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Die Involvierung jüdischer Händler in Geschäfte mit als „ent¬
artet“ stigmatisierter Kunst aus deutschen Museen, mit Fluchtgut
und vor allem auch mit Raubgut wurde in jüngerer Vergangenheit
in Publikationen zum Kunsthandel während der NS-Zeit sowie
im Zusammenhang mit der Provenienzforschung und der Kunst¬
restitution immer wieder thematisiert, wenngleich im Hinblick
auf die ethische Dimension unterschiedlich beurteilt.

Petropoulos hält Kallir und Valentin vor, dass für sie bei der
Auswahl ihrer Geschäftskontakte moralische Gesichtspunkte eine
untergeordnete Rolle gespielt hätten. Eine weitere Grauzone sei
der Handel mit Kunstwerken aus dem Besitz anderer NS-Opfer
gewesen — also der Handel mit Fluchtgut, die Veranstaltung von
„Emigrantenauktionen“ sowie der Handel mit deutschem natio¬
nalem Kulturerbe, das von den Nationalsozialisten als „entartet“
aus staatlichen Sammlungen entfernt worden war. Als dritte Grau¬
zone bezeichnet Petropoulos den seiner Ansicht nach besonders
fragwürdigen, angeblich sorglosen Umgang dieser Händler mit
dem Erbe der Vergangenheit. Bei den Nachkriegsgeschäften von
Kallir und Valentin ortet er fehlende Transparenz. Sie hätten
die Provenienzen von Kunstwerken auch dann nicht angegeben,
wenn sie gewusst hätten, dass die Objekte von Opfern der NS¬
Verfolgung stammten.“

Der Wegbereiter

Unbestritten ist Otto Kallirs Rolle als Wegbereiter der modernen
österreichischen Kunst in den USA. Dabei war es ihm erst nach
Jahren gelungen, das dortige Publikum mit seiner Begeisterung
für den österreichischen Expressionismus anzustecken. Die 13
Kokoschka-Bilder, die er 1940 gezeigt hatte, waren von der „New
York Times“ als „giftig“ und „entschieden ungenießbar“ bewertet
worden. Kallir musste bald erkennen, dass die Amerikaner da¬
mals in ihrem Kunstgeschmack noch schr provinziell und allein
schon aus politischen Gründen der französischen Kunst zugeneigt
waren. Seine Versuche, die Avantgarde seiner Heimat in US¬
amerikanischen Museen und prominenten Privatsammlungen
durch Verkäufe und Schenkungen zu platzieren, trugen erst all¬
mählich Früchte. Der Wendepunkt kam Mitte der 1950er Jahre.
Die erste wirklich erfolgreiche Schiele-Ausstellung der Galerie St.
Etienne in New York fiel in das Jahr 1957. Kallir stellte dort auch
Keramik, Textilien und Schmuck der Navajo oder, lange vor der
Erfindung der Pop Art, Zeichnungen von Walt Disney aus, und
er förderte Volkskünstler, die man später als „Outsider Künstler“
(„Naive“) bezeichnete, so die bis dahin völlig unbekannte Bäuerin
Anna Mary Robertson Moses, die es im hohen Alter unter dem
Namen „Grandma Moses“ als Malerin zu Weltruhm brachte und
über die Kallir ein Buch schrieb. 1986 reagierte das Museum of
Modern Art (MoMA,) in New York mit der Ausstellung „Vienna
1900“ auf das wachsende Interesse an der österreichischen Kunst
des Fin de Siécle.

1960 wurde Otto Kallir mit dem Grofen Goldenen Ehrenzei¬
chen der Republik Osterreich ausgezeichnet. Der Kunsthistoriker,
Galerist, Verleger und Essayist starb am 30. November 1978
in New York City. Seine Ehefrau Fanny, geborene Lowenstein,
die aus einer gemischtkonfessionellen Familie stammte, war ka¬
tholisch, und auch seine Kinder waren unmittelbar nach ihrer
Geburt katholisch getauft worden. Otto Kallir war selbst jedoch
nie zum Christentum konvertiert und wurde, seinem Wunsch

gemäß, nach jüdischem Ritus beerdigt.

