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vergleichbare EinwohnerInnenzahl hatte, aber weitaus wohlhabender, urbanisierter und ein klassisches Einwanderungsland war. Die Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich konnten mit der Ausreise nach Bolivien ihr Leben retten, aber die Existenzbedingungen dort waren für sie mehr als schwierig. Da die allermeisten der ankommenden Juden und Jüdinnen tatsächlich nicht die Voraussetzungen mitbrachten, in der Landwirtschaft zu arbeiten, mussten sie versuchen, in den wenigen Städten zu überleben. Dort gab es aber kaum Arbeitsmöglichkeiten für sie, zumal auch hier — wie überall in Südamerika, wo in den dreißiger Jahren Flüchtlinge aus Europa eintrafen — Standesorganisationen durchsetzten, dass eingewanderte jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und andere FreiberuflerInnen nicht oder nur in Ausnahmefällen in ihren Berufen arbeiten und praktizieren durften. Abgesehen von der prekären ökonomischen Situation litten viele der jüdischen ImmigrantInnen unter dem Höhenklima. La Paz, damals weitaus größte Stadt Boliviens und Sitz seiner Regierung (oflizielle Hauptstadt war und ist Sucre, wo aber nur der Oberste Gerichtshof residiert), liegt zwischen 3300 und 3800 Metern über dem Meeresspiegel, die Bergbauzentren, wo es— wenn auch in geringem Maße - in den Verwaltungen der Minen einige Beschäftigungsmöglichkeiten für Flüchtlinge mit entsprechender Berufsausbildung gab, lagen sogar noch höher. Die meisten Flüchtlinge versuchten sich zunächst als KleinhändlerInnen durchzuschlagen. Wenn sie dann über etwas Kapital (z.B. durch einen Kredit von einer jüdischen Hilfsorganisation) und entsprechende Fähigkeiten verfügten, eröffneten sie kleine Handwerksbetriebe, Cafes oder Geschäfte. Dennoch blieb die wirtschaftliche Lage vieler jüdischer Einwanderer prekär, so dass schon während des Krieges in Europa eine ganze Reihe versuchten - manchmal legal, überwiegend aber illegal — nach Argentinien zu gelangen, wo ihnen die Lebensbedingungen wesentlich günstiger erschienen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließ das Gros der Flüchtlinge Bolivien vor allem in Richtung Argentinien und USA. Neben der schwierigen ökonomischen und klimatischen Situation dürften auch die besonderen gesellschaftlichen Strukturen Boliviens dafür verantwortlich gewesen sein, dass nur vergleichsweise wenige der jüdischen Einwanderer in der Andenrepublik heimisch wurden. Die Mehrheit der Bevölkerung bildeten Indigenas, die häufig wenig Kontakt zur weißen und mestizischen Gesellschaft hatten, welche ihnen ihre grundlegenden Rechte vorenthielt. Meistens lebten sie als abhängige Kleinbauern und -bäuerinnen im andinen Hochland, wo Aymara oder Quechua gesprochen wurde, so dass viele Indigenas kein oder nur wenig Spanisch verstanden. Anders als etwa in Argentinien gab es in Bolivien nur eine schr schmale Mittelschicht und damit Angehörige desjenigen sozialen Milieus, dem die meisten jüdischen Einwanderer in Europa entstammten. Die meisten bolivianischen MittelständlerInnen begegneten den besser ausgebildeten Europäerlnnen mit Misstrauen, weil sie in ihnen KonkurrentInnen um die raren angemessen bezahlten Arbeitsplätze sahen. In seinen Erinnerungen an seine „unfreiwilligen Wanderjahre“ erzählt der Literaturwissenschaftler Egon Schwarz, in den zehn Jahren seines Exils in Bolivien und Südamerika habe er nie das Haus eines Einheimischen betreten, während er nach seiner Übersiedlung in die USA dort sofort Freundschaften geknüpft und sich nach einiger Zeit als mehr oder weniger integrierter