OCR
BERICHTE Klaus Voigt ... heute kann ich Dir nach einem längeren Aufenthalt in Italien, hauptsächlich für Ferien, die Neuauflage meines Buches zu den Kindern der Villa Emma senden, das seit langem vergriffen war. Ein ideeller Leser und ein praktischer Grund haben mich dazu veranlaßt. Ich hatte vergeblich versucht, Fausto Ciuffi, den eifrigen Direktor der Stiftung Villa Emma, zu überzeugen, eine von ihm beim Verlag Il Mulino in Bologna geplante Buchreihe unter den Leitgedanken „Flucht und Exil in der italienischen Zeitgeschichte“ zu stellen. Für Italien wäre dies etwas Neues gewesen. Ich wollte in Anbetracht der sich schon seit einiger Zeit in Lampedusa abzeichnenden Flüchtlingskrise etwas bewegen, damit die Problematik in der italienischen Geschichtsschreibung stärker in den Blick kommt. Studien sind hierzu in den letzten zwanzig Jahren immer seltener geworden. Etwas der Exilforschung in Österreich und Deutschland Vergleichbares gibt es in Italien überhaupt nicht. Es muß allerdings zugegeben werden, daß sie hier nicht dasselbe Gewicht hätte, weil Flucht und Emigration in der Zeit des Faschismus nicht das Ausmaß der Entwicklung nördlich der Alpen angenommen haben. Leider hat sich Ciuffi taub gestellt und auf einer „pluralen“ Reihe beharrt, mit dem Ergebnis, daß am Ende nur einzelne Bände im Rahmen einer umfassenderen Reihe herauskommen. Irgendwie hat mich das sehr beschäftigt und dazu geführt, über eine Neuauflage in Deutschland nachzudenken. Der Text der Darstellung ist unverändert geblieben; nur die Anmerkungen sind weitgehend auf den neuesten Stand gebracht worden. Es lag nahe, „Sonjas Tagebuch“ als einziges bisher bekanntes, unmittelbar an den Orten der Flucht entstandenes Zeugnis eines Jungen oder Mädchens der Villa Emma einzubeziehen. Aber dies wäre wohl einer Neufassung gleichgekommen, die viel kostbare Zeit beansprucht hätte. Ich füge eine vorzügliche Besprechung im „Berliner Tagesspiegel“ bei, die ich kaum erwartet hätte. Die Journalistin hat richtig den Zusammenhang der Neuauflage mit der Flüchtlingskrise erkannt. Der praktische Grund für die Neuauflage war, daß sich der Verlag mit dem Argument überzeugen ließ, daß der Film, der im österreichischen Fernsehen gezeigt wurde und auch ins deutsche kommen soll, den Verkauf günstig beeinflussen würde. In Zukunft möchte ich mich wesentlich weniger mit der Geschichte der Villa Emma befassen, auch wenn ich gerade dabei bin, eine italienische Ausgabe von „Sonjas Tagebuch“ im Rahmen der Publikationen der Stiftung Villa Emma bei Il Mulino vorzubereiten. Ganz behagt mir das nicht, aber man muß realistisch bleiben. Ich nehme jetzt wieder ein älteres, zu lange vernachlässigtes Projekt auf und sammle Material für eine Exilbiographie von Rudolf Levy, einem Maler von Rang und Namen aus der Schule von Matisse. Er wurde im Dezember 1943 aus Florenz deportiert, und ich brauche nicht zu sagen, daß er aus Auschwitz nicht zurückgekehrt ist. Wie fast schon immer habe ich den Umfang der auf mich zukommenden Arbeit unterschätzt. Das Material, das ich bisher gefunden habe, ist vielversprechend. Im November werde ich in Israel sein, wo ich mir aus den Briefen Levys an seine Schwester neue Aufschlüsse verspreche. Sie befinden sich dort bei einem Enkel und wurden bisher noch von niemandem eingesehen. Leb wohl und herzliche Grüße ... „Die Villa Emma als Schutzraum“ Auszug aus der Buchbesprechung von Caroline Fletscher im „Berliner Tagesspiegel“ vom 19. Juni 2016 Genau zur richtigen Zeit, in einer von Nachrichten über Flucht und Verfolgung beherrschten Gegenwart, erscheint die Neuauflage dieser beispiellos detaillierten Rekonstruktion einer Rettung (Klaus Voigt: Villa Emma. Jüdische Kinder auf der Flucht. 1940 — 1945. Metropol Verlag, Berlin 2016. 336 S. 22 €). Kaum eine Passage in diesem Buch, die nicht direkt oder indirekt an die Geschichten der Geflüchteten von heute erinnert. 50 ZWISCHENWELT