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dem sich das Publikum für den Abend bedankt habe. Kramer dürfe ein solches Publikum „zu seiner Gemeinde zählen“, meinte das „Neue Wiener Abendblatt“. Und Liegler bemerkte im letzten Satz seiner Kritik: „Zum Schluß dankte Theodor Kramer selbst für den reichen Beifall und das ungewöhnliche Interesse, das seiner Produktion entgegengebracht wurde.“ Kramer selbst war also an diesem Abend anwesend — und hatte es nicht versäumt, am Ende des Abends seiner „Gemeinde“ zu danken. 2) Die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und der P.E.N. Was verschaffte dem Schriftsteller Rudolf Jeremias Kreutz die Ehre, in den Iheodor-Kramer-Abend einleiten zu dürfen? Und umgekehrt: Wie kam Iheodor Kramer dazu, eingangs von Kreutz gewürdigt zu werden? Am 22. Jänner 1933, im Vorjahr, war in Wien die „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ gegründet worden, und Kramer wurde Vorstandsmitglied.” Kreutz trat dieser Vereinigung nicht bei; er war aber Mitglied des „Wiener PE.N.-Clubs“, dem wiederum Kramer nicht angehörte. („Wiener PE.N.-Club“ war anfangs der offizielle Name des österreichischen PE.N.; erst am 4. Mai 1936 wurde der Verein in „Österreichischer PE.N.-Club“ umbenannt.!®) Anders als Kramer und Kreutz gab es jedoch auch Schriftsteller, die Mitglieder beider Vereine waren, nämlich David Josef Bach und Fritz Brügel. Schon durch solche Doppelmitgliedschaften waren die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und der PE.N. in Kontakt. Dieser Kontakt wurde noch intensiver, als die Vereinigung eine Petition initiierte, mit der sie sich hilfesuchend an den PE.N. wandte. Diese Petition wurde am 28. Mai 1933 dann auch von Hugo Sonnenschein auf dem Internationalen PE.N.-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) verlesen''; bekannt war Sonnenschein unter seinem Pseudonym „Sonka“.'? Nur wenige Wochen zuvor, im April 1933, hatten die Nazis in Deutschland ihre „Aktion wider den undeutschen Geist“ begonnen, die, so Klaus Amann, „lausende von wissenschaftlichen und intellektuellen Existenzen“ zerstörte; das „weithin sichtbare Symbol“ dieser „Aktion“ war die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933." Joseph Wulf nennt neben Berlin auch Bonn, Frankfurt am Main, Göttingen, Hamburg, Köln, München, Nürnberg und Würzburg als Orte, an denen Bücher verbrannt wurden. '* Bei der Bücherverbrennung in Berlin sprach Joseph Goebbels diese Worte: „Das ist eine starke, große und symbolische Handlung, eine Handlung, die vor aller Welt dokumentieren soll, hier sinkt die geistige Grundlage der Novemberrepublik zu Boden; aber aus diesen Trümmern wird sich siegreich erheben der Phönix eines neuen Geistes, eines Geistes, den wir tragen (...).“'° Einer der neun Studenten, „denen die Werke nach einzelnen Gebieten zugeteilt waren“, rief in Berlin, als er die Bücher von Freud ins Feuer warf: „Gegen seelenzerfasernde Uberschatzung des Trieblebens, fiir den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.“'° Freud war Mitglied des österreichischen PE.N.-Clubs’’; zusammen mit Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Franz Werfel, Anton Wildgans, Stefan Zweig und anderen gehörte Freud auch dem Internationalen Senat des österreichischen PE.N. an.'® Angesichts dieser Demonstration „vor aller Welt“, wie Goebbels sie genannt hatte, forderte die Petition der sozialistischen Schriftsteller „von Kongress und PE.N.-Clubs mannhaftes hilfreiches Eintreten für verfolgte deutsche Literatur“; unterschrieben hatten diese Petition zusammen mit David Josef Bach und Fritz Brügel und weiteren Autoren auch Hermynia Zur Mühlen und Theodor Kramer.'” Schon am 6. Mai 1933 hatte Kramer ja in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ erklärt, dass seine Arbeiten nicht mehr in Deutschland verbreitet werden dürften.” 3) Das „schwachmütige“ Auftreten der österreichischen P.E.N.-Delegation im Mai 1933 und die „legendäre“ Resolution vom 27. Juni 1933 Zu dem gewünschten „mannhaften hilfreichen Eintreten für verfolgte deutsche Literatur“ kam es auf dem Kongress in Dubrovnik jedoch nicht, jedenfalls nicht seitens des österreichischen PE.N.-Clubs, an den sich der Appell der Vereinigung auch und gerade gerichtet hatte. Leiter des Kongresses, zu dem sich 400 Schriftsteller im Stadttheater von Dubrovnik versammelt hatten, war H.G. Wells, Präsident des Internationalen PE.N. von 1933 bis 1936.7! Wells erteilte in der Sitzung des Kongresses am 27. Mai dem angereisten Ernst Toller das Wort, der eine Rede gegen Nazi-Deutschland halten wollte??; Nazi-Deutschland hatte Toller die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.” In dem Moment, als Toller mit seiner Rede anfangen wollte, drohte der deutsche PE.N.-Delegierte Fritz Otto Busch, mit den anderen deutschen Delegierten den Saal zu verlassen, falls Toller reden dürfe.” Auf diese Drohung reagierte Hermon Ould, der Generalsekretär des Internationalen PE.N., mit zwei Fragen an die deutsche PE.N.Delegation: Erstens wollte Ould wissen, ob der deutsche PE.N. gegen die Misshandlung deutscher Intellektueller und gegen die Bücherverbrennung protestiert habe. Zweitens fragte er, ob es wahr sei, dass der deutsche PE.N. Mitglieder mit kommunistischen „oder ähnlichen Ansichten“ ausschließe.”° Gegen diese Fragen protestierte wiederum der deutsche PE.N.-Delegierte Edgar von Schmidt-Pauli.?° Wells antwortete, dass Oulds Fragen zulässig seien und dass jeder das Recht habe zu sprechen, auch Toller.” Dezember 2016 13