Bürger der Vereinigten Staaten gesehen habe. Einer der Juden, der 1939 aus Deutschland nach Bolivien kam, war Erich Eisner. Seine Geschichte und sein Beitrag zum Kulturleben des Landes, in dem er Aufnahme fand, sind ebenso einzigartig wie emblematisch. Erich Eisner wurde 1897 in Prag geboren, kam aber schon vor seinem ersten Geburtstag mit seinen Eltern nach München, wo er die Kindheit und Jugend verbrachte. Wie viele junge jüdische Männer in Deutschland meldete er sich 1914 freiwillig für den Kriegsdienst und war bis 1918 Offizier der kaiserlichen Armee. Ab 1919 studierte er in München Musik mit den Schwerpunkten Klavier, Komposition und Operndramaturgie. 1921 bis 1923 absolvierte er ein Voluntariat am Münchener Nationaltheater als Assistent von Bruno Walter, einem der bedeutendsten Dirigenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1923 nahm Erich Eisner den Künstlernamen Erich Erck an. Hintergrund war seine Furcht vor Schwierigkeiten mit dem Nachnamen Eisner, sobald er versuchte, Stellungen als Kapellmeister bei städtischen Bühnen oder Orchestern zu bekommen. Alleine die Namensgleichheit mit dem 1919 ermordeten linkssozialistischen ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, der 1918 den „Freistaat“ Bayern (gemeint war: frei von monarchistischer Bevormundung und Unterdrückung) ausgerufen hatte, löste zu dieser Zeit bei rechtsbürgerlich oder sozialdemokratisch geführten Kulturdezernaten offensichtlich bereits Argwohn aus. Mit dem unverdächtigen Pseudonym war Erich Erck dann ab 1923 als Kapellmeister bei Orchestern in Klagenfurt, St. Pölten, Stuttgart, Leipzig und Landshut tätig, che er 1930 nach München zurückkehrte. Die Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten bzw. eine von der NSDAP geführte Koalitionsregierung im Januar 1933 nahm Erich Erck alias Eisner die Möglichkeit, weiter mit kommunalen Orchestern zu arbeiten. Eine bereits zugesagte Stelle als Dirigent am Stadttheater Stuttgart konnte er 1933 nicht mehr antreten. 1935 wurde ihm, wie allen jüdischen Künstlern und Künstlerinnen, untersagt, öffentlich aufzutreten und seinen Künstlernamen weiterhin zu verwenden. Einzige Ausnahme vom Auftrittsverbot waren geschlossene Veranstaltungen vor jüdischem Publikum. Dafür, dass diese stattfinden konnten, engagierte sich Erich Eisner bereits 1933. Im Oktober jenes Jahres gehörte er zu den InitiatorInnen des Jüdischen Kulturbundes in Bayern. Nach dem Vorbild des im Juli 1933 in Berlin gegründeten Kulturbundes bildeten sich 1933/34 in zahlreichen deutschen Großstädten jüdische Kulturvereine. Sie wollten der zunehmend ausgegrenzten jüdischen Bevölkerung weiterhin die Gelegenheit bieten, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen und den erwerbslos gewordenen jüdischen KünstlerInnen Auftritts- und damit auch Verdienstmöglichkeiten eröffnen. Erich Eisner wurde von den anderen Münchener Gründungsmitgliedern beauftragt, bei den Behörden und der politischen Polizei die offizielle Registrierung des Jüdischen Kulturbundes in Bayern zu beantragen, die die Voraussetzung aller weiteren Aktivitäten war. Dass man Eisler mit dieser heiklen Aufgabe betraute, war wohl zum einen darin begründet, dass er über diplomatisches Geschick verfügte, zum anderen vor allem aber darin, dass er Weltkriegsveteran war. In der ersten Phase des NS-Regimes hatte die NSDAP mit Rücksicht auf ihre deutschnationalen Bündnispartner ehemaligen jüdischen „Frontkämpfern“ eine gewisse Sonderstellung eingeräumt. So hofften Eisners KollegInnen im Gründungsausschuss, mit ihm als Delegierten die Anerkennung Dezember 2015 37