... heute kann ich Dir nach einem längeren
Aufenthalt in Italien, hauptsächlich für Ferien,
die Neuauflage meines Buches zu den Kindern
der Villa Emma senden, das seit langem ver¬
griffen war. Ein ideeller Leser und ein prakti¬
scher Grund haben mich dazu veranlaßt. Ich
hatte vergeblich versucht, Fausto Ciuffi, den
eifrigen Direktor der Stiftung Villa Emma, zu
überzeugen, eine von ihm beim Verlag Il Mu¬
lino in Bologna geplante Buchreihe unter den
Leitgedanken „Flucht und Exil in der italie¬
nischen Zeitgeschichte“ zu stellen. Für Italien
wäre dies etwas Neues gewesen. Ich wollte in
Anbetracht der sich schon seit einiger Zeit in
Lampedusa abzeichnenden Flüchtlingskrise
etwas bewegen, damit die Problematik in der
italienischen Geschichtsschreibung stärker in
den Blick kommt. Studien sind hierzu in den
letzten zwanzig Jahren immer seltener gewor¬
den. Etwas der Exilforschung in Österreich und
Deutschland Vergleichbares gibt es in Italien
überhaupt nicht. Es muß allerdings zugegeben
werden, daß sie hier nicht dasselbe Gewicht
hätte, weil Flucht und Emigration in der Zeit
des Faschismus nicht das Ausmaß der Entwick¬
lung nördlich der Alpen angenommen haben.
Leider hat sich Ciuffi taub gestellt und auf einer
„pluralen“ Reihe beharrt, mit dem Ergebnis, daß
am Ende nur einzelne Bände im Rahmen einer
umfassenderen Reihe herauskommen.
Irgendwie hat mich das sehr beschäftigt
und dazu geführt, über eine Neuauflage in
Deutschland nachzudenken. Der Text der
Darstellung ist unverändert geblieben; nur die
Anmerkungen sind weitgehend auf den neuesten
Stand gebracht worden. Es lag nahe, „Sonjas
Tagebuch“ als einziges bisher bekanntes, un¬
mittelbar an den Orten der Flucht entstandenes
Zeugnis eines Jungen oder Mädchens der Villa
Emma einzubeziehen. Aber dies wäre wohl einer
Neufassung gleichgekommen, die viel kostbare
Zeit beansprucht hätte.
Ich füge eine vorzügliche Besprechung im
„Berliner Tagesspiegel“ bei, die ich kaum er¬
wartet hätte. Die Journalistin hat richtig den
Zusammenhang der Neuauflage mit der Flücht¬
lingskrise erkannt.
Der praktische Grund für die Neuauflage
war, daß sich der Verlag mit dem Argument
überzeugen ließ, daß der Film, der im öster¬
reichischen Fernsehen gezeigt wurde und auch
ins deutsche kommen soll, den Verkauf günstig
beeinflussen würde.
In Zukunft möchte ich mich wesentlich weni¬
ger mit der Geschichte der Villa Emma befassen,
auch wenn ich gerade dabei bin, eine italienische
Ausgabe von „Sonjas Tagebuch“ im Rahmen
der Publikationen der Stiftung Villa Emma bei
Il Mulino vorzubereiten. Ganz behagt mir das
nicht, aber man muß realistisch bleiben. Ich
nehme jetzt wieder ein älteres, zu lange ver¬
nachlässigtes Projekt auf und sammle Material
für eine Exilbiographie von Rudolf Levy, einem
Maler von Rang und Namen aus der Schule
von Matisse. Er wurde im Dezember 1943 aus
Florenz deportiert, und ich brauche nicht zu
sagen, daß er aus Auschwitz nicht zurückgekehrt
ist. Wie fast schon immer habe ich den Umfang
der auf mich zukommenden Arbeit unterschätzt.
Das Material, das ich bisher gefunden habe, ist
vielversprechend. Im November werde ich in
Israel sein, wo ich mir aus den Briefen Levys an
seine Schwester neue Aufschlüsse verspreche. Sie
befinden sich dort bei einem Enkel und wurden
bisher noch von niemandem eingesehen.
Leb wohl und herzliche Grüße ...
„Die Villa Emma als Schutzraum“
Auszug aus der Buchbesprechung von Caroline
Fletscher im „Berliner Tagesspiegel“ vom 19. Juni
2016
Genau zur richtigen Zeit, in einer von Nachrich¬
ten über Flucht und Verfolgung beherrschten
Gegenwart, erscheint die Neuauflage dieser
beispiellos detaillierten Rekonstruktion einer
Rettung (Klaus Voigt: Villa Emma. Jüdische
Kinder auf der Flucht. 1940 — 1945. Metropol
Verlag, Berlin 2016. 336 S. 22 €). Kaum eine
Passage in diesem Buch, die nicht direkt oder
indirekt an die Geschichten der Geflüchteten
von heute erinnert.