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— 1944/45) aus Wien, die in Auschwitz ermordet wurde. Sie war die Schwester von Leopold Weiss (1900 - 1992), der sich nach seinem Übertritt zum Islam 1926 Muhammad Asad nannte und bereits in Indien lebte. Das Britische Konsulat in Wien gewährte Rachel kein Visum; sie, ihr Vater Karl Weiss und ihre Stiefmutter Berta wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Über den Journalisten und späteren Diplomaten Muhammad Asad schreibt Günther Windhager in „Going East - Going South“ (vgl. ZW September 2014). Die Forschungen von Margit Franz schließen eine wesentliche Lücke zu Exil in der NS-Zeit. Sie stellen eine Würdigung der Menschen dar, die vertrieben, deklassiert und entrechtet wurden, sie zeichnen aber auch ein Bild der großartigen Anstrengungen und Leistungen, die sich hinter Im Unteren Werd Christen und Juden sind guter Dinge um die Jahreswende 1624/25: Die Christen jubeln, weil sie ihre jüdischen Nachbarn und Konkurrenten innerhalb der Stadtmauern los sind, die Juden hoffen auf Ruhe und Sicherheit in dem durch Kaiser Ferdinand I. zugewiesenen Stadtteil jenseits der Donau. Die Epoche vom Einzug der Wiener Juden im Unteren Werd (der späteren Leopoldstadt) bis zu ihrer Vertreibung 45 Jahre später bildet den historischen Rahmen für die Erzählung „In der Judenstadt“ (Czernin Verlag) von Claudia Erdheim: Die Autorin hat sich eingehend mit der Materie beschäftigt, neben den Wiener Geschehnissen zitiert sie epochenprägende Ereignisse wie den 30-jährigen Krieg und den ChmelnyzkyjAufstand. Ein Quellenverzeichnis ist beigefügt. Die Leserinnen und Leser haben sich um Derartiges wenig zu kümmern — die Handlung reißt sie auf temporeichen 130 Seiten mit sich fort: Hinaus zunächst mit Sack und Pack aus den Stadtmauern rund um Kienmarkt und Judengässl im strengen Winter, hinüber über die vereiste Schlagbrücke und mitten hinein in die engen Stuben der Judenstadt, in den Alltag jüdischer Händler und Steuereintreiber. Im Zentrum steht die Familiengeschichte des Tuchhändlers Jocham Gerstl und seiner Frau Lena: Jocham ist viel unterwegs, zweimal im Jahr besucht er die Linzer Märkte, dazu kommen Reisen nach Prag und Mähren. Lena näht zuhause Kleider, gebiert und ernährt Kinder, die sie allzu oft dann am Sterbebett betrauert. Anhand zahlreicher weiterer Figuren bringt Erdheim einen Querschnitt der sozialen Gruppen der Judenstadt, die alsbald durch eine Mauer abgeschirmt (und zugleich geschützt) wird: Das Spektrum reicht von der armseligen Mehrheit der Krämer bis zur wohlhabenden Minderheit der Münz- und Hofjuden, von frommen Halachisten über Messianisten (Sabbathai Zwi ist in aller Munde), Kabbalisten bis hin zu den Synagogenvermeidern. dem kargen Wort Zuflucht verbergen. Hingewiesen sei noch auf das „Persönliche Vorwort“ der Autorin, mit dem Bericht, wie sie im Jahr 2000 die Generalsekretärin des Indian National Congress Sonia Gandhi in New Delhi zu einem Privatgespräch traf (S. 7). Diese war mit dem Enkel von Pandit Nehru Rajiv Gandhi bis zu seiner Ermordung 1991 verheiratet. Sonia erfuhr erst durch Margit Franz, dass Nehru wesentliche Beiträge zur Rettung von Flüchtlingen vor dem Nationalsozialismus geleistet hatte, und ermunterte die Autorin, darüber weiter zu forschen. — Dieser persönliche Akzent gibt dem wissenschaftlichen Werk zusätzlich Farbe und engagierten Schwung. Es fehlt die Erklärung des Titels. „Gateway of India“ ist das riesige steinerne Tor im Hafen von Mumbai (Bombay), 1911 bis 1924 im indosarazenischen Stil errichtet „als Erinnerung an Es ist dann die spannungsgeladene Kontaktgeschichte der Judenstadt mit der „Außenwelt“, die die Erzählung vorantreibt. Die Autorin schöpft hier aus dem Vollen und zeigt ein schwieriges Beziehungsgeflecht: Es reicht von gegenseitiger Hilfestellung, etwa in Form der ärztlichen Versorgung (schön gezeichnet: der allseits verehrte Medikus Elia Chalfan) am