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nichts gegen Fußgeruch, er hat ihn schließlich erfunden. Aber vielleicht findet er diese Art zu beten komisch. Er sicht ja alles, nichts bleibt ihm verborgen. Auch wenn ich jetzt Richtung Mekka bete, sieht er mich gleichzeitig von hinten, wie ich ihm den Arsch entgegenstrecke. Ich weiß nicht, ob er es gut findet, immer nur Nacken und Ärsche zu sehen. Ich stehe auf, murmele wieder vor mich hin, falle auf die Knie, Stirn auf den Boden, wieder aufstehen. Ich mache das noch einige Male. Es ist ohnehin heiß und ich habe schon geschwitzt, bevor ich mich bewegt habe. Jetzt ist mein Kreislauf auch noch in Schwung gekommen, ich lege mich mit dem Rücken auf den Boden, stelle die Füße an meinem Hintern auf, setze die Hände neben den Ohren auf und drücke mich hoch in die Brücke. Ich biete Gott mein Herz dar, anstatt meinen Rücken und meinen Arsch. Ich schlage eine Brücke zwischen dieser Welt und jener unsichtbaren Welt. So eine Brücke ist anstrengend, als ich runterkomme, bin ich außer Puste. Ich richte mich auf und setze mich auf die Fersen und warte so, bis mein Atem sich beruhigt hat. Ich habe versucht, Gott alles zu geben, was ich zu bieten habe, doch als ich rauskomme, hat sich der Himmel verdunkelt und es weht ein Wind, der sich anfühlt, als würde man sich am ganzen Körper föhnen. Ich habe eine Stadtplan-App auf mein Handy geladen, damit ich mich nicht mehr verlaufe, und gehe runter Richtung Eminönü, von dort will ich mit dem Bus nach Hause Lisa Kerimi Gedichte In Bewegung Nur am Lösungstag gültig. Wenn die Wörter hören. Vier Runden um die Sonne. Nur am Lösungstag — Küsse sanftgeblümt. Nur am Lösungstag — entdecken dass — erkennen wie — sich dennoch wundern — Wandeltag. Z-1-1 Die Realität hart anrempeln trüb und mit Apfelessig-Geschmack. Die Zuckerwatte lässt sich einfallen. Verklebt im Löwenschal und dem Haar 1986. Zossig ist es jetzt. Auf der Zunge das Herz. Ein Zeisig im Schnee, den du aufpflückst, ihn im Frühjahr auf Birnenjagd zu schicken. fahren. Unterwegs fängt es an zu regnen, zunächst ganz leicht, aber dann wird es schnell stärker und ich gehe in den nächstbesten Laden, um nicht nass zu werden. Es ist ein Waffenladen, in dem es Gewehre, Pistolen und Messer gibt. Ich gucke mir die Gewehre an, weil ich wissen möchte, was für Waffen hier so frei verkauft werden. Aber ich verstehe nichts von Gewehren, außer dass das hier keine Luftgewehre sind. Ich nehme ein paar in die Hand, um zu schen, wie schwer sie sind, und lege zum Spaß an. Der Regen wird noch stärker. Ich schaue zur Tür hinaus. Es sieht nicht so aus, als würde es regnen, es sieht aus, als würden Lufttropfen in ein Meer fallen. Selim Özdogan wurde als Sohn türkischer Eltern 1971 in Köln geboren. Er wuchs zweisprachig auf und studierte Ethnologie, Philosophie und Anglistik. Er debütierte 1995 mit dem Roman „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist. Seitdem hat er zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht. Mit einem Stipendium der Stadt Köln war er 2014 für fünf Monate in Istanbul, wo er die Arbeit an „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“ begann, einem satirischen Roman über Identität, kulturelle und religiöse Zuschreibungen, Vorurteile, die vergebliche Suche nach den Wurzeln und die Lebensbedingungen in neoliberalen Systemen. Der Roman „Wieso Heimat, ich wohne zur Miete“ erscheint im Frühjahr 2016 im Haymon Verlag. Les pieds sur l’assiette Pirouetten im Straucheln Die Vokale ausgewandert Konsonanten auf der Zunge Die kleben Und kletten im Bart — verzopft Auch das Neopren der Hände will Seidenfäden greifen Und die Stolper-Staffette Von links nach rechts die immer fällt und immer langt ins Leere — Unniitz ich! Lisa Kerimi (1979) lebt und arbeitet in Wien. Studium der Sinologie an der Universitat Wien und des Kulturmanagements an der Universitat fiir angewandte Kunst Wien. September 2015 75