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Klaus Taschwer, Wissenschaftsredakteur des „Standard“, publizierte eine detail- und materialreiche Studie über den Absturz der Universität Wien in die wissenschaftliche Provinzialität seit den 20er Jahren, mit ihrem Höhepunkt ab 1938 mit der größten Vertreibungswelle von über 250 Professoren und Dozenten. Taschwer ortet als Gründe für die bürgerkriegsähnliche Atmosphäre auf den Wiener Hochschulen Neid, die Nachkriegsnot und die Militarisierung der Gesellschaft. In den Zeiten des kurzen wirtschaftlichen Aufschwungs ebbten die Zusammenstöße ab. 1923/24 setzte man Zugangsbeschränkungen für die Technische Hochschule und die Hochschule für Bodenkultur durch; für osteuropäische jüdische Studentinnen und Studenten wurden die Inskriptionsgebühren erhöht. 1925 waren die Ausschreitungen so eskaliert, dass die Universität fünf Tage lang gesperrt werden musste. 1933 kam es zu schweren Attacken auf das Anatomische Institut Julius Tandlers, worüber wie bereits in anderen Fällen auch die „New York Times“ berichtete. Ein vom Paläontologen Othenio Abel gegründetes geheimes Netzwerk von 18 Professoren, das sich in der „Bärenhöhle“, einem Seminarraum des Instituts für Paläobiologie, traf — es wurde 2012 von Taschwer aufgedeckt -, hintertrieb systematisch die Habilitationen von jüdischen oder linken Forschern. Im letzten Abschnitt analysiert Taschwer das fast vollständige Scheitern der Remigration, wofür er insbesondere den Rektor Richard Meister verantwortlich sieht. Viele der NS-belasteten Professoren, die die Universität verlassen mussten, fanden dann ein neues Betätigungsfeld an der Akademie der Wissenschaften. Eine Übersicht über die gesamte Beziehungsgeschichte zwischen den Juden Wiens und der Wiener Universität gab eine bis März 2016 laufende Ausstellung des Wiener Jüdischen Museums, für die jedoch die angestrebte Kooperation mit der Universität nicht zustande kam. Die Anfänge dieser Geschichte waren düster: Steine der 1421 zerstörten Synagoge wurden für den Bau der Neuen Schule der Universität benutzt. Die Revolution von 1848 wurde wesentlich von Juden und Studenten, die sich in der Akademischen Legion zusammenschlossen, getragen. Für das neunzehnte Jahrhundert beschreibt Barbara Staudinger eine Zeitreise mit dem Wiener jüdischen Historiker und Religionslehrer Gerson Wolf (1823 — 1892), der sich in seinen zahlreichen Schriften mit der Geschichte der Wiener Juden und der Universität befasste. Als es im Oktober 1932 zu den bisher brutalsten Übergriffen auf jüdische und sozialistische Studenten kam, nahm der Dekan Josef Hupka 34 Protokolle von betroffenen Studenten und Die Czernowitzer Künstlerin Edith Silbermann führt an Hand ihrer Familienbiografie durch die Geschichte der ehemals österreichischen Stadt Czernowitz, der Hauptstadt des einstigen k.u.k. Herzogtums Bukowina. Sie schildert das damalige Leben jüdischer Familien, manchmal ein bisschen zu weitschweifig bis zu den entferntesten Verwandten, deren Kinder und Kindeskinder. Die LeserIn erfährt viel über jüdisches Leben in Czernowitz und ihr stolzes Zugehörigkeitsgefühl zur österreichischen Kultur in Zeiten der k.u.k. Monarchie. Das jüdische Bürgertum in Czernowitz sprach überwiegend deutsch und lehnte sich in Sprache, Mode, Kultur und Architektur engan Wien an, sodass Czernowitz als „Klein Wien“ apostrophiert wurde. Nach dem 1. Weltkrieg verliert Österreich die Bukowina an Rumänien. Diese Periode dauert bis zum Einmarsch der Sowjets in die Nordbukowina im Juli 1940, zur Zeit des HitlerStalin-Pakts. Auch in der