„Stars of David“, die noch bis Anfang Oktober
gezeigte Ausstellung des Jüdischen Museums
Wien, widmet sich jüdischen Stars und gro¬
ßen Interpreten der Unterhaltungsmusik wie
Barbara Streisand, Billy Joel, Neil Diamond,
Bob Dylan, Leonard Cohen, Paul Simon und
Amy Winehouse. Die Herausgeber haben für
das zweisprachige, illustrierte und mit einem
Namensindex versehene Begleitbuch 20 inter¬
nationale Autoren und Autorinnen gewonnen.
Einige Aufsätze beschreiben den Beitrag der Exi¬
lanten zur amerikanischen Musikkultur und das
Musikgeschehen in Israel, Frankreich, England
und Afrika. Ein lesenswertes Zeitzeugnis ist der
Band auch wegen der zahlreichen Interviews, für
Anja Siegemund, die Direktorin des Centrum
Judaicum in Berlin und bis 2015 Leiterin des
Leo Baeck Instituts in Jerusalem, versammelte
24 deutsche und israelische Autoren und Au¬
torinnen, um auf das reichhaltige europäische
kulturelle Erbe der Stadt Haifa aufmerksam zu
machen. Der Band erhebt trotz seines Umfangs,
wie die Herausgeberin im Vorwort betont, kei¬
nen Anspruch auf Vollständigkeit. 1938 stamm¬
ten 11.000 jüdische Einwohner Haifas (von
insgesamt 54.000) aus Deutschland, Österreich
und der Tschechoslowakei.
Siegemund beschreibt in ihrem Beitrag die
politischen Ambitionen der Jeckes mir ihrer bis
1948 bestehenden Partei Alija Chadascha (Neue
Alija), in der sich der Arzt Elias Auerbach und
der aus Wien stammende Rechtsanwalt Leo
Godhammer engagierten.
Eine nicht untypische Einwanderergeschichte,
die ausführlicher erzählt wird, ist jene der Fa¬
milie Bettelheim aus Wien. Stefanie Bettelheim
war in Wien Sängerin und eröffnete in Haifa
einen Stricksalon. Ihr Mann Richard Bettelheim
hatte in Wien ein Geschäft für Weißwaren und
verkaufte in Haifa Zellstoff für Zahnärzte. Der
Sohn Herbert Bettelheim wurde Vorsitzender
der 1964 von Amerikanern und Israelis ge¬
griindeten zweiten liberalen Synagoge Haifas
Or Chadasch und administrativer Direktor des
ihr angeschlossenen Leo Baeck Erziehungszen¬
trums.
Christian Kraft, Autor der Studie „Aschke¬
nas in Jerusalem“ über die verlorene orthodox¬
jüdische Tradition in Jerusalem, beschreibt die
Geschichte der von Max Elk und Paul Lazarus
geleiteten liberalen Synagoge Bet Israel, die bis
das Wiener Lesepublikum besonders interessant
mit dem Jazzhistoriker Dan Morgenstern, dem
Sohn von Soma Morgenstern, mit Timna und
Arik Brauer, Edek Bartz und Albert Misak.
Der kleine Begleitband zur Kleinausstellung
„Wege ins Vergnügen“ bietet einen informati¬
ven Überblick der längst vergangenen jüdischen
Vergnügungsstätten auf der Praterstraße. Der
Begleitband ist kompetent recherchiert und
beschrieben.
Die bis November gezeigte Ausstellung in
der Dependance am Judenplatz basiert auf den
virtuellen Rekonstruktionen der im Novem¬
berpogrom zerstörten Wiener Synagogen von
Bob Martens und Herbert Peter, über die bereits
in die fünfziger Jahre bestand, und die orthodoxe
Gemeinde Ahawat Tora.
