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Hazel Rosenstrauch

Dankesworte bei der Verleihung des Theodor Kramer Preises im
Pfarrsaal Niederhollabrunn, 12. September 2015

Natürlich wusste ich schon, bevor ich den Preis bekam, wer
‘Theodor Kramer ist, kannte seine Gedichte, z.B. aus der ,,Zwi¬
schenwelt“, aus deren Vorgängerin „Mit der Ziehharmonika“
und aus verschiedenen Vertonungen. Für die Vorbereitung auf
diesen Festakt habe ich Kramers Biographie genauer studiert und
muss vorweg über komische Zufälle reden: Der „Lebenschronik“
von Erwin Chvojka und Konstantin Kaiser entnehme ich, dass
Kramers Eltern in der Goltzgasse gewohnt haben. Dort wohnt
seit vielen Jahren mein Sohn. Mit seiner Frau zog Kramer in den
Kaasgraben — wo jahrzehntelang meine Eltern gewohnt haben.
Und dann wird noch eine Bleibe in der Hameaustraße erwähnt,
dort hatte ich — auch Jahrzehnte nach ihm — meine erste eigene
Wohnung in Wien.

Es gibt noch andere Verbindungen: die englische Emigration,
das Austrian Centre (in dem sich meine Eltern kennengelernt
haben) oder die Internierung auf der Isle of Man, wo mein Vater
dem Dichter begegnet sein könnte. All das ist natürlich kein
Grund, diesen Preis zu bekommen — und entgegenzunehmen.
Es ist ein Preis für Schreiben im Exil und im Widerstand..., ich
lebe nicht im Exil und bin auch nicht zu Widerstand genötigt;
manchmal schreibe ich über Menschen, die im Exil waren, und
solche, die Widerstand gegen ein ihnen zugedachtes Schicksal
geleistet haben. Da ich gerne die Bedeutung von Worten und
in meinen Büchern ja auch die Vergangenheit ändere (mit der
Gegenwart gelingt es mir derzeit nicht), habe ich den Titel des
Preises für mich in „Schreiben über Exil und Widerstand“ geändert.
Außerdem stimme ich Konstantin Kaiser zu, dass man Begriffe,
die wir jahrelang benutzt haben, heute anders anschauen muss.

Ich danke den Preis-Verleihern, dass sie überhaupt auf die
Idee gekommen sind, mich in die eindrucksvolle Reihe früherer
Preisträger zu stellen, und danke nochmals extra, weil sie mich
zwingen, über Begriffe und Formeln neu nachzudenken, die ich
schon ad acta gelegt hatte. Einer der Anlässe, warum ich das Wort
Exil umkreise und abtaste, hat damit zu tun, dass die Dichter
und Künstler, die nach dem Krieg meist unbekannt waren oder
totgeschwiegen wurden, mittlerweile als Objekte einer Fachwis¬
senschaft sortiert, eingeordnet und als Themen für Doktorarbei¬
ten oder Fachkonferenzen begehrter sind als am Buchmarkt. Es
gibt in Österreich (anders als dort oben im Norden, wo ich lebe
und man angeblich die gleiche Sprache spricht), dafür den hüb¬
schen Ausdruck „schubladisieren“. Bei manchen Arbeiten über
Exil und die Flüchtlinge der 1930er und 40er Jahre — seien sie
akademisch oder fiktional — denke ich an das berühmte, Gustav
Mahler zugeschriebene Zitat: „Tradition ist die Weitergabe des
Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Und mit Blick auf
eine Generation, für die der Zweite Weltkrieg ferne Geschichte
und die Gegenwart voller Flüchtlinge ist, stelle ich mir die Fra¬
ge: Wie kann man die Gedanken und Gefühle der Exilautoren
von damals aus der Büchse holen, damit sie auch die Gegenwart
beleuchten und womöglich Unruhe stiften können?

