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seiner Selbstverständlichkeit gut verborgener Neomalthusianismus (der sich auch aus alten Zweifeln an der „Lebensfähigkeit“ Österreichs nährt), dessen Umschlagen in einen rassistisch konnotierten Sozialdarwinismus jederzeit möglich war und ist. — Ich erinnere mich noch gut an die Prognose der 1980er Jahre, Wien werde schon bald auf 1,5 Millionen Einwohner geschrumpft sein. Befremdend hingegen sind für mich einige wenige Begrifllichkeiten und Behauptungen Rathkolbs. Wozu muß da immer wieder von „geopolitisch“ und „realpolitisch“ die Rede sein, alten Bekannten aus dem Vokabular des aufkommenden Imperialismus? Und welcher Teufel hat Rathkolb geritten zu behaupten, Österreich habe mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens am 15.1.1992 „jede Möglichkeit der friedlichen Entwickung der neuen Staaten vertan“ (S. 307). Zu diesem Zeitpunkt waren die Kriegshandlungen in Slowenien bereits beendet, die opferreiche Schlacht um Vukovar geschlagen... Soweit zur Abfolge der Ereignisse; die Anerkennung erfolgte übrigens gemeinsam mit den EWG-Staaten (die EU, von der Rathkolb an der Stelle spricht, gab es noch lange nicht) und mit Schweden, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei. Auch daf der legendäre Wiener kommunistische Kulturstadtrat Viktor Matejka „aus dem Konzentrationslager befreit“ worden sei (S. 318), stimmt nicht -er wurde am 7.7.1944 aus Dachau unter strengen Auflagen entlassen und verfügte sich in ein Spital, um der Musterung zu entgehen. Etwas fahrlässig scheint es mir auch, wenn Rathkolb in Zusammenhang mit den 1945 sofort einsetzenden Bemühungen, den Hochkulturbetrieb wieder in Gang zu bringen, um die österreichische Eigenstaatlichkeit zu betonen, einen Schlenker zur Emigration machen zu müssen glaubt: „Kultur galt offensichtlich - wie auch in den diversen österreichischen Emigrant/ innenzirkeln und -vereinigungen - als identitätsfördernd.“ (S. 317) Das klingt nicht unplausibel, banalisiert aber die kulturellen Anstrengungen des Exils und setzt Äpfel mit Birnen gleich. (Man lese dazu z.B. Berthold Viertels „Austria Revidiva“ in diesem ZW-Heft.) Rathkolbs Schrift perspektiviert die Nachkriegsentwicklung auf Demokratisierung und Internationalisierung hin, wobei für ihn die „autoritäre Persönlichkeit“ und das in wiederholten Meinungsumfragen nachweisbar schrumpfende „autoritäre Potential“ wesentliche Indikatoren sind. Rathkolbs Berufung auf die von Ih.W. Adorno und anderen Ende der 1940er Jahre in den USA durchgeführte Erhebung über den „autoritären Charakter“ scheint insofern verfehlt, als es bei dem zuerst von Erich Fromm entwickelten Konzept nicht so schr darum geht, das autoritätsfixierte Fühlen und Denken bzw. autoritäre Gebaren als ein aus früheren Zeiten Überkommenes (Überbleibsel sozusagen des 19. Jhd., aus vordemokratischen Zeiten) zu denunzieren, sondern als eine durchaus im „Spätkapitalismus“ aktuelle Tendenz der Persönlichkeitsbildung bzw. -hemmung sichtbar und bedenkbar werden zu lassen. Bei Rathkolb hingegen erscheint die „autoritäre Persönlichkeit“ stets als eine der „Modernisierung“ gegenüber auf Überkommenes bestehende Brutstätte von Vorurteil und Ressentiment. Sein Konzept erinnert hier ein wenig an Vorstellungen der alten Sozialdemokratie vor 1934, denen zufolge der durch den Fortschritt der industriellen Produktion verbitterte Kleinbürger samt seinen Vorurteilen durch eben diesen Fortschritt auch wieder verschwinden werde. Sprach man damals mitunter noch von der Entwicklung der Produktivkräfte, ist bei Rathkolb an deren Stelle die „Modernisierung“ getreten als eine nicht näher definierte vorgegebene Norm der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung, die mit der Demokratisierung Hand in Hand voranschreiten soll. Dieses Modernisierungideologem wäre einer kritischen Analyse zu unterziehen, ausgehend von der Überlegung, daß sich gesellschaftliche Entwicklungen (die sich ja nicht