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stellen. Lebendige Demokratie setzt einen ständigen Dialog und die Bereitschaft zum Wandel voraus. Wer den Grundpfeiler der bedingungslosen Achtung vor der Würde des Einzelnen in Frage stellt, bringt das ganze Gebäude zum Einsturz. Alle Menschen sind gleich und frei an Rechten und Würde geboren. In dem Augenblick, wo irgendeinem anderen Wert, z.B. der Sicherheit, Vorrang eingeräumt wird, ist die Demokratie bedroht und mit ihr die Kultur. Was kann die Kultur, was können wir den Angstmachern entgegensetzen? Wir können einladen zu einem Dialog in den verschiedensten Medien, in realen oder gedachten Räumen, mit real existierenden oder erdachten Figuren. Jedes Bild, jede Musik, jedes Buch ist ja eine Einladung Stellung zu nehmen, in einen Dialog mit dem Werk zu treten. Wir können Interesse wecken und neugierig machen auf mehr Wissen. Wir können der Phantasie Mut zum Abheben machen. Aber wir können immer nur einladen - zum Schauen, zum Hören, zum Lesen, zu Entdeckungen. Schon bei einem so schlichten Ding wie einem Würfel kann keiner mehr als drei Seiten gleichzeitig schen, aber mehrere können ihre verschiedenen Sichtweisen zusammentragen und vergleichen. Die Lage ist zu ernst und die Herausforderung zu groß, um sich im Pessimismus häuslich einzurichten. Wenn wir das tun, arbeiten wir den Rechtsextremen und Nationalisten in die Hände, die nur darauf warten, dass wir ihnen das Feld überlassen. Wie hoch müssen die Mauern werden, damit die Festung Europa sich sicher fühlen kann? Es geht dabei keineswegs nur darum, dass wir den anderen eine Chance geben sollen, es geht darum, dass wir die Möglichkeiten nutzen sollten, die gerade die anderen uns bieten. Tun wir das nicht, dann besteht tatsächlich die Gefahr, dass wir fremd werden im eigenen Haus. Wir können auch nicht darauf warten, dass uns die großen Lösungen einfallen — so viel Zeit haben wir nicht. Wir können die Entwicklung der letzten hundert Jahre nicht ungeschehen machen, wir können die Teilhabe an der globalisierten Welt nicht aufkündigen. Es gibt tausend gute Gründe Angst zu haben, aber Angst ist ein schr schlechter Ratgeber, und wenn wir es schaffen, Paulus Adelsgruber der Angst ins Gesicht zu lachen, haben wir einen Funken Hoffnung in die Welt gesetzt, auch wenn das Lachen noch nicht sehr überzeugend war. Selbst ein schiefes Lachen kann ansteckend wirken, vielleicht sogar Mut machen und dazu anstacheln, sich einzulassen auf jene Genauigkeit, die es braucht, um hinter den Bedrohungen Möglichkeiten zu schen. Wir sind nicht so hilflos, wie wir manchmal fürchten. Gegen die Epidemie der Angst ist die Neugier ein starker Schutz, und es gehört zu den Aufgaben der Kultur, die Neugier wach zu halten. Ebenso wichtig wie die Neugier ist die Fähigkeit sich zu freuen. Die scheint mir manchmal in Gefahr zu verkümmern. Ich glaube, hier schließt sich der Kreis, denn Freude hat sehr viel mit Achtung zu tun, mit bedingungsloser Achtung vor anderen und vor sich selbst. Aufder Grundlage ist es möglich, auch kleine Schritte mit Freude wahrzunehmen. Ich sche unsere Aufgabe als eine zutiefst politische, auch und gerade dort, wo wir uns mit privaten Problemen herumschlagen. Kultur kann Unruhe stiften, wo Trägheit herrscht. Oder wie mir ein Bub nach einer Lesung schrieb: „Liebe Frau Welsh, ich habe nicht gewusst, dass es ein Spaß sein kann, über etwas nachzudenken. Ich werde dieses jetzt öfters tun.“ Renate Welsh-Rabady, geboren 1937 in Wien, studierte Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften, arbeitete lange Zeit als Übersetzerin und ist seit 1969 als freischaffende Schriftstellerin tätig. Sie leitet Schreibwerkstätten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, verfasste zahlreiche und vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbücher, zu denen Klassiker wie „Johanna“ oder „Das Vamper!“, gehören; zuletzt 2013 „Ganz schön bunt“. Sie schrieb Hörspiele und Romane (u.a. „Das Lufthaus“, 1994, „Liebe Schwester“, 2003, „Die schöne Aussicht“, 2005, „Großmutters Schuhe“, 2008). Seit 2006 ist sie Präsidentin der „Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren“. In ZW erschienen ihre Erzählungen „Nicht hier“ (Nr. 1-2/2012), „Fräulein Emma“ (Nr. 2-3/2015) und „Er heifst nicht Rashid“ (Nr. 3/2016). Valentin Kais wandert aus - als einer der letzten Landler, die mit ihren Familien noch im Theresiental, tief in den ukrainischen Waldkarpaten, geblieben sind. Seine acht Kinder sind zwischen neun und 23 Jahre alt. Im Juni 2016 schreibt er mir vom „ziemlich seltsamen Krieg“ im Osten der Ukraine, keine guten Zeiten, wenn man fünf Söhne habe. Im Herbst werde man von Königsfeld in die USA gehen. Eigentlich wollen wir unsere ganze Gruppe von der österreichisch-ukrainischen Sommerschule hierher lotsen, Besuch aus der „Urheimat“ sei immer willkommen. Doch daraus wird nichts. Die Nordverbindung nach Königsfeld, ukrainisch Ust-Tschorna, ist unpassierbar. Nichts Ungewöhnliches in diesem Tal, wo im Jahr 1998 ein Hochwasser die Schmalspurbahn mit sich fortgerissen hat. Seitdem läuft der wirtschaftlich wichtige Holztransport nur noch per Lastwagen: Groß und dunkelgrün schieben sie sich als Zeugen einer kaum regulierten Abholzung durch die Dörfer, von Deutsch Mokra und Lopuchiw oberhalb von Königsfeld bis an den Unterlauf der Tereswa bei Tjatschiw. Ich entschließe mich bald zu einem Solobesuch nach Abschluss der Sommerschule. Über die längere Südverbindung ist das möglich. Von Lemberg an die Grenze der Habsburger und Romanows Aber zuerst lernt unsere gemischte ukrainisch-österreichische Studentengruppe in Lemberg/Lviv Deutsch und Ukrainisch. Die einstige Hauptstadt des Kronlands Galizien ist heute nicht nur die bedeutendste Stadt der Westukraine, sondern für viele auch das geistige Zentrum der ukrainischen Nation. Doch man hört erstaunlich viel Russisch an diesen Sommertagen: Aufgrund der Wirtschaftskrise tummeln sich neben Westeuropäern auch Binnentouristen aus der Zentral- und Ostukraine in den grob Dezember 2016 7