Während ich an diesem Text schreibe, wird in den Nachrich¬
ten von brennenden Flüchtlingsunterkünften und grölenden

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Demonstranten berichtet. Allerdings auch von erstaunlich vielen
hilfsbereiten „normalen“ Menschen. Als Kind von Emigranten
hatte ich quasi naturgegeben stets mehr Verständnis für Immig¬
ranten als „gewöhnliche“ Österreicher und Deutsche. Als Kind
der Nachkriegszeit bin ich nun verblüfft, wie viele „normale“
Deutsche (und auch Österreicher) den Flüchtlingen helfen. Es
ist aus meiner Kenntnis der Geschichte so gar nicht selbstver¬
ständlich... und wie man nun sicht, kein Privileg von Leuten,
die Erfahrung mit Flucht und Exil haben. Ob dies eine Folge
der Auseinandersetzungen mit Geschichte und Geschichten ist?
Vielleicht... auch das wäre ja eine hübsche Doktorarbeit.

Theodor Kramer kann, wie wir gehört haben, heute noch vertont
werden, ohne an Kraft zu verlieren, ich habe da meine Vermutun¬
gen, warum das geht: Politische Aktivisten in der Emigration haben
seine Sprache und Bilder nicht unbedingt gemocht. In Kramers
Biographie lese ich, die Genossen — sozialdemokratische oder
kommunistische ist in dem Fall egal — hätten ihm übel genommen,
dass in seinen Gedichten getrunken, geträumt und gesungen
wurde. Auch ich habe noch solche Genossen gekannt, die stets
„ein Ziel vor den Augen“ hatten. Jederzeit kampfbereit, mit karger
Sprache immer nur geradeaus schauend, ohne Abweichungen. Es
ist und war ein Dilemma, über das KünstlerInnen oft klagen, und
wenigen gelingt es, Weltverbesserung und Zärtlichkeit, Kampf
und Sinnenlust zu vereinbaren. Sodass die einen nur singen und
die anderen sich um die Plakate und Aktionen kümmern. Und
beide dabei verkümmern.

In Kramers Gesellschaft fühle ich mich nicht nur wohl, weil er
vielleicht im gleichen Lager interniert war wie mein Vater oder
sich in der Kantine des Austrian Centre einen Kuchen an jener
Theke geholt haben könnte, hinter der meine Mutter gestanden
hat. Theodor Kramer hat in der Emigration oft geklagt — über
Cliquen, Freunderlwirtschaft im Literaturbetrieb und die Erfah¬
rung, dass er „draußen“ steht. Er hat aber auch betont, dass es
den Blick schärft, wenn man nicht „dazu“ gehört.

Die Trauer und Sehnsucht, über die wir bei Exilautoren lesen,
bezogen sich nicht nur auf die Vertreibung aus Ländern, die sie
für ihre Heimat gehalten hatten. Ihnen wurde nicht nur Hab und
Gut weggenommen, auch Worte, Rituale und Gefühle wurden
enteignet, umgedreht und missbraucht. Aus ihrer Geschichte habe
ich gelernt, wie wichtig die Arbeit an Worten ist.

Exil, Widerstand, Heimat und andere Worte, die noch vor
ein paar Jahren recht eindeutig waren, haben ihre Bedeutung
verändert. Man muss sie neu definieren und spezifizieren, seit
so viele Schriftsteller — Pakistani und Syrer, Künstler aus Kenia
und Autorinnen aus Myanmar und mehr Ländern, als ich hier
aufzählen kann - fliehen müssen und mit fremder Sprache und
Kultur konfrontiert sind. Das Leiden, das Gebildete von Vergil
und Dante kennen, hatte sich während des Tausendjährigen Reichs
tausendfach multipliziert, seither aber sind ständig neue Autoren
betroffen, die Schreibverbot haben, sich verstecken müssen und
in ein fremdes Land gehen.

Exil setzt voraus, dass jemand eine Heimat verlassen hat, die
er liebt, nach der man sich sehnt, in der er und sie sich heimisch
fühlen. Aber auch in der zeitgenössischen Literatur von Autoren,