Landes? Mein Sitznachbar dreht den Kopf und sieht mich an. Ich ergreife die Gelegenheit und frage ihn: Ist das der türkische Ministerpräsident? Ich mag es nicht, wenn Leute einfach nur komisch gucken oder anfangen zu lachen, wenn man eine Frage stellt. Gegenfragen finde ich nicht so schlimm. Willst du mich verschaukeln?, fragt mein Nachbar, schaut wieder nach vorne und lacht, obwohl Erdogan keinen Witz gemacht hat. Nein, Isa wollte mich verschaukeln. Das ist gar nicht Erdogan. Ich drehe mich zur anderen Seite und frage: Wie heißt dieser Mann da vorne? Du wirst doch wohl wissen, wo du hingegangen bist. Yilmaz Erdogan. Yilmaz. Ich komme nicht auf den Namen, aber der Ministerpräsident heißt anders, das hier ist der falsche Erdogan. Ich bin auf der falschen Veranstaltung. Die nächsten zehn Minuten lache ich auch an den Stellen, an denen Erdogan keine Witze macht. Du bist ja lustig, sagt Emre und lacht. Du hast echt geglaubt, Isa hätte dir eine Karte zu einem Auftritt des Ministerpräsidenten gegeben? Du bist ja lustig, das hat Laura am Anfang auch immer gesagt. Wir haben viel zusammen gelacht, nicht nur am Anfang, wir haben 16 Monate viel gelacht und dann hat sie aufeinmal gesagt, dass ich meine Identität noch nicht gefunden habe, und hat sich getrennt. Ich sche Emre auf dem Bildschirm, im Hintergrund kann ich mein Bett erkennen. Das Bett, in dem ich so viel Zeit mit Laura verbracht habe. Mit Laura konnte jeder Wochentag und jede Tageszeit ein Sonntagmorgen werden. Ich frage mich, ob Emre und sie sich über den Weg laufen werden. Bestimmt. 74 ZWISCHENWELT Emre studiert Deutsch und Englisch in Istanbul und macht gerade ein Auslandssemester in Freiburg. Als Kinder waren wir Nachbarn und haben immer zusammen gespielt. Unser Kontakt ist nie abgerissen. Er wollte sein Semester in Deutschland zuerst in Berlin machen, aber dann haben wir gesagt, wenn er nach Freiburg kommt, können wir mehr Zeit miteinander verbringen. Dann hat Laura mit mir Schluss gemacht, und ich wollte unbedingt in die Türkei. So haben wir die Zimmer getauscht und nun ist er in Freiburg, lange bevor das Semester anfängt. Wie geht es dir denn in Freiburg?, frage ich. Nach Istanbul und nach London ist das ein Dorf, sagt er, man kann überall zu Fuß hin, aber es gibt alles, was es in einer Großstadt geben muss. Und Alkohol ist billig. Und Biogemüse. Ich werde gesund essen und viel Bier trinken. Die Atmosphäre in den Bars und Kneipen gefällt mir. Man kann in einen Laden gehen, der in zu sein scheint, und niemand läuft aufgetakelt herum und protzt. Es ist fast so, als gäbe es kein Nachtleben für die Reichen in dieser Stadt. Oder man sieht den Reichen ihren Reichtum nicht an. Und alle sagen immer ach so. Weißt du das eigentlich? Ach so, wenn man etwas versteht, ach so, wenn man etwas nicht versteht, ach so, wenn etwas anders ist als erwartet, ach so, wenn man jemanden verarschen möchte, ach so, wenn man überrascht ist, ach so, wenn man etwas vergessen hat, ach so, wenn einem etwas einfällt, ach so, wenn man etwas nicht glaubt, ach so, wenn man etwas glaubt. Ach so ist ein Zauberwort, ist dir das schon mal aufgefallen? Nachdem ich mit Emre gesprochen habe, beschließe ich, in die Moschee zu gehen, das gehört ja auch zu meinen Wurzeln. Um nicht noch einmal so eine Pleite zu erleben wie auf der Istiklal, beschließe ich zu Sultanahmet zu gehen, der Blauen Moschee, in die alle Touristen gehen. Es ist heiß. Der heißeste Sommer in Istanbul seit Jahren, hat Emre gesagt, bevor ich gefahren bin. Heiß wie die Türangeln der Hölle. Meine Dreads fühlen sich an, als wären sie Brennstäbe, die von meinem Kopf baumeln und ich will ja als ein anderer zurück nach Deutschland kommen, als jemand, der seine Identität gefunden hat. Also ist Veränderung sicher gut. Ich gehe zum Friseur und lasse mir die Dreads abschneiden. Von meinem Bart kann ich mich aber dann doch nicht trennen. Als ich auf dem Weg an einem Laden vorbeikomme, der diese kleinen weißen Käppis hat, die die Gläubigen häufig tragen, kaufe ich eins. Und damit gehe ich nicht durch den Touristeneingang, wo man Schlange stehen muss, sondern durch den Eingang für das Gebet. Ich kann nicht beten, das hat mir nie jemand beigebracht, ich weiß nur, dass man auf die Knie fällt, die Stirn auf diesen Teppich legt, auf den Fersen sitzt und den Kopf nach links und rechts dreht, und irgendwann die Handflächen nach oben nimmt. Wenn ich schon mal hier bin, will ich es wenigstens versuchen. Ich beginne im Stehen und bewege einfach ein wenig die Lippen. Das fühlt sich gut an, mir kommt es vor, als würde Gott anerkennend nicken. Dann sinke ich auf die Knie und lege die Stirn auf den Boden. Während ich stand, hat es schon nach Fußschweiß gerochen, doch jetzt ist es so, als hätte jemand aus mehrere Jahrhunderte lang gesammelten Fußgeruch eine Essenz hergestellt, eine Essenz von der ein winziger Tropfen genügt, um eine ganze Parfum-Filiale zu neutralisieren. Ich bleibe da unten, atme entspannt weiter. So schlimm, wie die Leute immer tun, ist Fußgeruch gar nicht. Ich liege mit der Stirn auf dem Boden und denke über Gott nach. Er hat sicherlich