Zeit der Zugehörigkeit der Bukowina zum Königreich Rumänien, in dem Rumänisch Amtssprache war, wurde in den meisten jüdischen Familien deutsch gesprochen und die 54 ZWISCHENWELT jüdischen, und auch manche nichtjüdischen, Czernowitzer Dichter und Dichterinnen schrieben in deutscher und jiddischer Sprache. Nach dem Einmarsch Sowjetischer Truppen in der Nordbukowina war es vorteilhaft Russisch zu können. Edith Silbermann schildert, wie ihr Vater die alten Lehrbücher der russischen Sprache hervorholte und die Familie sich Mühe gab, ihr Russisch zu verbessern. Ein Jahr dauerte die sowjetische Herrschaft. Nach dem raschen Abzug der sowjetischen Truppen am 20. Juni 1941 erschienen am 6. Juli 1941 die Deutschen, und damit begann für die jüdische Bevölkerung eine Schreckensherrschaft. Vor ihrem Abzug transportierten die Sowjets noch jüdische Bürger nach Sibirien. Es handelte sich meist um wohlhabende Familien des jüdischen Bürgertums, für die das karge Leben im tiefsten Sibirien oft Krankheit und Tod bedeutete. 1944 endete mit dem erneuten Einmarsch der sowjetischen Truppen die deutsche Schreckensherrschaft — vor allem fiir die jüdische Bevölkerung. Die dem Tod entronnenen jüdischen Männer wurden allerdings sehr oft sofort in die sowjetische Armee eingezogen oder in die Bergwerke Studentinnen auf, die er vergeblich an den damaligen Rektor Othenio Abel sandte. Die Protokolle wurden von der Historikerin Linda Erker entdeckt, die dazu eine Publikation vorbereitet. Eines der Protokolle wurde im Band abgedruckt. Hupka wurde nach seiner Ausweisung aus der Schweiz 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1944 starb. Der Begleitband enthält weiters zahlreiche Quellentexte aus jüdischen Zeitungen und die Protokolle einer vierteiligen Diskussionsserie zum Ihema mit Experten und Zeitzeugen, die in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen und der Universität im Frühsommer stattfand. Für den Abschnitt beispielhafter Kurzbiographien jüdischer AbsolventInnen der Universität wurden ausgewählt: Walter Kohn, Eric Kandel, Martin Karplus, Diane Alice Stern, Gerda Lerner, Kurt Schoen, Hilde Zaloscer, Mona Lisa Steiner, Marie Jahoda, Karl Löwy und Ernst Gombrich. Evelyn Adunka Klaus Taschwer: Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universitat Wien im 20 Jahrhundert. Wien: Czernin 2015. 311 S. € 24,90 Werner Hanak-Lettner (H¢.): Die Universität. Eine Kampfzone. The University, A Battleground. Wien: Picus 2015. 236 S. € 29,90 des Donezk geschickt. Die Nordbukowina wurde wieder der Ukraine angegliedert und der Süden verblieb bei Rumänien. Wir begegnen im Freundeskreis von Edith Horowitz, spater verheiratete Silbermann, vielen bekannten Namen, wie Paul Celan, Immanuel Weißglas, der im Schatten Celans blieb und nicht die ihm gebührende Anerkennung fand, Alfred Kittner, Rose Ausländer. Nicht zuletzt war Edith Horowitz (Silbermann) selbst eine hervorragende Interpretin jiddischer Lieder und jiddischer Dichtung. Nach dem Ende des Krieges erhielt die Bevölkerung der Bukowina eine Zeit lang die Erlaubnis, nach Rumänien auszuwandern. Auch Edith Silbermann nützt diese Gelegenheit, da sie sich bessere Chancen für Studium und Berufsausübung in Bukarest erhofft. Hier gelingt ihr auch der Sprung an das „Jiddische Theater“, wo sie, obwohl sie erst Jiddisch lernen muss, bald zum Star avanciert. Für viele Freunde von Edith Silbermann war Österreich und vor allem Deutschland das Wunschziel. Paul Celan war bereits 1947 nach Wien emigriert. Edith Silbermann, inzwischen mit Jacob Silbermann verheiratet, erhielt nach