ihn ist, beginnt zu trinken und wird nach Rio weiterverkauft.
Aufgrund seiner Bildung landet er aufeinem Handelsschiff, das
eine Lieferung Kaffee nach New York transportieren soll. Nach
der Überlieferung ist das erste Wort, das Mahommah und seine
zwei Begleiter auf Englisch lernen, F-R-E-E. In New York versucht
er zu fliehen und wird ins Gefängnis geworfen; er entkommt mit
Unterstützung einiger lokaler Abolitionisten. Nach zwei Jahren in
Haiti, wo er zum Christentum konvertiert, kehrt er zurück nach
New York, geht aufs Central College und engagiert sich in der
abolitionistischen Bewegung. 1857 AD veröffentlicht er in Detroit
seine Autobiographie „An Interesting Narrative. Biography of
Mahommah G. Baquaqua“, die im Herbst des Jahres 2015 west¬
licher Zeitrechnung in Brasilien erstmals und als bislang einzige
Autobiographie eines Sklaven in portugiesischer Sprache erscheint.
1857 AD reist er nach Liverpool; dort verliert sich seine Spur.
1858 AD gelingt es Heinrich Barth, Rene Caillie in Europa zu
rehabilitieren, indem er dessen Beobachtungen in Timbuktu durch
seine eigenen bestätigt. Ren& ist da schon tot. In den folgenden
Jahren wird sein Vermächtnis mehr und mehr von der franzö¬
sischen Außenpolitik vereinnahmt werden; 1885 AD schreiben
seine Biografen, er sei „der Wegbereiter der großen Dinge, die
sich mehr als fünfzig Jahre nach ihm unter unseren Augen erfül¬
len“, er habe „eine Route vorgezeichnet, und diese Route, die er
monatelang schmerzlich durchwanderte zum Preis unerhörter
Ermüdungen - schon heute können wir den Tag vorherschen, an
dem sie uns, durchfurcht von Dampfmaschinen, alle Reichtümer
Zentralafrikas preisgeben wird.“
1895 AD macht Edward Sheriff Curtis Fotos von Kikisoblu,
der Princess Angeline genannten Tochter von Si’ahl, auch Noah
Seattle, auch Chief Seattle, dem Oberhaupt der Duwamish auf
dem Gebiet, das die Weißen Washington nennen, und kommt auf
den Geschmack: Die nächsten dreißig Jahre reist er wie verrückt
durch Nordamerika und fotografiert Native Americans. Auf den
Fotos fehlen alle Zutaten euroamerikanischer Prägung, er will
traditionelle Lebensformen dokumentieren, bevor sie untergehen.
In Wirklichkeit lebt zu dieser Zeit in den ganzen Vereinigten
Thassilo Hazod
Der Tourist
Hier steht ein Tourist, angekommen in der Fremde. Er ist einer
unter anderen, dann einer mit einer seinesgleichen unter anderen,
dann einer unter seinesgleichen und mit seinesgleichen unter an¬
deren. Hier ist er nicht allein. Er beginnt zu schlendern, am Kai,
in den Basar, zwischen den Verkäufern hindurch. Dieser Mann
scheint alle Kraft in seinen Beinen verloren zu haben. Warum
braucht er solange, um wohin zu gelangen, weiß er denn nicht,
wohin er möchte, da er angekommen ist? Denn er und seines¬
gleichen, seit der Wind sie traf auf der Flugzeugstiege, bewegen
sich kaum. Ich bin aufgeregt, sagt er, und nichts regt sich an ihm.
Ich lebe auf, sagt er, und mein Glück ist es hier zu sein. Es glänzt
um seinen Mund der Stolz und in seinen großen Augen auch.
Er wäre umsonst vor Ort, würde ihn die Anwesenheit hier nicht
glücklich und stolz machen, und würde es seinesgleichen, am
Nebentisch, am anderen Verkaufsstand, auf der Badeliege, nicht
glücklich machen, sie wären allesamt umsonst vor Ort.
