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Alexander Emanuely

Im Archiv der Theodor Kramer Gesellschaft liegen die besten
deutschsprachigen Rimbaud-Übersetzungen, die ich je gelesen
habe. Es sind die Manuskripte von „Die Erleuchtungen“ und
„Ein Sommer in der Hölle“, welche im Original „Iluminations“
und „Une saison en enfer“ heißen. Die Übersetzungen stammen
von Josef Kalmer, den die Poesie Arthur Rimbauds geprägt und
der sich sein ganzes Leben lang mit dem französischen Dichter
auseinandergesetzt hat. Und weil er sich gute 40 Jahre mit Rim¬
baud beschäftigt hat,! kann nicht gesagt werden, von wann die
vorliegenden Übersetzungen stammen. Es ist nur belegt, dass
ihre Publikation in den 1950er-Jahre erfolgen sollte. Und wahr¬
scheinlich sind sie nur deshalb nicht erschienen, weil Josef Kalmer
1959 im Alter von 61 Jahren bei einem Wienbesuch gestorben
ist. Otto Basil, wie sein Freund Josef Kalmer ein Rimbaud-Fan,
hätte an der geplanten Gesamtausgabe mitwirken sollen. Diese
Kooperation war dann der Grund, wieso Christina Basil, die
Witwe des „Plan“-Herausgebers, im Besitz der Manuskripte war,
als sie diese 1985 Konstantin Kaiser, der gerade eine erste Studie
über Josef Kalmer vorbereitete, und der eben erst gegründeten
Theodor Kramer Gesellschaft zum Archivieren übergab.?

Josef Kalmer war sicher einer der bedeutendsten österreichi¬
schen Literaturvermittler des 20. Jahrhunderts. Zwar hat er selbst
Gedichte, Essays, Artikel, politische Analysen, Reiseberichte ge¬
schrieben, doch berühmt wurde er als Literaturagent und als
Übersetzer. Wobei berühmt ein relativer Begriff ist, da man bis in
die 1980er-Jahre unter GermanistInnen dachte, bei Josef Kalmer
handle es sich eigentlich um ein Pseudonym von Leo Perutz?.
Den ersten ausführlichen Beitrag über den vergessenen Litera¬
turvermittler schrieb schließlich 1987 Kontantin Kaiser in den
„Mitteilungen“ des IWK.‘ In der Folge haben dann vor allem
Tanja Gausterer und Volker Kaukoreit zu Josef Kalmer gearbeitet.
2005 ist schließlich von ihnen in der ZW ein ausführlicher Beitrag
über dessen Leben und Werk erschienen.’ Neben seinem Einsatz
für AutorInnen in der „Agentur Kalmer“, die er mit seiner Frau
Erica, einer ehemaligen Mitarbeiterin Jan Masaryks, ab 1945 in
London betrieb, übersetzte Josef Kalmer schon seit seinem 15.
Lebensjahr Lyrik aus allen möglichen Sprachen. Die vertrauteste
Fremdsprache dürfte das Französisch gewesen sein, doch übersetzte
er ebenfalls aus dem Englischen, ab den 1920er-Jahren aus dem
Russischen und nach 1945 auch aus dem Chinesischen (so z.B.
Lu Xun). Zu seiner Tätigkeit als Übersetzer moderner Literatur
aus dem Reich der Mitte ist erst vor relativ kurzer Zeit, nämlich
2011, ein umfangreicher Beitrag des Schweizer Sinologen Raoul
David Findeisen erschienen.°

Rimbaud-Übersetzungen von Josef Kalmer wurden zum ersten
Mal 1919 veröffentlicht. Damals erschienen sie neben eigenen
Gedichten in der Wiener Zeitschrift „Aufschwung“. Für die „Neue
Schaubühne“ hatte er 1919 „Bühnen“ aus den „Erleuchtungen“
übersetzt. 1921 folgten Übersetzungen für die ebenfalls in Wien
erscheinende Zeitschrift „Ver!“, welche 1917 von Peter Alten¬
berg und dem anarchistischen Autor Karl F. Kocmata gegründet
worden war. Man darf hier nicht übersehen, dass die erste be¬
deutende Übersetzung von Rimbaud-Gedichten ins Deutsche
erst 1907 im Insel-Verlag erschienen ist — Stefan Zweig hatte das
Geleitwort geschrieben und der Exzentriker Karl Anton Klammer,

