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Konstantin Kaiser

Die Vehemenz von Karl Wimmlers Polemik
gegen Veronika Seyrs Jugoslawien-Buch „Fo¬
rellenschlachten“ überrascht mich nicht, habe
ich doch im Laufe der Jahre gerade von links¬
gerichteten Menschen in Österreich alles mög¬
liche Absurde über Verlauf und Ursachen der
innerjugoslawischen Kriege 1991-99 gehört.

Ich kann nur auf ein paar seiner Vorwürfe
eingehen. Kommen wir gleich zum Kern der
Sache: Die nach eigenem Bekenntnis noch re¬
lativ ahnungslose Seyr, meint Wimmler, habe
im September 1991 in Vukovar gleich gewußt,
wo Gut und wo Böse seien. Die Zerstörung des
mehrheitlich kroatisch bevölkerten Vukovar und
die danach verübten Massaker durch serbische
Truppen und Freischärler werden bis heute allge¬
mein als barbarischer Aggressionsakt verurteilt.
Wenn Wimmler hier statt serbischer Truppen
jugoslawische am Werke sieht, wiederholt er nur
den Etikettenschwindel des Milogevi¢-Regimes.
Nirgends jedoch behauptet Seyr, die kroatische
Seite sei die gute. Im 13. Brief z.B. erzählt sie
wenig Schmeichelhaftes über kroatischen Ult¬
ranationalismus. Allerdings war für sie wie für
jeden anderen des Benützens einer Landkarte
Fähigen nicht zu übersehen, daß die Kriegshand¬
lungen nicht auf serbischem Gebiet stattfanden.

„Milosevics Verfassungsputsch“ bestand in
der 1989 von Serbien verfügten Aufhebung der
Autonomie des Kosovo und der Wojwodina, die
Teil der Bundesverfassung von 1974 war. Das
ist bei Seyr auch so zu lesen. Sie weist auch auf
die Konsequenzen hin. Wimmler tut, als wüßte
er nicht, was damit gemeint sein soll.

„Zeichnen eines möglichst feindseligen Bildes
des ‚berüchtigten‘ serbischen Generals Mladic“,
lautet ein Vorwurf Wimmlers. In der Tat: Seyr
kann diesem Kriegsverbrecher und Massen¬
mörder nichts Sympathisches abgewinnen.
Die von Wimmler denunzierte Ungereimtheit
zwischen einem lachenden Ratko Mladi& und
einem Mladié, der nie lacht, löst sich bei unvor¬
eingenommener Lektüre von selbst auf.

Keine Freude hat Wimmler mit Seyrs Charak¬
teristik Slobodan Milosevids, über den Milovan
Dilas sagte: „Als der Versuch MiloSevi¢s, ganz
Jugoslawien zu erobern, fehlgeschlagen war,
zog er die Iheorie ‚Großserbien‘ aus dem Hut
— wobei er ofliziell immer von der Erhaltung
Jugoslawiens sprach.“ So auch 1989 bei seiner
mit Recht berüchtigten Rede auf dem Amselfeld,
in der er von bevorstehenden Schlachten sprach,
die „nicht mit Waffen geführt“ werden, „obwohl
auch solche noch nicht ausgeschlossen sind“.
Selbst in der von Wimmler herangezogenen
Übersetzung der ofhiziellen „Politika“-Version
der Rede ist der nationalistische Subtext nach
Aufhebung der Autonomie des Kosovo un¬
schwer zu vernehmen: „Die Zugeständnisse,
die viele serbische Führer auf Kosten ihres Vol¬
kes machten, hätte kein Volk der Welt, weder

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historisch noch ethisch, akzeptiert.“ Und weiter:
„So war es für Jahrzehnte. So sind wir heute auf
dem Feld der Amseln, um zu sagen, dass es nicht
mehr so ist.“ Die Serben sollten endlich wieder
Herren sein im eigenen Haus; der „Sozialismus
... darf eine Trennung nach Nationalität und
Religion im Zusammenleben nicht erlauben“.
Für die entsprechende Pädagogik sorgte im Ko¬
sovo die serbische Sonderpolizei.

Von den Ereignissen in Mostar bis hin zur
Sprengung der weltberühmten Alten Brücke
durch kroatische Extremisten schreibe Seyr, die
für die Not Sarajewos nicht genug Worte finden
könne, kaum etwas, da hier die Kroaten und
nicht die Serben die Bösewichte gewesen seien.
Und die Verbrechen der Muslime würden bei
Seyr nur am Rande erwähnt. Das unterstellt
der Autorin, sie manipuliere die LeserInnen
im Sinne ihres von Wimmler flugs erkannten
Vorurteils über Gut und Böse in diesem Krieg.

