„Sie ist ein lebendiges Feuer, wie ich es noch nie geschen habe.
Dabei äußerst zart, mutig, klug“, schwärmte Franz Kafka über
Milena Jesenskä. Seine „Briefe an Milena“ hätten ihr zwar die
traditionelle Rolle der Freundin eines berühmten Mannes zuge¬
wiesen, zugleich aber das Interesse an ihrer Person geweckt, so
ihre Biographin Alena Wagnerovä.
Wer sie nur als Briefpartnerin Kafkas und Übersetzerin seiner
Werke sicht, verkennt, dass sie eine hellsichtige Journalistin und
sachkundige Redakteurin war. Ihre Feuilletons und Reportagen,
die sie in den 20er und 30er Jahren u.a. für die von ihr betreute
Frauenseite der Zeitung Ndrodni listy schrieb, bestechen durch
scharfe Beobachtungsgabe. Auf dieser Seite engagierte sie sich
leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit sowie die Emanzipation
und Gleichstellung der Frauen. Sie sprach nicht nur über die
Befreiung der Frau, sie erhob auch persönlich Anspruch auf ein
selbstbestimmtes und ökonomisch unabhängiges Leben. „Für
sie war die Weltordnung nicht geschaffen, wie sie es für uns war.
Sie durchbrach sie jeden Tag, jede Minute“, erinnerte sich ihr
Freund Willy Haas, Begründer der Zeitschrift Literarische Welt.
Geboren wurde Milena am 10. August 1896 in Prag. Ihr Vater
Jan Jesensky begründete seine Karriere als Zahnarzt und Dozent
der Zahnmedizin auf der Mitgift seiner Frau Milena Hejzlarovä.
Er war national gesinnt und zuweilen jähzornig; ihre Mutter hin¬
gegen war warmherzig, gebildet, kreativ und kümmerte sich um
die Erziehung der Tochter. Von 1907 bis 1915 besuchte Milena
das tschechische Mädchengymnasium Minerva in Prag, aus dem
die weibliche Elite der ersten tschechoslowakischen Republik
hervorging. Schon im Teenageralter musste Milena die häusliche
Pflege ihrer schwer erkrankten Mutter weitgehend allein über¬
nehmen. Sie begann auch deshalb, ihren rücksichtslosen Vater
regelrecht zu hassen. Kurz vor ihrem 17. Geburtstag starb die
Mutter. Was nun folgte, war, so der Kafka-Biograph Reiner Stach,
eine Kriegserklärung an den Vater: Sie plünderte sein Konto,
stahl seine Kleidung, verschenkte sie an Bedürftige. Ungeachtet
nationaler Barrieren besuchte sie mit Freundinnen das Cafe Arco,
einen Treffpunkt der deutsch-jüdischen Avantgarde Prags, und
verliebte sich in den Bohemien Ernst Pollak. Ihr Vater versuchte
mit allen Mitteln, diese Beziehung zu unterbinden, und ließ
seine Tochter in eine psychiatrische Anstalt einsperren. Bis zu
ihrer Volljährigkeit (damals mit 21 Jahren) war sie dort gefan¬
gen. Unmittelbar nach ihrer Entlassung heiratete sie Pollak und
übersiedelte nach Wien. Rebellion gegen Normen, Konventionen
und Ansprüchen selbsternannter Autoritäten sollte auch ihren
weiteren Lebensweg prägen.
Während Pollak in Wien sein Boheme-Leben wieder aufnahm,
sorgte Milena für den Lebensunterhalt und arbeitete zeitweilig als
Tschechischlehrerin. Ende 1919 bekam sie auf der Suche nach
Verdienstmöglichkeiten die Chance, Reportagen für die Prager
Zeitung Tribuna zu schreiben. Es war eine Serie von Reporta¬
gen über die soziale Lage in Wien, die ihren Ruf als Journalistin
begründete. Daneben erschienen zahlreiche Übersetzungen von
ihr, darunter Texte von Franz Werfel, Kurt Landauer und Rosa
Luxemburg. Nach ihrer Trennung von Ernst Pollak und ihrem
Abschied aus Wien 1924 verkehrte sie in der avantgardistischen
Künstlergruppe „Devitsil „ (Pestwurz). Ein kurzes Glück war ihr
in der von 1927 bis 1934 dauernden Ehe mit dem Architekten
Jaromir Krejcar und der gemeinsamen Tochter Jana beschieden.
1929 beendete sie ihre Zusammenarbeit mit Ndrodni listy und
wandte sich linken Zeitungen zu. Sie trat 1931 der Kommunis¬
tischen Partei der Tschechoslowakei bei, wurde aber 1936 wegen
kritischer Äußerungen wieder ausgeschlossen. In einem erschüt¬
ternden Brief an Olga Scheinpflugovä schrieb sie desillusioniert:
„Die Menschen aus dem kommunistischen Apparat sind das
Schlimmste, was ich auf der Welt kenne (...) jeder, der selbständig
denken will oder nur etwas sagen will — wird sofort beseitigt.“
Nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch Deutschland
1938 schloss sie sich dem antifaschistischen Widerstand an. Sie half
Funktionären der KPTsch, sich vor der Gestapo zu verstecken. Für
zahlreiche Emigranten, Juden und andere Verfolgte organisierte
sie die Flucht: „Mir scheint immer noch, daß man hier arbeiten
muß ... Vielleicht wird es dem Volk, das ich so liebe, ... doch
einen Nutzen bringen.“ In zahlreichen Reportagen der Pftomnost
suchte sie der über Prag liegenden Depression politisch etwas ent¬
gegenzusetzen. Im November 1939 wurde sie als Mitarbeiterin der
illegalen Zeitung V Boj von der Gestapo verhaftet. Ein Prozess in
Dresden endete mit ihrem Freispruch. Trotzdem wurde sie 1940
„zwecks Umerziehung“ in das KZ Ravensbrück deportiert. Dort
unterstützte sie mutig, aufrecht und standhaft andere Mithäftlinge,
wie es zahlreiche Zeugnisse, nicht zuletzt das Buch von Margarete
Buber-Neumann, belegen. Wie es in ihrem Inneren aussah, kann
man nunmehr ihren Briefen aus dem Gefängnis entnehmen. Es
sind Dokumente einer liebenden Mutter und einer politischen
Zeitbeobachterin: „Seit meiner Krankheit ... darfich regelmäßig
Zeitung beziehen — Du kannst Dir vorstellen, wie fieberhaft ich
sie lese. Mein Gott, warum haben wir alle nach dem Krieg gelebt,
wenn er wieder möglich ist? ... 12 Millionen Tote im Weltkriege
— und alles umsonst! Wieviele werden es diesmal sein? ... Und
kann man, darf man nachdenken, wie es einem geht? Und wenn