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BRIEFE

Zu Karl Wimmlers „Umherirren in Ex-Jugoslawi¬
en. Sonderbare Wege einer ORF-Korrespondentin“
in ZW Nr. 4/2015, S. 79-81.

Es mag von einem gewissen demokratischen
Gefühl und von der Bereitschaft, offen zu dis¬
kutieren, zeugen, dass der Vorstand der Theodor
Kramer Gesellschaft beschlossen hat, die Pole¬
mik Karl Wimmlers gegen Veronika Seyrs Buch
„Forellenachlachten“ in ZW zu veröffentlichen.
Die Großzügigkeit, einem Angriff auf die Au¬
torin eines im eigenen Verlag erschienenen Bu¬
ches so breiten Raum zu geben, kann vielleicht
im Kontrast zur Diskussionsverweigerung von
anderer Seite geschätzt werden. Eine Diskussi¬
onsverweigerung, zu der Karl Wimmler selbst
beigetragen hat, indem er schon früher Robert
Sommer mit seinen Vorwürfen gegen das Buch
munitioniert hat, was im April 2015 zur Absage
der Lesung von Veronika Seyr im Aktionsradius
Augarten geführt hat. Ich verstehe es als edlen
Akt der Selbstverleugnung, seine Polemik zu
publizieren, statt ihn für sein Vorgehen als Vor¬
standsmitglied der Theodor Kramer Gesellschaft
zur Rechenschaft zu ziehen. Für mich und nicht
für mich allein hat die Polemik Wimmlers das
Ansehen der Gesellschaft beschädigt. Weit davon
entfernt, dem Text der Autorin Tatsachenargu¬
mente und Analysen entgegenzustellen, geht
es Wimmler eigentlich nur darum, Veronika
Seyr traditionelle österreichische Feindseligkeit
gegeniiber Serbien zu unterstellen. Er kom¬
mentiert hamisch, was er an Widerspriichen
aus dem Text herausgelesen hat — die recht
verstanden keine sind —, um die Kompetenz
der Autorin herabzusetzen. Milogevié wird bei
ihm zum aufrichtigen Sozialisten, Mladi ist
seiner Ansicht nach wohl zu Unrecht an die
„Siegerjustiz“ des Haager Gerichtshofes, ange¬
klagt als Kriegsverbrecher, als mitschuldig an
Massenmorden, ausgeliefert worden. Wenigstens
den Ausdruck „Siegerjustiz“ hätte er unterlassen
müssen, wenn er das geringste Bewusstsein von
der Geschichte dieses Terminus hätte. Letzten
Endes insinuiert Wimmler eine Verschwörung
des Westens, Deutschlands insbesondere (mit
Österreich als eilfertigem Gehilfen), und der
gegen Serbien instrumentalisierten 6ffentlichen
Meinung zur Zerschlagung der Féderativen
Sozialistischen Republik Jugoslawien. Mit der
ORF-Korrespondentin Seyr als Handlangerin.

Für mich ist diese Art „Linke“, die die offen¬
kundigen Tatsachen als Produkt von Verschwö¬
rungen versteht und in ihren Verschwörungs¬
theorien stets einen Schuldigen findet, ohne
Verhältnisse und Prozesse konkret zu analysie¬
ren, nicht mehr weit weg von rechtsextremen
Geschichtsklitterungen.

98 — ZWISCHENWELT

Leander Kaiser, Wien, 11.1.2016

Die Behauptung, Karl Wimmler habe durch
seine Kritik an Veronika Seyrs Buch zur Absage
der Lesung im Aktionsradius Wien bzw. in der
Arena Bar beigetragen, stimmt nur bedingt, da
Wimmlers Kritik ohne sein Wissen und Zutun
weiterverbreitet worden ist.

Ich méchte noch kurz meine Einstellung zur
Debatte iiber das Buch von Veronika Seyr be¬
kraftigen. Meines Erachtens hat Karl Wimmler
in fast allen Argumenten recht. Frau Seyrs Be¬
richte oder Briefe entsprechen dem Mainstream,
wie er damals von Medien wie dem Kurier mit
seinem unsäglichen Kriegsreporter geliefert wur¬
de. Von einem (bisher) kritischen Verlag wie
dem Verlag der Iheodor Kramer Gesellschaft
hätte ich mir anderes erwartet. Vor allem sieht
sie die Welt bipolar, und der Jugoslawien-Krieg
war beileibe nicht bipolar (die guten Kroaten,
die bösen Serben). Österreich (Mock) und die
BRD (Genscher) nützten die Gelegenheiten,
die sich ihnen boten, um den Vielvölkerstaat
Jugoslawien zu zerstören. Zudem wurden beim
Tribunal in Den Haag die Kriegsverbrechen von
Serben ganz anders gewertet als die etwa von
Kroaten oder von Kosovaren, aber gut, das fällt
in die Epoche nach der Verfassung der Briefe.
Die Gegendarstellung von Hern Wimmler
war auch in diesem Ausmaß meiner Ansicht
nach geboten.
Beppo Beyerl, Wien, 21.1.2016

