Anfrage, ob nicht unsere Partei dem Internationalen Sekretariat
die Anregung zur Finanzierung dieser Expedition geben sollte.“
Dieser Antrag wurde jedoch von dem in der SDAP Zuständigen
Julius Deutsch, damals Vorsitzender der „Internationalen Kom¬
mission zur Abwehr des Faschismus“, umgehend zurückgewiesen
und als ein privates Vorhaben Maria Leitners gewertet.
Obwohl Das Kleine Blatt und Kuckuck noch kleine Texte von ihr
(nach-)druckten, fand sie in Wien keine neue Existenzgrundlage,
zumal nach den revolutionären Februarkämpfen 1934 mit den
Restriktionen des „Ständestaates“ die SDAP und auch der BPRS
und die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller verboten wurden.
Eine Vielzahl linker Schriftsteller und Funktionäre, darunter auch
J.-L. Stern, emigrierten zunächst in die Tschechoslowakei und
nach Brünn, mit dem traditionell hohen Anteil deutschsprachiger
Einwohner. Hier lebte auch Oskar Maria Graf mit seiner Frau
bis 1936 als Emigrant, mit dem sie wohl in Verbindung stand.
Graf schätzte Leitner sehr, wie seine spätere Bürgschaft belegt.
In Prag hatte sie u.a. Kontakt mit dem aus Gablonz in
den Sudeten gebürtigen Schriftsteller und Übersetzer
Franti$ek Schöner/Schörpner (1904 — 1941). Er
hatte sie nach Erscheinen von Hotel Ameri¬
ka in Berlin für die tschechische Frauen¬
zeitschrift Rozsevacka interviewt, die im
Herbst 1933 ihren Roman in Fortsetzun¬
gen veröffentlichte. Später übersetzte er
ihre Texte fiir Tvorba, Prag. Von ihm
stammt auch die von Maria Leitner
autorisierte vollständige tschechische
Ausgabe ihres Surinam-Romans Wehr
dich, Akato! Allerdings unter dem Titel
Na däbelskjch ostrovech.
Er wurde im Konzentrationslager Da¬
chau ermordet und gehört somit zu den
vielen Weggefährten Maria Leitners, die nicht
mehr Auskunft geben konnten über die nach
Kriegsende Verschollene, als ich Mitte der 1960er
Jahre nach ihr zu suchen begann. Deshalb war auch
nicht jedes Detail ihres tapferen Lebens zu ermitteln.
Ihre ersten im Exil geschriebenen Texte schickte Maria Leitner
vermutlich nach Saarbrücken, wo Peter August Stern und seine
Frau die radikal-demokratische antifaschistische Wochen-Zeitung
Westland gegründet hatten.’ Den Kontakt vermittelte der mit ihr
seit Berlin bekannte Schriftsteller Erich Weinert (1890 — 1953),
einer der Mitarbeiter dieser Zeitung. Mit Frau und Tochter lebte
er bereits in dem elsässischen Grenzort Forbach als Emigrant.
Vorausgegangen war die Einladung der Familie Weinert zu einem
dringend notwendigen Erholungsbesuch, denn in Paris hatte
die Schriftstellerin unter erbärmlichen Bedingungen in einer
Dachkammer gelebt und beim Schein einer Kerze zu schreiben
versucht, wie Li Weinert sich erinnerte.°
Als Maria Leitner dann im Spätsommer 1934 nach Forbach
kam, wurde sie ebenfalls Mitarbeiterin bei Westland/Grenzland.
Ihre Beiträge erschienen jedoch den Umständen entsprechend
anonym.
Doch nach der Volksabstimmung vom 15. Januar 1935 zu
Gunsten eines Anschlusses des Saarlandes an Deutschland musste
sie infolge ihrer offenen Gegnerschaft zum Hitlerregime erneut
fliehen. Sie hatte aber irgendwelche Papiere, die sie fortan als
Saarländerin auswiesen und ihr später zu einem sogenannten
Nansen-Pass verhalfen. Ob sie dann noch eine Zeit lang im Elsass
lebte, wie sie in einem späteren Brief beiläufig erwähnte, ließ sich
bisher noch nicht konkretisieren.