52 ZWISCHENWELT

Die Galerie St. Etienne in New York wird seit seinem Tod von
seiner Enkelin Jane Kallir gemeinsam mit seiner langjährigen
Geschäftspartnerin Hildegard Bachert geleitet.“ Bachert, die Toch¬
ter eines wohlhabenden jüdischen Juristen und Weinhändlers
in Mannheim, war 1936 mit ihrer Schwester aus Deutschland
geflüchtet. Bei „Herrn Doktor Kallir“, wie sie den „altmodischen
österreichischen Autokraten“ zeitlebens anredete, war sie zuerst
als Englischlehrerin und bald darauf als Sekretärin beschäftigt
gewesen. Gemeinsam mit Jane Kallir hatte sie später ein Werk¬
verzeichnis von Egon Schiele angelegt.‘

Die Neue Galerie in Wien, die Vita Künstler nach Kriegsen¬
de wieder an Otto Kallir übertragen hatte und bis 1952 leitete,
wurde 1975 von Kallir an die Erzdiözese Wien verkauft.“ Unter
dem Namen „Galerie nächst St. Stephan“ besteht sie bis heute.

Die Grundlagen des Beitrages von Gabriele Anderl wurden mit
Unterstützung der Conference on Jewish Material Claims Against
Germany erarbeitet.

Claims Conference mwann np»

vV The Conference on Jewish Material Claims Against Germany

In appreciation to the Conference on Jewish Material Claims Against
Germany (Claims Conference for supporting the research project
„Research on stolen art and cultural property in Austria“, Appli¬
cation Number 15556, grant letter from July 2, 2014). Through
recovering the assets of the victims of the Holocaust, the Claims Con¬
ference enables organizations around the world to provide education
about the Shoah and to preserve the memory of those who perished.
Attp:/www.claimscon.org/

Anmerkungen

1 Ein Forschungsprojekt von Gabriele Anderl über österreichische Kunst¬
und Antiquitätenhändler im Exil wurde vom Nationalfonds der Republik
Österreich, der Conference on Jewish Material Claims Against Germany
und dem David Herzog Fonds der steirischen Universitäten gefördert (Pro¬
jektleitung: Theodor Kramer Gesellschaft). Für Informationen zu diesem
Artikel danke ich Evamarie Kallir und Anneliese Schallmeiner sowie auch
Alexandra Caruso und Monika Mayer.

2 Marie-Catherine Tessmar-Pfohl, Die Neue Galerie von 1923 bis 1938.
Kunsthandel und Kunstpolitik im Wien der Zwischenkriegszeit, unveröf¬
fentlichte Diplomarbeit an der Univ. Wien (Kunstgeschichte), Wien 2003,
Zitat: S. 34.

3 Tessmar-Pfohl, Die Neue Galerie, Zit. S. 202; Ulrike Wendland, Biogra¬
phisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, Teil 1,A-K,
München 1999, S. 351 ff. (Otto Kallir); zum Verlag der Johannes-Presse siehe
Murray G. Hall, Österreichische Verlagsgeschichte, ttp://verlagsgeschichte.
murrayhall.com/?page_id=330.

4 Tessmar-Pfohl, Die Neue Galerie, S. 202.

5 Jane Kallir, Saved from Europe. Otto Kallir and the History of the Galerie
St. Etienne, New York 1999. Siehe auch Sophie Lillie, Was einmal war.
Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 540 ff.
6 So wird in dem vom Historischen Museum der Stadt Wien herausgegebenen
Katalog über Otto Kallir-Nirenstein auf keine der vier von ihm im Pariser
Exil veranstalteten Ausstellungen eingegangen. Historisches Museum der
Stadt Wien (Hg.), Otto Kallir-Nirenstein, Ein Wegbereiter österreichischer
Kunst, Katalog zu einer Sonderausstellung des Historischen Museums der
Stadt Wien, 1986. Der Katalog wurde von Jane Kallir und Hans Bisanz
zusammengestellt, von denen auch der Großteil der Texte stammt.