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Editorial Auf der Flucht — in Wahrheit ist das grob gerasterte Bild, das Joseph Schmidt auf der Flucht in die Schweiz“ zeigen soll (MdZ Nr. 1/1997, S. 47), eine Photomontage. Der schmiachtige Sanger läuft geduckt durch einen finster aufragenden Wald, trägt Hut und Mantel und schleppt links und rechts je ein Gepäckstück. Etwas von der atemlosen Not des Flüchtens vermittelt das Bild dennoch. Schmidt wurde dann ins Internierungslager Gierenbad eingewiesen. Die Umstände seines Todes sind bekannt; einen Herzinfarkt behandelte man bei dem Internierten mit einem Mittelchen gegen Halsweh. Die Vorstellung, die Flucht aus Hitlerdeutschland und den von ihm beherrschten Gebieten sei gewissermaßen in zivilen Formen vor sich gegangen, ist nur zum geringsten Teil zutreffend: Die große Masse der Flüchtenden mußte sich damals wie heute Schleppern anvertrauen, mußte abenteuerliche Fußmärsche auf sich nehmen, wurde zurückgewiesen, versuchte es wieder, um dann oft erst recht den Verfolgern in die Hände zu fallen. Georg Stefan Troller, der im September im Literaturhaus Salzburg mit Hazel Rosenstrauch über Rückkehr und Nicht-Rückkehr aus dem Exil diskutierte, erinnerten die Bilder aus den ungarischen Lagern an das, was den Flüchtlingen einst in Frankreich widerfahren war, z.B. an das Lager Meslay-du-Maine oder an Saint-Cyprien, wo zehntausende Flüchtlinge aus Spanien Anfang 1939 hinter Stacheldrahtzäunen am Strand zusammengepfercht wurden. Und auch solche Dinge dürften damals wie heute immer wieder geschehen sein: Einem syrischen Flüchtling nahm ein ungarischer Gendarm seine Tabletten ab und schmiß sie weg; es war ein teures Medikament zur Behandlung von Hepatitis C. Es geschahen und geschehen auch Dinge, die unwahrscheinlich anmuten. Ein österreichischer Spanienkämpfer, Georg Nürnberger, erzählte, er habe, in Saint-Cyprien interniert, ein frei laufendes Pferd gestohlen, das die Internierten in ihrer Not geschlachtet und verzehrt hätten. Als wir das 1983 lasen, glaubten wir, Nürnberger habe geflunkert. Inzwischen ist bekannt, daß tausende Pferde, Kühe, Ziegen, die die Flüchtlinge aus Spanien mitgebracht hatten, rund um das Lager und im Lager umherirrten. Möglicherweise geht es HistorikerInnen in 50 Jahren ähnlich: Sie werden es als ein Märchen abtun, dass Österreich und Deutschland im Spätsommer und Herbst 2015 ihre Grenzen für Flüchtlinge einfach öffneten. 2001 schrieben Siglinde Bolbecher und ich angesichts der durch Terroranschläge in den USA verursachten Katastrophe im Editorial von ZW Nr. 3/2001: ‚Manche prophezeien nun, bewufst oder unbewufst an Oswald Spengler und Arnold Toynbee anschliefSend, einen ,,Krieg der Zivilisationen“ (so Chefredakteur Andreas Unterberger in der ,, Presse“, 15.9.2001). Den chronischen oder latenten Bürgerkrieg, der in vielen Staaten der sogenannten „Dritten Welt“ tobt, wollen sie nicht wahrhaben. Diese Bürgerkriege sind Folge der ungelösten und oft auch unlösbar gewordenen Lebensfragen ganzer Nationen. Der Terror nach aufen dient heute den reaktionärsten Parteien dieser Bürgerkriege als Waffe der Propaganda nach innen. Der „Krieg der Zivilisationen“ lenkt nicht allein von den wirklichen Problemen ab und entlastet von der eigenen geschichtlichen Verantwortung. Er ist auch eine Parole jener politischen Kräfte, die eine konservative Neuformierung der 4 ZWISCHENWELT Gesellschaft anstreben (bei gleichzeitiger ungehemmter wirtschaftlicher Liberalisierung). Erfordern die jüngsten Terroranschläge in Frankreich, bei denen die Bevölkerung eines Landes als Geisel genommen wird, um die Regierung zu einem Kurswechsel gegenüber dem „Islamischen Staat“ (IS) zu veranlassen, eine Neueinschätzung? Hat der französische Präsident Frangois Hollande nicht von einem Krieg gesprochen, den eine auswärtige Macht gegen Frankreich führe? Es handelt sich jedenfalls um keine Art der Kriegsführung, die geeignet wäre, Frankreich in die Knie zu zwingen. Der Massenmord ist für die Drahtzieher und Akteure — so grauenhaft das klingt - eine Form der Propaganda. Ihren in die Enge getriebenen Gesinnungs- und Kampfgenossen demonstrieren sie ihre Fähigkeit, Vergeltung zu üben. Nicht verhindern können sie damit den Zusammenbruch ihrer fragilen Territorialherrschaft in Syrien und im Irak, die rasch zu beenden die dringendste Aufgabe ist. Eigenartig berührt, daß die Ereignisse in Paris im Zusammenhang mit der Massenflucht nach Europa in einem „Kulturmontag“ des ORF am 16.11.2015 dazu genutzt wurden, eine unheilvolle Allianz zwischen den Forderungen einer Alice Schwarzer, die Rechte der weiblichen Flüchtlinge zu achten und sie gegen Attacken anderer Internierter zu schützen, und selbsternannten Verteidigern des christlichen Abendlandes zu konstruieren. Der zum Ihema geladene Politologe Farid Hafez sprach von anderen „Lebensentwürfen“ mit entsprechend anderer „Rollenverteilung“, die man zu respektieren habe, wenn man nicht totalitär sein wolle. „Das Weib ist dein Acker“, verkündet dem Manne der Koran. Von da bis zu dem Wunsche, heimische Gerichte sollten bei Muslimen die Scharia anwenden, ist's nur ein Katzensprung. Nicht nachgegangen wurde hingegen den Hinweisen der Zeitschrift „Emma“ auf Übergriffe gegen Flüchtlingsfrauen. Konstantin Kaiser Paul Grüninger Preis 2015 Am 27. November wurde der nach dem St. Galler Polizeihauptmann Grüninger (1891 — 1972) benannte Preis wieder vergeben. Er rettete durch Mißachtung der Vorschriften 1938/39 hunderten Flüchtlingen, vor allem aus Österreich, das Leben. Dafür wurde er entlassen und verurteilt und erst nach seinem Tod rehabilitiert. Ein Schlepper also oder ein Komplize von Schleppern, sähe man ihn mit den Augen eines H.C. Strache. Preisträger (50.000 Franken) ist heuer die andalusische Landarbeitergewerkschaft SOC-SAC aufgrund ihres „selbstlosen und mutigen menschenrechtlichen Einsatzes für die Ärmsten der Armen“. Anerkennungen (je 10.000 Franken) wurden jeweils der „Autonomen Schule Zürich“ und dem „Refugee Protest Camp Vienna“ ausgesprochen. Letztere mit der Begründung: „Im Winter 2012 zogen Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus dem österreichischen Betreuungszentrum Traiskirchen zu Fuss in die Stadt Wien, um aufihre prekären und menschenunwürdigen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Wochen und Monate campierten die Flüchtlinge in der eiskalten Wiener Votivkirche und im Servitenkloster: Nach vielen Aktionen und Protesten wurden acht von ihnen aus Österreich abgeschoben.