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Dante Alighieri und an der Tourismus-Fachhochschule Salzburg. Sie arbeitet als Dramaturgin und Theaterregisseurin in Österreich, Deutschland und Italien und ist Gründerin der Kulturvereinigung „tango AMPHITEATRUM salzburg“, wo sie Kurse für Tanz und Theaterimprovisation abhält. Sie erhielt zahlreiche internationale Literaturpreise, darunter „Firenze-Europa“ 2001 (Florenz) in der Sparte Theater und „Schreiben zwischen den Kulturen“ 2004 (Wien) für Lyrik. Seit 2013 lebt sie sowohl in Salzburg als auch in Padua. Konstantin Kaiser Geborene Werner Erinnerung an Thea Scholl (1916 — 2015) Es gab auch solche Konflikte. Die Religionslehrerin Rosenfeld verlangte von dem Kind, daß es am Sonntag zum Unterricht in den Tempel komme, doch der Vater, Sozialdemokrat, verbot dem Kind, sich religiös zu betätigen. Aufdden Straßen waren die vielen galizischen Flüchtlinge durch ihre Kleidung zu erkennen. Die Männer trugen noch die schwarzen Gehröcke und die schwarzen Zylinder und Melonen zum Zeichen ihres Judentums; kaum vierzig Jahre vorher waren die Anhänger der jüdischen Aufklärung in diesen Gehröcken und mit diesen Zylindern am Sabbath über den Ring in Czernowitz, Kimpolung, Sereth, Sienawa marschiert, mitten durch das empörte Wispern und Fingerzeigen der Orthodoxen, die den Kaftan trugen. Jetzt war das Gewand der Aufklärer zur Tracht der Orthodoxen geworden, und die jüdischen Aufklärer von einst waren Sozialdemokraten, glattrasiert und ohne Schläfenlocken. Diese . radikale Rotte weiß nichts von einem Gotte. Sie tragen die Köpfe geschoren egal, ganz radikal, ganz ratzekahl. Wir reden über das Viertel zwischen den drei neuen Straßen: der Ausstellungsstraße, über die die Fürstin Pauline Metternich einst ihren jährlichen Blumenkorso leitete, ein Frühjahrsfest der feinen Gesellschaft, zu der die Familie Werner natürlich keinen Zutritt hatte; der Lassallestraße (der einstigen Schwimmschulallee), die zu der neuen Donaubrücke, der Reichsbrücke, führte; und dem Handelskai, der entlang der nun regulierten Donau und der Donauuferbahn die Zufahrt zu den Lagerhäusern und Schiffsanlegestellen ermöglichte. Die meisten Häuser im Viertel waren keine zwanzig Jahre alt, als die kleine Dorothea Werner hier die Volks- und Hauptschule am Max Winter-Platz besuchte. Was dem atheistischen, areligiösen Vater da eingefallen war, oder der Mutter: Dorothea. Dreht man den Namen einmal um, weiß man, was er bedeudet: Theodora, Gottes Geschenk, Gabe Gottes. Also blieben von den vier Silben von Dorothea bald nur zwei, Thea, das klingt nach Thesis, These, Entschiedenheit. Wir sind aber noch in der Zeit, in der der kleinen Thea das Viertel ungeheuer alt vorkam, alt und verkommen, und durch und durch verlaust. Die Läuse marschierten, schien es, durch die Dachböden, vermehrten sich über ganze Straßenzüge. Es lag nicht nur an den Läusen. Es waren billige Quartiere, oft billig gebaut. Die Wohnungen waren sogar billiger (und kleiner) als die in den von der Gemeinde Wien errichteten Bauten. Eine späte Gründerzeit vor dem Ersten Weltkrieg: Hier stellten die Zu ihren Veröffentlichungen gehören „Fremde Länder/Terre Straniere“ (Gedichte) 2004, „Tutto quello che avreste voluto sapere sul tango“ (Roman) 2006, „Alles, was Sie über Tango wissen wollten“ (Roman) 2008, „Le storie sdrucciole“ (Erzählungen) 2009, „Un amore in cerca dautore“ (Roman) 2012, „Il tempo leone“ (Gedichte), Tandem Edition Salzburg 2013, „Alla ricerca di un tango perduto“ (Roman) 2014. Alle Bücher Raffaella Passiatores in italienischer Sprache sind bei Florestano Edizioni, Bari, erschienen. Thea Scholl (6.5.1916 Wien — 25.9.2015 Wien), geboren als jüngstes von vier Kindern, besuchte Volks- und Hauptschule in Wien-Leopoldstadt, ein Jahr Handelsschule; Mitglied der „Roten Falken“ und der Sozialistischen ArbeiterJugend. Auftritte mit der sozialistischen Agitprop-Gruppe „Rotes Kunstkollektiv“. Bis März 1938 Arbeit in einem Rechtsanwaltsbüro mit jüdischen Inhabern. Am 24.12.1938 Abreise von Wien mit einem englischen Domestic Permit. Arbeit als Dienstmädchen in Newquay und London, als Kellnerin im Austrian Centre, als Sekretärin für das Exilkabarett „Laterndl“, Fabrikarbeiterin. Im September 1940 in London Heirat mit Dr. Friedrich Scholl, Arzt (5.6.1911 Wien — 25.6.1985 Wien); Geburt des Sohnes Tony. Evakuierung nach Wiltshire; Ubersiedlung nach Leeds. 1943 Geburt der Tocher Emmy. Im September 1946 Rückkehr nach Österreich. 1949 Geburt der Tochter Susanne. Aktivität für die Kommunistische Partei Österreichs, von der Friedrich und Thea Scholl sich infolge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 lossagen. Bürger nicht mehr ihre eigenen Behausungen auf, sondern legten ihr Geld in Zinshäusern an. Die Geldanlagen hatten rasch ihren Wert verloren, durch den vom Kaiser Karl notverordneten Mieterschutz, der die Höhe der Mieten auf die sogenannte Friedenskrone einfror. Kaiser Karl blieb nach den Hungerrevolten im Winter 1917 nichts anderes übrig, um die „Heimatfront“ zu halten. Und den Hausherren blieb nur, aufihren Geldanlagen zu sitzen, keinen Groschen hineinzustecken und aufbessere Zeiten zu warten. Hier waren in kurzer Zeit Generationen von Flüchdingen und Zuwanderern durchgegangen, die Galizianer, vom Krieg im Dezember 2015 11