an nationalstaatliche Grenzen halten) nicht als Anpassungen an die Zukunft vollziehen, sondern einerseits jeweils die Zukunft mit Aufgaben der Vergangenheit möblieren und verstellen, andererseits auch bestimmte Ideen hervorbringen, worauf man sich vorsorgend einzustellen habe. Auch eine Ideologie der Modernisierung kann hier gut ins Konzept passen, um Spielräume für Veränderungen, an denen Interesse besteht, zu schaffen. Aktuell ist das politische Gemeinwesen in Österreich durch die Gleichgültigkeit und »Mein Stiefvater Alois Schintlholzer trat 1932 mit 18 Jahren in die damals in Osterreich verbotene SA und 1933 in die SS ein.“ Durch seine besondere Brutalität, will heißen: die besonders hohe Zahl an Erschießungen von Zivilisten sowie Tötung von Partisanen machte erschnell Karriere, schaffte nach der Niederlage der Nationalsozialisten mithilfe alter Seilschaften die Flucht aus dem amerikanischen Gefangenenlager, entging somit dem Todesurteil und entzog sich unter ähnlichen Umständen einem 82 — ZWISCHENWELT Haftbefehl in Osterreich wegen seiner Teilnahmean Judenpogromen 1938 in Innsbruck. Diesmal ließ er sich in Deutschland nieder. Völlig legal. Unter seinem richtigen Namen. 1950 benutzte Schintlholzer das neu erworbene Familienauto, um Adolf Eichmann an die österreichische Grenze zu fahren, von wo dieser via Italien nach Argentinien entkam. In diesem Jahr wurde die gemeinsame Tochter geboren, die jüngere Schwester, wie der Autorin vorgegaukelt wurde. Außerdem wurden die drei Kinder von Unverantwortlichkeit allzu vieler vor gravierende Probleme gestellt, die an Instanzen welcher Art immer — bis hin zum sprichwörtlichen „starken Mann“ - delegiert wissen wollen, was ihnen Sorge bereitet. Zeiten partieller Entmündigung mögen zur Verbreitung dieser Haltung das Ihre beigetragen haben. Rathkolb geht sehr ausführlich auf katholischkonservative Grundstimmung der Nachkriegsjahre und ihre Auswirkungen auf Kulturelles ein, die bis weit in die 1960er Jahre dominant blieb. Er sieht darin eine Wiederaufnahme oder Fortführung der den „Ständestaat“ prägenden "Thematik. Doch die inzwischen eingetretene reale Enthumanisierung durch den Nationalsozialismus scheint mir hier und überhaupt von Rathkolb zu wenig als ein Grundproblem der Nachkriegsentwicklung berücksichtigt. Wesentlich zum Verständnis dieser Enthumanisierung ist der durch das Terrorregime initiierte Prozeß der Scheidung in Tater und Opfer (Personen, deren Iun oder Dasein für „unerträglich“ befunden wurde), von öffentlichem Heroismus und privater Idylle und die dadurch erfolgende Verzerrung und Entsensibilisierung menschlicher Beziehungen, wodurch es leicht fiel, den eben geschehenen Massenmord glattwegs als vergangen abzutun. (Das gilt auch für die AvantgardeGruppen der 1950er Jahre.) Da waren die zur Schau getragenen katholisch-konservativen Werte nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes für allzu viele eine willkommene Tünche, d.h., diese Haltungen hatten - bei aller äußerlichen Übereinstimmung — einen Funktionswandel erfahren. Ähnliches gilt für die fortgesetzte Berufung österreichischer Eigenart auf den Barock — da wird nun Hybris, Selbstüberhebung, zum Schlüsselwort einer patriotischen Bewältigung des’Iraumas des Nationalsozialismus. Der „gemütliche“ Österreicher hüte sich fortan vor Fanatismus, und die Hoffnung benötigt schon wieder eine nächste frische Generation. Konstantin Kaiser Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015. Wien: Paul Zsolnay 2015. 494 S. Schintlholzer und seiner verstorbenen ersten Ehefrau aus Österreich geholt, sodass sich die 1947 geborene Autorin zurecht als Teil einer Patchworkfamilie fühlen durfte. Eigentlich musste. Selbst nach der Scheidung des Ehepaars Schintlholzer und der Rückkehr des Vaters samt Stiefgeschwistern nach Österreich im Jahr 1960 verschwieg die Mutter der 13-jährigen Tochter, dass sie unchelich geboren worden war. Die Familiengeschichte, die die Mutter der Tochter