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Vorsitzende der New York Psychoanalytic Society (1954-1956),
Analytiker-Analytikerin und Heiltherapeutin reüssieren konnte,
verdankte sie ihrem Renommee als Therapeutin — sie war „na¬
türlich, unbefangen und responsiv“ —, ihrer unverwechselbaren
Persönlichkeit und ihrer optimistischen Haltung dem Leben ge¬
genüber. Anders als in Deutschland vermied sie „Politik jeder Art
und widmete sich ... der wissenschaftlichen Arbeit, der Lehre und
ihrer analytischen Praxis“. Dennoch engagierte sie sich für Freunde
und Kollegen, wie R. Kaufhold in seinen biographischen Notizen
über Edith Jacobson betont, wenn sie z.B. Empfehlungsschreiben
verfasste. In erster Linie aber dachte sie an das Wohlergehen ihrer
Patienten, auch wenn sie gegen den freudianischen Grundsatz der
Neutralität verstieß. Sie brachte ihre Gedanken, Meinungen und

Martin Krist

Ratschläge recht freimütig zum Ausdruck, so Theodore Jacobs in
seinen Erinnerungen über sie.

Soziale Heimat waren ihr die vertriebenen Wiener und Berliner
Psychoanalytiker, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft lebten
und wirkten wie Else Pappenheim, Bertha Bornstein, Annie Reich
und Margarete Mahler. Mit Annie Reich und Georg Gerö war
sie freundschaftlich aufs Engste verbunden.

Ihre von allen Seiten gerühmte menschliche Warmherzigkeit
spiegelt sich auch in Versen, die ihr humanistisches Credo zum
Ausdruck bringen: „... und warten, bis der Mensch zu Liebe
gereift/ und furchtlos fremde Menschenhand ergreift.“

Unverheiratet und kinderlos starb Edith Jacobson am 8.12.1978
in Rochester/New York.

Drei Schülerinnen einer 8. Klasse eines Wiener Gymnasiums
berichten am Ehrengrab Theodor Kramers über sein Leben in
Wien, seinen psychischen Zusammenbruch nach dem sogenann¬
ten „Anschluss“ und seine vergeblichen Fluchtbemühungen, sein
unglückliches Leben im Exil in Großbritannien und seine kurze
Rückkehr nach Wien. Sie rezitieren Gedichte — und es ist beein¬
druckend, wie sich heutige SchülerInnen auf Theodor Kramer
und seine Gedichte einlassen können.

Danach will sich die Klasse auf den Weg zur nächsten Stati¬
on des Rundgangs „Gedächtnisorte des NS-Terrors am Wiener
Zentralfriedhof“ machen: dem Denkmal für die in Spanien ums
Leben gekommenen österreichischen Spanienkämpfer gegen die
faschistischen Putschisten unter Franco. Plötzlich entdeckt eine
Schülerin etwas. Sie hat eine Grabinschrift schräg gegenüber von
Theodor Kramers Grab gesehen und fragt irritiert, aufgeregt,
unsicher: „Hat Othmar Trenker auch ein Ehrengrab? Ist das sein
Grab? Ist das der Othmar Trenker, von dem wir im Unterricht
gehört haben?“ Die SchülerInnen drehen sich sofort um. Tatsäch¬
lich und eindeutig steht dort aufeinem Grabstein: „Dr. Othmar
Trenker/1905 — 1986“

Wer war dieser Othmar Trenker?

Othmar Trenker, der seinen tschechischen Namen Trnka ein¬
deutschte, war ein Wiener Gestapojurist. Im Hausgefängnis der
Gestapo am Morzinplatz galt er als gefürchteter Schläger und
Folterer. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Zerschlagung der
linksorientierten tschechischen Widerstandsgruppen und der
ersten zwei zentralen Parteileitungen der KPÖ. Wegen dieser
„Erfolge“ stieg Irenker bis zum SS-Obersturmbannführer auf
und übernahm 1944 als Abteilungsleiter die gesamte Exekutive
der Gestapo Wien.

Wie verlief Irenkers Leben nach dem Ende des NS-Terrorre¬
gimes?

1945 wird er von US-Soldaten in Steinbach am Attersee fest¬
genommen und kommt ins Lager Glasenbach. Während seines
Volksgerichtsprozesses am 1. und 2. Dezember 1948 sagen eine
Reihe von EntlastungszeugInnen für ihn aus. Deshalb kommt

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es zu einem milden Urteil mit nur 18 Monaten Haft, die durch
die Untersuchungshaft bereits verbüßt ist. In der österreichischen
Presse stößt das Urteil auf Widerspruch. Die Tageszeitung „Neues
Österreich“ kritisiert, dass im Prozess nur EntlastungszeugInnen
aussagten. Dadurch entstehe der Eindruck, dass „das Haus auf
dem Morzinplatz [die Wiener Gestapozentrale] auch nach 1938
wie vorher nur ein Hotel war und die Beamten wohlgeschultes
Personal, das sich Tag und Nacht um die Zufriedenheit seiner
Gäste besorgt zeigt.“

Auch im Nationalrat kommt das umstrittene Urteil von Irenker
in der Sitzung vom 13. Dezember 1948 zur Sprache. Abgeordnete
von KPÖ, SPÖ und ÖVP sprechen sich für eine Neuaufnahme
des Verfahrens aus. Am 20. Oktober 1949 beginnt ein zweiter
Volksgerichtsprozess gegen Trenker. Er wird am 22. Oktober 1949
zu fünf Jahren schweren Kerker verurteilt. Aber bereits 1950 erfolgt
seine Entlassung. Seinen nach der Verurteilung 1950 aberkannten
akademischen Titel erhält er 1959 zurück und dieser ist auch am
Grabstein vermerkt. 1957 beschließt die Regierung eine Amnestie
fiir NS-Tater; Verurteilungen werden aus dem Strafregister getilgt.
Noch im selben Jahr sucht Trenker um Wiederaufnahme in den
Polizeidienst an, jedoch vergeblich. Er wird pensioniert, kann sich
aber darüber freuen, dass ihm seine Jahre als Gestapobeamter voll
für die Höhe seiner Pension angerechnet werden.

Doch warum liegt so ein Mann heute in einem Ehrengrab der
Stadt Wien?

Das Ehrengrab gilt nicht ihm, sondern seinem Schwiegervater,
Ing. Anton Wagner (1879 — 1949), einem ehemaligen Brand¬
direktor der Stadt Wien. Ein Hinweis, dass diesem und nicht
seinem Schwiegersohn das Grab gewidmet sei, wäre angebracht.

Der Rundgang „Gedächtnisorte des NS-Terrors am Wiener Zentral¬
Friedhof“ wurde von Martin Krist für _erinnern.at_ ausgearbeitet
und zuletzt mit einer 8. Klasse des Wiener G19, Gymnasiumstraße.,
am 12. April 2016 durchgeführt. Zum Rundgang siehe: http://www.
erinnern.at/bundeslaender/wien/unterrichtsmaterial/arbeitsblaette

r-gedaechtnisorte-des-ns-terrors-am-wiener-zentralfriedhof