einen Ende der Skala bis hin zu wiederkehrenden Ritualmordvorwürfen und Gewaltausbrüchen am anderen Ende: Immer wieder ist es die Wiener Studentenschaft, die das Ghetto mit Plünderung und Mord bedroht. Zwischen diesen Polen ist viel Raum für die verschiedensten Formen alltäglicher Interaktionen, wozu Geschäftsbeziehungen ebenso zählen wie christliche Missionsbestrebungen. Dazu kommen viele Lebensbereiche, in denen sich Juden und Christen voneinander abschotten. Was aber passiert, wenn es zu interreligiösen Intimitäten kommt, illustriert die Affäre zwischen dem (seiner zänkischen Frau überdrüssigen) jüdischen Pfandleiher Samuel Israel und der Christin Anna Stöffler. Als ihre Schäferstunden auffliegen, müssen beide die Stadt verlassen: Sie auf Anordnung des Wiener Stadt- und Landesgerichts, er auf Geheiß der jüdischen Gemeinde. Bitterböser Nachsatz, hier dem Gedankengang des Vaters folgend: „Samuel hatte ganz recht. Aber es hätte keine Christin sein dürfen.“ Dem verengten Horizont, von Juden ebenso wie von Christen, stellt sich die Autorin durch derartige Pointen immer wieder in den Weg, ohne dabei je zu werten. Erdheims Schreibstil ist sachlich, schonungslos und lakonisch. Das passt gut zu Form und Umfang dieser Erzählung. Die Sätze sind gewohnt kurz, die Handlung wird atemlos vorangetrieben. Es fehlt nicht an Ironie - sie reicht von einer unschuldigen Schalkhaftigkeit bis zur bitterbösen Satire. Auf die Spitze getriebene Lakonie führt zu komischen Momenten: „Die Synagoge brennt. Eine Kerze ist umgeknickt. (...) Nur der Schammes ist in der Synagoge. Er rennt hinaus und schreit: Die Synagoge brennt!“ Gefolgt im den Besuch des britisch-indischen Kaiserpaares im Jahr 1911 in Indien“, später für tausende Flüchtlinge aus Mitteleuropa ein „Symbol für die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit“ (S. 9). Ein Bild dieses Tores von dem Grazer Maler Walter Langhammer schmückt das Cover des vorliegenden Buches. Die Autorin versteht es als Zeichen von überwundenem Kolonialismus und als Appell, offen zu sein für die Aufnahme von Verfolgten. Geschrieben im Juli 2015, Monat der Flüchtlingsströme nach Europa. Hedwig Wingler Margit Franz, „Gateway India. Deutschsprachiges Exil in Indien zwischen britischer Kolonialherrschaft, Maharadschas und Gandhi“. CLIO Verlag Graz 2015. 468 5. Absatz darauf von: „Lembels Pferde haben alle Läuse. Eine Katastrophe. Ununterbrochen kratzen sie sich. Ein Pferd mit Läusen kann er weder verkaufen noch vermieten.“ Die Geschichte der Familie Gerstl nimmt einen unheilvollen Lauf, als Jocham zum Steuereintreiber innerhalb der Judenstadt bestimmt wird. Bald geraten die Eheleute in einen Strudel an Missgunst und Verleumdung, an dessen Ende der gewaltsame Tod der nach historischer Vorlage geschaffenen Figur der Lena Gerstl steht. Die genauen Hintergründe werden in der Erzählung ebenso wenig aufgedeckt wie vor 350 Jahren. Und dann naht das Ende der Judenstadt am Unteren Werd: Der Schutz durch den Hof beginnt im Jahr 1666 zu bröckeln, als Kaiser Leopold I. die antijüdisch gesinnte Spanierin Margarita heiratet. Zum Tod des Neugeborenen gesellt sich der Großbrand der Burg („ein böses Vorzeichen“). Der Volkszorn lenkt sich auf die Juden, Bischof Kollonitsch heizt ihn weiter an. Vorwürfe der Steuerhinterziehung an den im Ghetto ebenso einflussreichen wie ungeliebten Hirschel Meyer tun ein Übriges: Bis zum Fronleichnamsfest 1670 müssen alle Juden Wien verlassen. Claudia Erdheim präsentiert ihre Erzählung leichtfüßig vor dem Hintergrund eines sorgfältg recherchierten historischen Rahmens. Wie in ihren letzten beiden historischen Romanen Betty, Ida und die Gräfin und Längst nicht mehr koscher unternimmt sie auch hier den Versuch, zu zeigen „wie es hätte sein können“. Ein überaus gelungenes Unterfangen. Paulus Adelsgruber Claudia Erdheim: In der Judenstadt. Erzählung. Wien: Czernin 2015. 144 5. € 18,90 September 2015 97