Dem Berliner Architekten Alexander Baerwald
und seinem wichtigsten Projekt, dem ab 1912
erbauten Technion, sind zwei Beiträge gewid¬
met. Die 1924 eröffnete Hochschule erhielt ab
1931 mit Schlomo Kaplansky einen Direktor,
der an der Technischen Hochschule in Wien
studiert und sich hier für die Poale Zion en¬
gagiert hatte. In den dreißiger Jahren wurde
das Technion Zuflucht für viele Professoren aus
Mitteleuropa, für die mit Hilfe amerikanischer
Spenden Stellen geschaffen wurden. Unter ihnen
war auch der in Linz geborenen Max Kurrein,
auf dessen Biographie Christiane Reves genauer
eingeht.
Ruthi Ofek, die Chefkuratorin der Offenen
Museen in Tefen, von denen sich eines den Je¬
ckes widmet, schrieb einen Beitrag über den
bereits 1922 eingewanderten Graphiker Her¬
mann Struck, über den sie 2007 zusammen mit
Chana Schütz auch das Begleitbuch zu einer
großen Ausstellung publizierte. Strucks Haus
in Haifa ist seit 2013 ein Museum.
"Thomas Lewy beschreibt in dem Aufsatz über
das jeckische Theater das weitere Wirken der
früher in Wien aufgetretenen Schauspielerinnen
Esther Taube, Hertha Wolff und der Kabarettis¬
ten Hans Behal und Hedi Hirth-Behal.
Caroline Jessen und Wolfram stellen zwei
heute ziemlich vergessene Autoren vor. Beide
arbeiteten in Deutschland als Rechtsanwälte,
hatten aber sonst wenig gemeinsam. Der be¬
reits 1946 verstorbene Zionist Josef Kastein
veröffentlichte vielgelesene populärhistorische
Bücher. Der Lyriker Paul Mühsam führte in
2009 im Mandelbaum Verlag eine Dokumen¬
tation erschien. Ergänzt wird die Ausstellung
durch einige Judaica und Postkarten aus dem
Marcus G. Patka, Alfred Stalzer (Hg.): Stars of
David. Der Sound des 20 Jahrhunderts. The Sound
of the 20" Century. Berlin: Hentrich & Hentrich
2016. 348 S. € 29,¬
Brigitte Dalinger, Werner Hanak-Lettner, Lisa
Noggler (Hg.): Wege ins Vergnügen. Unterhaltung
zwischen Prater und Stadt. Wien: Metro 2016.
785. € 19,¬
den ersten Jahren eine Pension und arbeitete an
seiner umfangreichen, auf Deutsch „ins Leere“
geschriebenen Autobiographie.
Ebenfalls an eine vergessene Persönlichkeit
erinnert Fabian Hennig in seinem Beitrag über
die orthodoxe Frauenrechtlerin und Autorin
Ester Rabin, die Frau des Breslauer Rabbiners
Israel Rabin, nach der in Haifa auch eine Straße
benannt ist.
Caroline Jessens Aufsatz „Alte Bücher in Hai¬
fa“ ist ein berührender Rückblick auf die verlore¬
ne Welt der deutschsprachigen Buchhandlungen
und Antiquariate. In einer Anmerkung weist sie
darauf hin, dass Eva Edelmann-Obhler in Zürich
derzeit an einer Bibliographie des deutschspra¬
chigen Schrifttums in Israel arbeitet.
Ein originelles Beispiel für eine Art materiellen
Kulturtransfer stellt Katharina Hoba mit einem
aus dem Beethovenhaus in Mödling von der
Familie Eisler transferierten Bogenfenster vor.
Der mit Unterstützung der ZEIT-Stiftung
publizierte Band enthält auch zahlreiche Illus¬
trationen und einen (bei Sammelbänden nicht
selbstverständlichen) Personenindex. Das Buch
wird den vielen ausgewählten Facetten der bisher
so wenig beschriebenen europäischen Geschich¬
te der drittgrößten Stadt Israels voll gerecht und
ist daher vorbehaltlos zu empfehlen.
E.A.
Anja Siegemund (Hg.): Deutsche und zentraleuro¬
péaische Juden in Palästina und Israel. Kulturtrans¬
‚fers, Lebenswelten, Identitäten. Beispiele aus Haifa.
Berlin: Neofelis Verlag 2016. 514 5. € 40,10