[...] Nun, ich beginne mit dem letzten Satz
Wimmlers, in dem suggeriert wird, die Frage
nach den Griinden fiir die Zerstérung Jugosla¬
wiens bleibe in dem Buch ohne Antwort. Will
Wimmler etwa andeuten, die Zerstérung eines
Landes sei eine Naturkatastrophe? Da lage er
völlig im Einklang mit der gängigen Propaganda
der leider wieder an die Macht gekommenen
nationalkommunistischen Elite. Nein, nicht
eine verheerende und verbrecherische Politik
von Slobodan Milosevie und seinen Komplizen
im Militär, der Geheimpolizei, der Akademie
sei an dem Desaster schuld, sondern es lässt sich
nicht beantworten, wer den Krieg gewollt und
ihn auch angezettelt hatte.

Ubrigens gibt es einen aktuellen Bezugspunkt
zur Gegenwart: In Serbien ist nach wie vor eine
beispiellose Hetze gegen Kroatien im Gange, die
auch in der Milosevid-Zeit nicht so heftig war.
Immer wieder wird mit der Zahl der Vertriebe¬
nen „aufgetrumpft“, wobei man anscheinend
vergisst, dass Kroatien von Serbien angegriffen
wurde und es so zum Krieg kam. Leider hat das
Haager Tribunal völlig versagt und Milosevic

ist quasi unverurteilt gestorben, was dann die
Schlussfolgerungen ermöglicht, die Wimmler
fälschlicherweise zieht. [...]

Fritz Orter hat ja mindestens einen Fernseh¬
bericht über Kosovo polje 1989 gemacht, der
Inhalt der Milosevid-Rede ist doch kein außerir¬
disches Mysterium. Von den wahren Vorgängen,
die tatsächlich zur Katastrophe führten — wie
etwa vom Bruch im Bund der Kommunisten
Jugoslawiens im Januar 1989, den Milosevic
inszenierte und für die Zerstörung Jugoslawiens
nutzte —, hat Wimmler aber wirklich keinen
Schimmer. [...]

Veronika Seyrs Buch ist ein sehr gutes Werk
und einzigartig in der Sichtweise einer Frau, die
an Ort und Stelle und Zeitzeugin war.

Zoran Opra, Belgrad, Jänner 2016

. immer finde ich in ZW Berührendes und
Informatives — mit dem Beitrag „Verstreutes“ im
neuen Heft (4/2015) auf Seite 40 (wohlweislich
ohne Nennung des Autors) tun Sie aber dem
Renommee Ihrer Zeitschrift nichts Gutes! Na¬
türlich kann man über die Sinnhaftigkeit von
Sitten und Gebräuchen immer diskutieren; die
Aneinanderreihung von falschen Behauptungen
und „diffusen“ Angriffen auf Menschen, die
das 1. Gebot ihrer Religion ernst nehmen, ist
jedoch nichts als peinlich. Es wird wohl nicht
im Sinne Theodor Kramers sein, wenn die nach
ihm benannte Gesellschaft jetzt Menschen mit
anderen Überzeugungen so geschmacklos zu
diskreditieren versucht.

Mit freundlichen Grüßen
Martin G. Petrowsky, Wien, 29.1.2016

Bekanntlich wird „Verstreutes“, sofern nicht
anders angegeben, immer von mir verfaßt. Ich
bezweifle, daß obsessives „Grüß Gott“-Sagen als
Erfüllung des Ersten Gebotes angesehen werden
kann. Da ich laut Auskunft eines Volksschulkame¬
raden, der die erste Religionsstunde gerade hinter
sich hatte, ein ungetaufter „Heide“ bin, steht es
mir persönlich nicht zu, das wohlfeile Aussprechen
des „Namens des Herrn“ bei jeder sich bietenden
Gelegenheit als einen Verstoß gegen das Zweite
Gebot zu rügen. Das mag jeder mit seinem Ge¬
wissen abmachen. Theodor Kramer selbst war im
allgemeinen areligiös, auch wenn sich in seinem
Zyklus „Lob der Verzweiflung“ Anklänge an Re¬
ligiöses finden. Die mehrmalige Besudelung der
„Grüß Göttin“- Tafel im Tiroler Unterland ist eher
ein Ausdruck von Intoleranz gegenüber „Menschen
mit anderen Überzeugungen“ als meine kleine,
zugegebenermaßen sarkastische Glosse. — K.K.