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und Vorrecht, das er mit folgender Widmung (aus dem Jahr 1954) einleitet: „Armut und Vorrecht ist all den Enttäuschten gewidmet, die schweigen und trotz einiger Rückschläge nicht restlos handlungsunfähig geworden sind. Sie sind die Brücke. Standhaft vor der entfesselten Meute der Betrüger, über der Leere und nahe der gemeinsamen Erde sehen sie den letzten und melden den ersten Strahl. Etwas, das herrschte, wankte und verging, müsste in seinem Wiedererscheinen dem Leben dienen - unserem Leben aus Ernten und Wüsten, das sich in seiner unbegrenzten Fülle zeigt. In einer rasenden Zeit kann man nicht verrückt werden, obwohl man bei lebendigem Leib verbrannt sein könnte von einem Feuer, das uns gleicht.“ Wie so viele, die unter Todesgefahr im Widerstand gekämpft haben, dabei Sensoren für die Vertrauenswürdigkeit und Aufrichtigkeit von Personen, aber auch für Trittbrettfahrer, Wendehälse und Konjunkturritter entwickelt haben, drängt es ihn, ähnlich dem Griechen Yannis Makriyannis nach dem Befreiungskampf gegen die Türken, nach der wiedererlangten Freiheit Versäumnisse und Fehlentwicklungen zur Sprache zu bringen, denn „zu bestimmten Zeiten darf man nicht fürchten, die unbeschreiblichen Dinge auszusprechen“. In das Jahr 1941 zurück führt ein Brief an Francis Curel. In ihm spricht er von einem „unglaublichen und abscheulichen Exhibitionismus“, „den seit 1940 viele Intellektuelle an den Tag legen, deren Name auf gutem Ruf und Anerkennung beruhte, deren feste Haltung jedoch, als sie auf die Probe gestellt wurde, vorhersehbar war ...“ Er spielt mit diesen Worten auf die Mitläufer, Enttäuschten und moralisch Schwankenden an. „Sollte man sie beim Namen nennen? Das wäre zu peinlich.“ Er, der nicht ins Paris der Kollaborateure und Unentschlossenen zurückgekehrt ist, hat sich zur Tat entschlossen: „Nur mühsam kann ich mich auf die selbst gewählte Ferne einstellen, ich bin hier noch zu nah am Kommen und Gehen der Gestalten, die an sich selbst und den Dingen resigniert haben. Gewiss, man muss Gedichte schreiben, mit schweigender Tinte den Zorn und das Schluchzen unserer tödlichen Simmung aufzeichnen, dabei aber darf es nicht bleiben. Das wäre lächerlich, ungenügend.“ Seine Analyse der politischen Lage ist eine weitreichende, grundsätzliche: Nicht nur Nazideutschland, auch die Kollaborateure, die 92 — ZWISCHENWELT sich den Siegern anbiedern, sowie das koloniale Frankreich, das in Algerien und Marokko ausbeutet, unterdriickt und fiir seine Armee rekrutiert hat, bekommt sein Fett ab: „Es drückt mich nieder und bringt mich um den Verstand, dass man in dieser enthaupteten Nation, und zwar durch uneinige Strömungen, gefolgt von schwächlichen und ziemlich gutgläubigen Kräften — einmal abgesehen von der Niederschlagung der Arbeitskämpfe und den grausamen Kolonialexpeditionen, vom Dolch, den der Klassenhass und die ewige Habgier regelmäßig ins Fleisch der zuvor Ausgestoßenen stechen — so viele denkende Individuen zählen konnte, die fröhlich nach der Pfeife der Folterknechte tanzten und sich von ihnen anwerben ließen. Welches Vernichtungsunternehmen verschleiert weniger seine Ziele? Ich verstehe es nicht, und wenn ich es verstehe, ist das, was ich berühre, schrecklich. So besehen wäre unser Erdball heute Abend bloß noch die Kugel eines ungeheuren Schreis im Schlund der viergeteilten Unendlichkeit. Das ist möglich und unmöglich zugleich.