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auch jene FreundInnen aus dem Umkreis unterstützt, die keine
gültigen Personalausweise, keine Einkommensquelle besaßen, wie
z.B. derspanische Maler und Kommissar der linksoppositionellen
POUM-Miliz Manuel Viola, den Benjamin P£ret während des
Bürgerkrieges in Spanien kennengelernt hatte und der inzwischen,
von der französischen Fremdenlegion desertiert, bei Tita im klei¬
nen Atelier lebte. Tita war eine begnadete Fälscherin, spezialisiert
auf Braque, Picasso und Mirö. Um die Qualität ihrer Arbeit zu
überprüfen, besuchte sie einmal Pablo Picasso, der ebenfalls immer
wieder den jungen KünstlerInnen Geld zusteckte, in seinem Atelier
im Keller der 5 bis 7 rue, des Grand-Augustins in Saint-Germain
des Pr&s, um ihm zwei ihrer gefälschten Picasso-Zeichnungen zu
zeigen.*! Das Kelleratelier, ein großer heller Saal mit Gewölben
aus dem Mittelalter, war ein für die Avantgarde nicht unwichtiger
Ort, da, bevor der berühmte Maler dort 1937 einzog, um sein
doch schr großes Bild Guernica malen zu können, 1931 die von
Jacques Prevert geleitete Agitprop-Iheatertruppe „Groupe Oc¬
tobre“ aufgetreten war. Um 1936 hatten sich im Keller öfters die
SurrealistInnen getroffen und am 21. Jänner 1936 hatten Andre
Breton und Georges Bataille eine rituelle Zeremonie organisiert,
um das Jubiläum der Hinrichtung Ludwig des XVI. zu feiern.
Die Gruppe ,,Contre-attaque“ (Gegen-Angriff), jener kurze Ver¬
such — zwischen den SurrealistInnen und den SoziologInnen um
Georges Bataille und anderen — eine parteiunabhangige antifa¬
schistische Organisation zu etablieren, traf sich 1936 ebenfalls
in diesem Keller. Picasso betrachtete die zwei Arbeiten Titas, die
ihm als die seinen vorgestellt wurden, identifizierte sofort eine
als Fälschung, die andere jedoch erst mit Verzögerung und nur
anhand des Papiers, welches er 1924 -das Bild stammte angeblich
aus dieser Zeit — nie verwendet hatte.

Tita war nicht die einzige Tschechoslowakin der „Main & Plume“,
da gab es auch Hans Schénhof, auch Hans Schoenhoff geschrieben,
der die erste Ausgabe der Zeitschrift der Gruppe finanziert hatte.
Dieser war Dichter und Ubersetzer aus Brno, hatte in seiner Heimat
zur surrealistischen Gruppe um Karel Teige, Jindiich Styrsky und
Toyen gehért”, Jus studiert und mit dem Studienkollegen Otto
Eisner 1938 Gedichte des Surrealisten Vitizslav Nezval ins Deut¬
sche übertragen.?? Zwei der übersetzten Gedichte wurden 1947
in Otto Basils „Plan“ abgedruckt, und zwar in jener Nummer, die
sich der „zeitgenössischen tschechischen Lyrik“ widmete.”* Hans
Schönhofmuss um 1938 nach Paris gekommen sein, wahrscheinlich
als informeller Mitarbeiter der tschechoslowakischen Botschaft.
Jedenfalls soll er vom Botschafter Stefan Osusky, bevor dieser im
Sommer 1940 seiner Exilregierung nach London gefolgt war, die
Schlüssel für die Keller des prachtvollen Botschaftsgebäudes in der
15, Av. Charles Floquet, gleich beim Eiffelturm, erhalten haben.
Hans Schönhof wird die im Keller gelagerten Wertgegenstände,
wie Möbel und Perserteppich, veräußern und vielleicht auch jenen
Teil der Kriegskasse der tschechoslowakischen Exilarmee, der
nicht nach London mitgenommen werden konnte, verwenden,
um „La Main ä Plume“ Geld zuschießen zu können. Man muss
hinzufügen, dass die Regierung in Prag noch im Juni 1938 ihren
Gesandtschaften in Paris und London mehrere Millionen Kronen
(eine Krone von 1937 ergibt ca. 1 Euro von 2015) für Öffent¬
lichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt hatte.” Vielleicht wurden
auch noch 1940 Netzwerke der Resistance und ihre Publikationen
aus diesem Fonds finanziert, vielleicht ist Hans Schönhof dafür
verantwortlich gewesen...