Staaten kein einziger Stamm mehr außerhalb eines Reservats.
Edward tut aber noch etwas anderes, etwas wirklich Schlimmes:
Edward inspiriert Jimmy Nelson.
Jimmy Nelson glaubt-ach, wie auch immer. 2013 AD erscheint
sein Fotoband „Before Ihey Pass Away“, in dem er, was er „Ur¬
völker“ nennt, in ihrem ursprünglichsten Sinne zeigt, so wie sie
sein, wie sie leben sollten, mit ihrer Naturverbundenheit, ihrem
Zusammengehörigkeitsgefühl und ihrem Sinn für Tradition. Hier
die Reaktionen einiger Vertreter der darin Porträtierten.
Davi Kopenawa, Sprecher der Yanomami: „Ich sah die Fotos
und ich mochte sie nicht. Dieser Mann will in den Bildern nur
seine eigenen Vorstellungen verewigen, sie in Büchern veröffent¬
lichen und jedem zeigen, was für ein großartiger Fotograf er ist.
Aber er macht mit den indigenen Völkern, was er will. Es stimmt
nicht, dass indigene Völker aussterben. Wir werden noch lange
Zeit auf der Welt sein, unser Land verteidigen und weiterhin
Kinder zeugen.“
Benny Wenda, Sprecher der Dani: „Mein Volk ist immer noch
stark und wir kämpfen für unsere Freiheit. Wir sterben eben nicht
aus, sondern werden von indonesischen Soldaten umgebracht.
Das ist die Wahrheit.“
Nixiwaka Yawanawä von den Yawanawa: ,,Als Stammesmensch
fühle ich mich von Jimmy Nelsons Bildern beleidigt. Es ist ab¬
scheulich! Wir sterben nicht aus, sondern versuchen zu überleben.
Die industrialisierte Gesellschaft versucht, uns im Namen des
Fortschritts auszurotten, aber wir werden unser Land verteidigen
und zum Schutz des Planeten beitragen.“
Die Porträts kann man kaufen, sie kosten bis zu 55 000 €. Den
Erlös will Jimmy nicht den indigenen Völkern zukommen lassen,
auch nicht einen Teil davon. „Geld wird nicht bezahlt. Man bietet
Essen an, ein rituelles Fest mit einer Ziege oder Kuh“, sagt er.
Mathias Kropfitsch, geboren 1992 in Klagenfurt, lebt in Wien,
studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst. Pu¬
blikationen in „die Anstalten“ und „JENNY“.
Es wäre unverzeihlich, sein Glück hier nicht zu finden. Wem
stünde es schon zu, mit dem Ergebnis, kein Glücksgesicht her¬
umgetragen zu haben, vor die Bekanntschaft und Verwandtschaft
zu Hause zu treten? Diese wartet in ihren Wohnzimmern, und sie
dürstet nach den Erfahrungen, die er zu machen hat. Sie warten
auf die Fremde, die er heimsuchen muss, und die er wie ein Ge¬
päck heimschleppen wird. Über sein Erlebnis waltet ihre Gier. Sie
erinnern ihn, er sollte stets auf sein Erleben achten, denn was ist
dieser Tourist, wenn er keine Schätze sammelt auf seinen Wegen?
Hier steht er nun und ein Rucksack auf Schultern ist alles, was
man sieht, wenn man ihm nachsieht. Als ein Rätsel geht er durch
die Gasse, es sind die Einheimischen, die ihm nachsehen. Das hier
an meiner Linken ist mir rätselhaft, sagt er, und die Verzierungen
und der Duft dort. Und das an seiner Linken und die Verzierungen
werden heimgesucht, darauf richtet er seine Augen, bevor Augen
seinesgleichen darauf gerichtet werden. Die Neugier lässt ihn
hierhin langen und dann dorthin. Ihm wird zugeschen, Schweiß