“ (1943) In einem weiteren Brief an Curel, aus dem Jahr 1946, mit einem Nachruf auf den Mitkämpfer Roger Chaudon, äußert er auch gegenüber jenen Kräften Skepsis, welche die Invasion Südfrankreichs von Algier aus vorbereiteten: „Chaudon wurde mit zwanzig Kameraden von der Gestapo unter Mithilfe der Miliz von Darnand in Signes umgebracht. Aus dem Gefängnis geholt, auf eine Lichtung geschafft und dort im grauenvollen Licht des Sommers gefesselt. Ich erhielt die Nachricht von seiner Gefangennahme am 22. Juli 1944 in Algier, wohin eine unsinnige Entscheidung des Oberkommandos der Alliierten einige von uns beordert hatte, um an der bevorstehenden Landung in Siidfrankreich teilzunehmen, genaugenommen wollten sich die Offiziere der Befreiungsarmee nur unserer Verbindungen im Maquis vergewissern, dessen gewagte Ansichten, Einfallsreichtum und Chimären sie fürchteten.“ — Char machte sich Vorwürfe, dass er nicht bei seinen Kameraden war, als sie umgebracht wurden, und er erinnert sich an das Misstrauen, dass Chaudon gegenüber „den Leuten in Algier“ gehegt hatte. „Er ahnte“, schreibt Char, „dass sie unfähig waren, das Wunder unserer schnellen Rückkehr zu betreiben; er sah ihre politischen und menschlichen Schwächen voraus, die kaum besser als die der Halsabschneider von Vichy waren, Halsabschneider Seite an Seite, mit anderen, Kriminellen.“ In diesen Briefen, Hommagen, Notizen über den Maquis erlebt der Leser einen hellsichtigen politischen Kopf, der den Verrat der herrschenden Klasse voraussieht, einen Verrat, der sich bis heute fortsetzt. Dies ist die eine, für Leser seiner Lyrik vielleicht unbekannte Seite von René Char. Das Buch versammelt des Weiteren Texte über bildende Künstler und Kollegen, über „Bundesgenossen“ wie Georges Braque, Victor Brauner, Joan Mir6, Francis Picabia und „Große Aszendenten“ wie René Crevel, Paul Eluard und Arthur Rimbaud sowie ein Gedicht fiir Antonin Artaud, das mit einem etwas pathetischen Understatement beginnt: ,,Es fehlt mir die Stimme, um dein Lob zu singen, großer Bruder.“ Char war einer der wenigen, die sich für den in einer psychiatrischen Anstalt festgehaltenen Schauspieler, Dichter, Zeichner und von einem unheilbaren Dauerschmerz gequälten Grenzgänger eingesetzt haben. Das letzte, 4. Kapitel, „Einer gespannten Heiterkeit“, umfasst Aphorismen und poetische Sentenzen wie: „Das Wesentliche wird unablässig vom Bedeutungslosen bedroht. Niederer Kreislauf.“ — Wer sich der Sprache von René Char hingibt, wird wieder einmal erkennen, welche Unsäglichkeiten heute reüssieren und sich wichtigmachen. Die radikale Poesie von Char, sein stetes Überprüfen seiner sprachlichen Mittel und seine geistige Haltung sind allzeit ein Lichtblick, auf den wir nicht verzichten sollten. Char fühlte sich weder durch die strengen Forderungen des Intellekts noch von jenen Erfordernissen beengt, die Mitleid und Mitgefühl mit sich bringen. Dass dieser bedeutende Band nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ist dem Klever Verlag, namentlich Ralph Klever zu verdanken, der sich der seit Jahren fertigen Übersetzung von Manfred Bauschulte angenommen hat. Der Universalist Bauschulte hat auch ein kenntnisund beziehungsreiches Glossar zu den Personen und Plätzen zusammengestellt, hilfreich nicht nur für den Einsteiger in die Schriften, in den poetischen Kosmos von René Char. Richard Wall Rene Char: „Suche nach Grund und Gipfel“. Über den Maquis, Malerei, Dichtung und Philosophie. Aus dem Französischen und mit einem Glossar von Manfred Bauschulte. Wien: Klever Verlag 2015. 224 5. € 22,90