60 _ ZWISCHENWELT

Ein weiteres Mitglied der „Main & Plume“ war Francis Cremieux,
ein junger Dichter, der eben die Matura hinter sich gebracht hatte,
als er im November 1938 für „Les Reverberes“ einen Abend zum
20. Todestag Guillaume Apollinaires organisierte. Seinen Vater Ben¬
jamin Cremieux kannten zu diesem Zeitpunkt viele Exilierte, war
doch dieser bekannte Schriftsteller, Literaturwissenschaftler (mit
der ersten Studie über Marcel Proust überhaupt), Generalsekretär
des französischen PEN-Clubs und hoher Beamter des französischen
Außenministeriums, einer ihrer wichtigsten Fürsprecher. Bis zur
Kapitulation hatte er sich für die deutschen und österreichischen
Flüchtlinge eingesetzt. Danach hatte er selbst flüchten müssen
und war Sohn Francis nach Marseille gefolgt, um für die Re£sis¬
tance zu arbeiten, und zwar in einem Netzwerk, wo Beamte für
den Widerstand gewonnen werden sollten. In Marseille wurde er
verhaftet und am 14. April 1944 im KZ Buchenwald ermordet.
Francis Cremieux wurde nach seiner Anfangszeit als Surrealist
Mitglied der Resistance, betrieb einen Untergrund-Radiosender
in Toulouse und kämpfte in den „Forces Frangaises de ’Interieur“
(Französische Streitkräfte des Inneren — EE].). Nach dem Sieg
war er kurz Chefredakteur bei „Radio France“. 1948, bald nach
Ausbruch des Kalten Krieges, wurde er jedoch, als engagiertes
Mitglied der KPE seines Postens enthoben.

Die Untergrund-Offentlichkeit

Im besetzten Paris unterlagen alle Periodika der Zensur. So wussten
Robert Rius und die HerausgeberInnen von ,,Main a Plume“,
dass sie mit ihrem Zeitschriftenprojekt zwei Prinzipien verfolgen
mussten: nicht als Zeitschrift zu erscheinen und nicht gleich zu
offen den Surrealismus, der fiir die deutschen Nazis entartet und
den französischen Nazis für kommunistisch und anarchistisch
galt, zu vertreten. Somit hieß die erste Nummer der Zeitschrift
„La Main & Plume“ im Mai 1941 und die zweite, im September
194] erschienene Nummer „Geographie nocturne“ (Nächtliche
Geografie). Die dritte Nummer im Dezember 1941 hieß „Trans¬
fusion du verbe“ (Verbtransfusion) und die wohl letzte mit dem
gesamten Team, bevor die Verhaftungen begannen, war im Juni
1942 „La Conquete du monde“ (Die Eroberung der Welt). Wegen
der Verhaftungen im Juni 1942 und der daraus resultierenden
schrecklichen Konsequenzen für manche konnte die fünfte Num¬
mer erst im August 1943 erscheinen, wobei man sich nicht mehr
in Acht nahm und sie ,,Le Surréalisme encore et toujours“ (Der
Surrealismus, noch und fiir immer) nannte, was eine Anspielung
auf den Aufruf André Bretons gegen den Rif-Krieg in Marokko
1925 war: „La Revolution d’abord et toujours“ (Die Revolution
zuerst und immer). Im Oktober 1943 erschien „Quatre-vingt et
un, Décentralisation surréaliste“ (81, surrealistische Dezentra¬
lisierung), im Sommer 1944 „LObjet“ (Das Objekt) und nach
der Befreiung, im Jänner 1945, „L.Avenir du surrealisme“ (Die
Zukunft des Surrealismus).

Daneben wurden auch Werke einzelner AutorInnen gedruckt, es
waren meist Gedicht- oder Essaybände im Heftformat. Die Autor¬
Innen waren Noél Arnaud, Jean-Francois Chabrun, Gérard de Séde,
Nadine Lefebure, Leö Malet, der Belgier Christian Dotremont. Es
gab ein Heft in der Reihe, welches schließlich den Verlag „Main
& Plume“ berühmt machen sollte. Und zwar jenes vom 3. April
1943, mit der Erstveröffentlichung von Paul Eluards bis heute
oft im Schulunterricht verwendetem, sehr populärem Gedicht