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Ganz Kind noch, bewunderte ich den störrischen Sträfling, hinter dem sich das Tor des Zuchthauses immer wieder schließt; ich besuchte die Herbergen und möblierten Zimmer, die er durch seinen Aufenthalt geweiht hatte; ich sah mit seinen Gedanken die erblithte Arbeit der Gefilde; ich witterte sein Mißgeschick in den Stadten. Er hatte mehr Kraft als ein Heiliger, mehr gesunden Menschenverstand als ein Reisender, — und sich, sich allein! Als Zeugen seines Ruhmes und seiner Vernunft. Auf den Straßen, in Winternächten, ohne Nachtlager, ohne Kleider, ohne Brot, eine Stimme schnürte da mein erstarrtes Herz zusammen: „Schwäche oder Kraft: du bist hier, das ist die Kraft. Du weißt nicht, wohin du gehst, noch weshalb du gehst, tritt überall ein, antworte auf alles. Man wird dich nicht mehr töten als wenn du eine Leiche wärest.“ Am Morgen hatte ich einen so verlorenen Blick und meine Fassung war so verflogen, daß jene, denen ich begegnet bin, mich vielleicht nicht gesehen haben. In den Städten erschien mir der Kot plötzlich rot und schwarz, wie ein Spiegel, wenn die Lampe im Nebenzimmer herumgetragen wird, und wie ein Schatz im Walde! Viel Glück, rief ich, und sah ein Meer von Flammen und Rauch am Himmel und links und rechts lammten alle Reichtümer in Milliarden von Blitzestrahlen. Aber Gelage und Kameradschaften der Frauen waren mir verboten. Nicht einmal einen Gefährten hatte ich. Ich sah mich vor einer verzweifelten Menge, im Angesichte einer Henkerrotte, weinend über das Unglück, daß sie nicht verstehen konnten, und verzeihend! — Wie Jeanne d’Arc! — „Priester, Professoren, Meister, ihr täuschet euch, wenn ihr mich der Gerechtigkeit überliefert. Ich habe nie zu diesem Volke gehört; ich bin niemals Christ gewesen; ich bin von jener Rasse, die unter Martern sang; ich verstehe die Gesetze nicht; mir fehlt der Sinn für die Sittlichkeit; ich bin ein Rohling: ihr irrt euch.“ Ja, ich habe die Augen geschlossen vor eurem Licht. Ich bin ein wildes Tier, ein Neger. Aber ich kann gerettet werden. Ihr seid falsche Neger, ihr Wahnsinnigen, Wütenden, Geizhälse. Kaufmann, du bist Neger; Behörde, du bist Neger; General, du bist Neger; Kaiser, alter Lüstling, du bist Neger: du hast einen unverzollten Schnaps getrunken, aus Satans Fabrik. — Dieses Volk ist von Fieber und Krebs verseucht. Kranke und Greise sind so achtbar, daß sie gesotten zu werden verlangen. — Das Pfiffigste wäre, diesen Kontinent zu verlassen, wo der Wahnsinn umzieht, um diesen Elenden Geiseln zu suchen. Ich trete in das wahre Königreich der Kinder Chams ein. Kenne ich noch die Natur? Kenne ich mich noch? — Keine Worte mehr. Ich bestatte die Toten in meinem Bauche. Schreie, Trommel, ‘Tanz, Tanz, Tanz, Tanz! Ich sehe nicht einmal die Stunde mehr, wo ich ins Nichts sinken werde, da die WeifSen landen. Hunger, Durst, Schreie, Tanz, Tanz, Tanz, Tanz! Die Weißen landen. Die Kanonen! Der Taufe muß man sich unterziehen, sich bekleiden, arbeiten. Ich bekam den Gnadenstoß ins Herz. Ach! Ich hatte ihn nicht vorausgeschen. Ich habe nichts Böses getan. Die Tage werden mir leicht, die Reue wird mir erspart sein. Ich werde die Qualen der Scele nicht gehabt haben, die fast am Guten gestorben ist, wo das strenge Licht aufsteigt