Fragwürdig erachtet Wimmler Seyrs Ausei¬
nandersetzung mit Peter Handke — bzw. mit
dessen Besuchen in Belgrad und einschlägigen
Schriften. Offenbar hat Wimmler Verständnis
dafür, daß man mit Handke den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag der „Siegerjustiz“ zeiht
und von einer „jungen südslawischen Nation“
spricht, deren Existenz der 1929 zugleich mit
der Königsdiktatur eingeführte Staatsname Ju¬
goslawien (anstelle des Königreiches der Serben,
Kroaten und Slowenen, SHS) suggeriert. Ob
Seyr noch nie etwas von einer „Staatsnation“
gehört habe, fragt Wimmler. Selbige müßte aber
nach der Verfassung des betreffenden Staates
konstituierbar sein, doch davon ging die Bun¬
desverfassung der Föderativen Volksrepublik
Jugoslawien nie aus.

„Was“ (in Srebrenica) „passierte, weiß die
ganze Welt“, schreibt Seyr, wofür sie Wimmler
eines „unhinterfragten Wiederkäuens“ bezich¬
tigt. Offenbar hat Wimmler Zugang zu Informa¬
tionen, die zu einem anderen als dem geläufigen
Bild der Ereignisse führen. Das hätte uns alle
interessiert. Er schwenkt jedoch sogleich zu
der „Ungeheuerlichkeit“ Seyrs ab, daß Gavrilo
Princips Schüsse auf das Ihronfolgerpaar den
Ersten Weltkrieg etc. nach sich gezogen hätten.
Die zitierte Stelle ist der Beschreibung eines Be¬
suchs im Gavrilo-Princip-Museum in Sarajewo
entnommen, sie geht auf die in den Augen des
Gastgebers bestehende historische Bedeutsam¬
keit des Mordanschlages ein. Und es folgt eine
Reflexion Seyrs über das, was der Pensionist und
Museumsdirektor Österreichfreundliches von
sich gab. Dabei geht es aber vor allem um die
Verwunderung darüber, wie ein für Princip und
seine Tat begeisterter Mensch praktisch im sel¬
ben Atemzug alles Österreichische überschweng¬
lich loben kann. An sehr vielen Stellen zeigt uns
Veronika Seyr derart Widersprüchliches, so in
den häufig eingestreuten „Alltagssplittern“ — es

ist die menschliche Realität unter oder hinter
den Haupt- und Staatsaktionen, die sie affiziert.

Ich kann mir nicht helfen: Was Wimmler
immer bewegt hat, sich „Forellenschlachten“
als vielgängiges Mahl einer erbitterten Polemik
vorzunehmen, es scheint mir ein quälend unbe¬
friedigtes Bedürfnis, die Sache anders schen zu
können, als sie sich in der Abfolge der Ereignisse
und in den Augen einer engagierten, kenntnis¬
reichen und nachdenklichen Beobachterin, als
die ich Veronika Seyr schätze, darstellt.

Ich unterstelle Wimmler, bei dem ich ein of¬
fenes Visier vermisse, daß seine Fragestellungen
ganz andere sind als die Seyrs. Ist Jugoslawien
nicht doch Opfer einer internationalen, vor al¬
lem von Deutschland ausgehenden Verschwö¬
rung geworden? Kann man dem, was die Medien
zutage fördern, überhaupt trauen? Hat nicht die
Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1992
durch die Staaten der EWG und Österreich den
Konflikt hervorgerufen oder verschärft?

Veronika Seyr jedenfalls hat keine Abhand¬
lung über die Kriegsschuld verfaßt, cher eine
darüber, was einen letztlich grausam sinnlosen
Krieg in Gang gehalten hat und welche Folgen
dieser Krieg für das Verhalten und Fühlen der
Menschen im ehemaligen Jugoslawien hatte
und hat. Sie schreibt über das, was sie gesehen,
gehört, herausbekommen hat. Vor allem zeigt
sie uns, was in einem anscheinend befriedeten
Europa noch immer möglich ist, und verhehlt
nicht ihr Erschrecken darüber, verschweigt nicht
die Erschütterung, die ihr Weltbild dadurch
erfahren hat. Sie konfrontiert uns mit einer
Erfahrung, die sie den meisten von uns voraus
hat. Ihre humanistische und der Aufklärung
verpflichtete Haltung ist absolut vereinbar mit
dem, was für die Theodor Kramer Gesellschaft,
ihre Zeitschrift und ihren Verlag relevant ist.

Anmerkung: Ich hatte Karl Wimmler meine Stel¬
lungnahme zugleich mit der Bitte um Kürzung
seines ursprünglich allzu umfangreichen Beitrages
zur Kenntnis gebracht; leider hat er daraufhin
seinen Beitrag nicht nur gekürzt, sondern auch
um einige Elemente bereichert — so das lange Zitat
von Dragan Velikié. Ich bin nicht gewillt, dar¬
auf einzugehen. Etliches stellt sich ja bei weniger
voreingenommener Lektüre des Buches von selbst
als unzutreffend heraus. — Im Mai 2015 hätte
in der vom Aktionsradius Wien bespielten Arena
Bar in Wien-Margareten eine Präsentation von
Veronika Seyrs Buch stattfinden sollen, die von
den Veranstaltern abgesagt wurde, nachdem ihnen
K. Wimmlers Polemik gegen das Buch von wem
auch immer zugespielt worden war. Eine bereits
zugesagte Diskussion über dieses Vorgehen, das ich
als Zensur empfand, kam nicht zustande. — K.K.