Für ihre in Das Wort (Moskau) gedruckte Reportage über das
Sprengstoffwerk Reinsdorf bei Wittenberg an der Elbe recherchier¬
te sie im Herbst 1935 den Fall vor Ort. Wochen zuvor hatte dort
eine schwere Explosion viele Opfer gefordert, weshalb die Öffent¬
lichkeit noch immer aufs äußerste erregt war. Von der WASAG,
die in Berlin residierte, wusste Maria Leitner bereits, dass deren
Hauptabnehmer für Sprengstoffe und Giftgase die Reichswehr
war. Leitner suchte nach dem Unglück in Wittenberg Bekannte
auf und sprach in Reinsdorf mit jungen und alten Arbeitern. So
vermochte sie überzeugend zu berichten, wie das von Göring am
Grab der Explosionstoten geforderte „große Opfer am Altar des
Vaterlandes“ im Ergebnis eines realen Krieges ausschen würde.’
Nach Paris ging sie wohl wieder 1936, wo sie viele ihrer eben¬
falls emigrierten Kolleginnen und Kollegen traf. Hier fand sie
Unterkunft in einer kleinen Pension im Zentrum der Stadt sowie
gelegentlich Arbeit oder sogar journalistische Aufträge.
Im Archiv der deutschsprachigen Pariser Tages¬
zeitung liegen Honoraranweisungen für Maria
Leitner, durch die beispielsweise der als Son¬
derbericht bezeichnete Text „Leverkusen“
vom 7. Juli 1936 als einer ihrer Beiträge
identifiziert werden konnte. Weitere
Reportagen erschienen in antifaschis¬
tischen Zeitungen wie Vendredi (1936)
und Regard (1938).
In Paris stand sie weiter im Kontakt
mit dem zunächst noch bestehenden
Bund Proletarisch-Revolutionärer
Schriftsteller (BPRS) und war auch
Mitglied des im Herbst 1933 formal
neu gegründeten Schutzverbandes emig¬
rierter deutscher Schriftsteller, dessen Mit¬
glieder sich montagabends im Café Mephisto
am Boulevard St. Germain zu Diskussionen und
Lesungen trafen. Sie selbst stellte dort am 5. April
1937 ihr Reportagebuch Fine Frau reist durch die Welt
bei einer Lesung vor.’ Aber das Leben in Deutschland unter der
NS-Herrschaft war fortan ihr Hauptthema.
Mit ihren in den Jahren 1936 bis 1939 in der Zeitschrift Das
Wort, der Pariser Tageszeitung und in Die neue Weltbühne (Prag)
erschienenen Beiträgen setzte Maria Leitner also ihre „Entde¬
ckungsfahrten“ aus dem Jahre 1932 fort. Ein Beispiel dafür ist
der „Besuch einer Dorfschule im Dritten Reich“.'°
Dank ihrer Publikationen wurden damals wesentliche Infor¬
mationen über die wahren Lebensverhältnisse und Stimmungen
im faschistischen Deutschland im Ausland bekannt.
Ihr 1937 in der Pariser Tageszeitung als Fortsetzungsdruck er¬
schienener Roman „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ zeugt von ihren
illegalen Erkundungsreisen. Mit dieser durch einen dokumen¬
tarisch genauen Hintergrund überzeugenden Geschichte einer
jungen Berliner Schuhverkäuferin wollte sie gewiss ein Gegenstück
zu den stark propagandistischen Jungmädchenromanen national¬
sozialistischer Prägung schaffen. Ihr Anliegen war die Aufklärung
über die Methoden der Manipulation junger Menschen im NS¬
Staat, leicht zu lesen und ohne erhobenen Zeigefinger.
Am 21. April 1937 kündigte die Pariser Tageszeitung auf der
ersten Seite Maria Leitners Fortsetzungsroman an: „Morgen be¬
ginnt unser neuer Roman. Er führt mitten in das Deutschland