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kurz K.L.Ammer, übersetzt. Es folgten 1912 und 1913 vereinzelt
Übersetzungen von Heinrich Horvät und Hans Jacob in „Der
Sturm“. Die erste bedeutende Rimbaud-Biografie in Deutsch¬
land sollte schließlich 1921 Hans Jacob veröffentlichen.’ Hans
Jacob, ebenfalls als Übersetzer aktiv, war, obwohl Deutscher, wie
Josef Kalmer ab 1939 Mitglied des Austrian PE.N. in London.
Weitere Rimbaud-Ubersetzer der Zwischenkriegszeit waren z.B.
die 1933 aus Deutschland exilierten Paul Zech (nach Argen¬
tinien) und Alfred Wolfenstein (nach Prag, dann Frankreich).
Paul Zech dramatisierte 1924 Rimbauds ,,Das trunkene Schiff".
Das Stiick wurde 1926 von Erwin Piscator in der Volksbiihne
zur Uraufführung gebracht. Der expressionistsche Lyriker Alfred
Wolfenstein erhielt für seine Rimbaud-Übersetzung 1930 den
deutschen Übersetzerpreis. Nach 1945 wird, neben Josef Kalmer
und Otto Basil, Paul Celan Rimbaud übersetzen.

Doch nicht nur in Wien war 1919 Arthur Rimbaud Geheimtipp.
In Frankreich konnte z.B. „Ein Sommer in der Hölle“ erst 1901
einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, obwohl
Rimbaud den Gedichtband schon 1873 drucken hatte lassen. Da
der Autor die Druckrechnung nicht bezahlt hatte, war die gesamte
Auflage bis 1901 im Lager der Brüsseler Druckerei verstaut geblie¬
ben. Auch das Manuskript von „Die Erleuchtungen“ war überzehn
Jahre in den Pariser Caféhausern herumgereicht worden, bevor es
1886 auszugsweise in der anarchistischen Literaturzeitschrift „La
Vogue“ publiziert wurde®. Ab Mitte der 1890er-Jahre, also nach
seinem Tod im Jahr 1891, wurde Rimbaud allmählich in Frank¬
reich bekannt. 1897 erschien eine erste umfangreiche Biografie
von Paterne Berrichon, der eigentlich Pierre-Eugene Dufour hieß
und Rimbauds Schwager war, im Mercvre de France.’ Ab 1919
sollten vor allem die SurrealistInnen Arthur Rimbaud als einen der
ihren bezeichnen und als eine revolutionären Dichter verehren. Sie
kaufen den Rimbaud-Erben um teures Geld die Rechte für den
Abdruck des antiklerikalen, lyrischen Prosatextes ,,Un coeur sous
une soutane“ ab, der dann in der Ausgabe vom 22. August 1924
der Zeitschrift „LITTERATURE“ zum ersten Mal veröffentlicht
wird. Im deutschen Sprachraum erscheint „Ein Herz unter einer
Soutane. Intime Aufzeichnungen eines Seminaristen“ 1955 zum
ersten Mal und zwar in der Ostberliner Zeitschrift „Sinn und
Form“!. Die Übersetzung ist von Josef Kalmer. Dies wird seine
einzige veröffentlichte Rimbaud-Übersetzung nach 1945 sein.

Es ist zwar umstritten, ob Arthur Rimbaud 1871 an den Kämp¬
fen der Pariser Kommune beteiligt gewesen ist, doch hat er eindeu¬
tig mit den KommunardInnen sympathisiert. Mit „Ein Sommer in
der Hölle“ machte er in den Jahren nach der Niederschlagung der
Pariser Kommune richtiggehend seiner Wut über Frankreich, über
die Kirche, das Bürgertum, das Spießertum, die Kolonialpolitik
Luft. Im Gedicht „Schlechtes Blut“ explodiert Arthur Rimbaud
förmlich mit seiner Kritik an Frankreich. Es ist jenes Frankreich,
welches 1871 das revolutionäre Volk von Paris niedermetzeln ließ,
jenes Frankreich, das 1940 dem Faschismus alle Türen geöffnet
hat. Nicht umsonst bezogen sich die Vertreterlnnen des „anderen
Frankreichs“, der Résistance auf Rimbaud (La main 4 plume).
Vichy-Frankreich hatte die Devise der Republik „Liberte-Egalite¬
Fraternité“ durch eine andere Dreiheit ,, Travail-Famille-Patrie“
(Arbeit, Familie, Vaterland) ersetzt, also all das, wogegen sich