wie die Sterbekerze. Das Los des Sohnes aus guter Familie, einen frühen von hellen Tränen bedeckten Sarg. Zweifellos ist die Ausschweifung dumm, das Laster dumm; man muß die Fäulnis in den Abgrund werfen. Aber die Uhr wird nicht cher schlagen, als bis die Stunde des reinen Schmerzes anbricht! Werde ich hingerafft werden wie ein Kind, um, alles Leid vergessend, im Paradies zu spielen? Schnell! Gibt es andere Leben? — Der Schlaf im Reichtum ist unmöglich. Reichtum war immer öffentliches Gut. Göttliche Liebe alleine gewährt die Schlüssel zur Wissenschaft. Ich sche, daß die Natur nur eine Schaustellung der Güte ist. Lebt wohl, Hirngespinste, Ideale, Irrtümer! Der sinnvolle Gesang der Engel steigt aus dem rettenden Schiffe auf: das ist die göttliche Liebe. — Zwei Lieben! Ich kann an der irdischen Liebe sterben, kann sterben aus Liebe zu Gott. Ich habe Seelen zurückgelassen, deren Pein mit meinem Tode wachsen wird! Du hast mich auserwählt unter den Schiffbrüchigen; die zurückbleiben, sind sie nicht meine Freunde? Rette sie! Die Vernunft ward in mir erweckt. Die Welt ist gut. Ich werde das Leben benedeien. Ich werde meine Brüder lieben. Das sind nicht mehr Versprechen der Kindheit. Noch auch die Hoffnung, dem Alter und dem Tode zu entwischen. Gott schafft meine Kraft und ich lobe Gott. Nicht mehr ist die Langeweile meine Liebe. Wut, Ausschweifung, Wahnsinn, deren Verziickungen und Mifgeschick ich kenne, — all meine Bürde hab ich abgeladen. Laßt uns ohne Schwindel das Ausmaß meiner Unschuld würdigen. Ich wäre nicht mehr fähig, die Labsal einer Prügelstrafe zu wünschen. Ich glaube nicht, daß ich zu einer Hochzeit eingeschifft bin mit Jesus Christus als Schwiegervater. Ich bin kein Gefangener meiner Vernunft. Ich habe gesagt: Gott. Ich will die Freiheit im Heil: wie sie erlangen? Die leichtfertigen Neigungen haben mich verlassen. Weder Hingabe noch göttliche Liebe brauche ich mehr. Ich bedauere das Jahrhundert der gefühlvollen Herzen nicht. Jeder hat seine Vernunft, Verachtung und Barmherzigkeit: ich behalte meinen Platz auf der Spitze dieser englischen Leiter von gesundem Menschenverstand. Was das Glück der Versorgung anlangt, häuslich oder nicht... nein, ich kann nicht. Ich bin zu zerstreut, zu schwach. Das Leben blüht durch die Arbeit, alte Weisheit: mein Leben ist nicht gewichtig genug, es fliegt auf und treibt weit über dem Tun, diesem kostbarsten Gut der Welt. Was ich doch für ein alter Jungfer werde, daß mir der Mut fehlt, den Tod zu lieben! Wenn Gott mir die himmlische Ruhe geben würde, diese schwebende, das Gebet, — wie den alten Heiligen. — Die Heiligen, Starke! Die Anachoreten, Künstler, wie man sie nicht mehr braucht! Ewige Posse? Meine Unschuld könnte mich weinen lassen. Das Leben ist die Posse, die alle verführt. Genug! Da ist die Strafe. — Vorwärts! Ach! Die Lungen brennen, in den Schläfen hämmert es! Die Nacht wälzt sich in meinen Augen, bei dieser Sonne! Das Herz... die Glieder... Wohin? Zum Kampf Ich bin schwach! Die anderen gehen vor. Werkzeuge, Waffen... die Zeit!... Feuer! Feuer auf mich! Da! Oder ich ergebe mich. - Feiglinge! — Ich töte mich! Ich werfe mich den Pferden vor die Füße! Ah!... — Ich werde mich daran gewöhnen. Das wird das französische Leben sein, der Pfad der Ehre! Oktober 2016 15