Am 7. Oktober 2016 starb Felix de Mendels¬
sohn, nur knapp eine Woche bevor ZW mit
einigen seiner Gedichte erschienen ist, in Wien.
Und nur einige Wochen, nachdem wir uns im
Cafe Rathaus zum letzten Mal getroffen hatten,
um bei Melange und Cremeschnitte über Iheo¬
dor Kramer, Klabund, Hugo Mondberg und den
Bibliotheksgroschen zu plaudern. Es lag Felix
de Mendelssohn viel an der Publikation seiner
Gedichte. Nicht, dass er nicht schon viel publi¬
ziert hätte — seine psychoanalytischen Schriften
prägen seit Jahrzehnten die Lektüre all jener, die
sich mit diesem 'Ihema beschäftigen wollen —,
doch Lyrik war noch nicht erschienen, jedenfalls
nicht unter seinem bürgerlichen Namen.
Dabei schrieb er seit vielen Jahrzehnten Ge¬
dichte. Nur sind sie in bester Manier eines Fer¬
nando Pessoa unter einem Heteronym publiziert
worden. Felix de Mendelssohns Alter ego hieß
Hugo Mondberg. Dieser war mehr als nur Sig¬
natur. Er war ein „lateinamerikanischer Dichter,
allerdings weder hiesig noch auf Durchreise“,
wie es in „Erinnerungen an Hugo Mondberg“
heißt. Felix de Mendelssohn hatte mir seine
kurze Erzählung, verfasst 2010, im Cafe Rat¬
haus übergeben, damit ich wisse, dass es ihn
als Poeten schon längst gab, dass die Gedichte
für ZW nicht Anfängerübung seien, sondern
Ergebnis langer, entspannt konzentrierter Arbeit
an Sprache und Traum.
Seit dem Jahr 2000 kamen vier Hefte in
kleiner Auflage heraus in einem — wohl beflü¬
geltem Wunschdenken entstiegenen — Verlag
namens ,,Pegasus Press Vienna“. Diese Hefte
bilden das Werk von Hugo Mondberg. Drei der
Hefte beinhalten „nachrichten aus evchthon‘“,
eine „Art Sci-Fi Epos der Wiener Lokalliteratur
und zugleich eine lyrische Disquisition über
das Moralphilosophische“, entstanden zwi¬
schen 1994 und 2005. In den „Erinnerungen
an Hugo Mondberg“, welche als Begleitwort
zu den „nachrichten“ gedacht waren, heißt es:
Das vorliegende Manuskript, die Nachrichten aus
Evchthon, entdeckte ich in einem Rucksack mit
schmutziger Unterwäsche, den er bei mir vergessen
hatte. Wieso, frage ich mich, hatte er über zwölf
Jahre lang daran gearbeitet? Vielleicht wollte er
auf diese Weise die zeitlichen Veränderungen sei¬
nes phantastischen Szenarios getreu widerspiegeln?
Vormarsch der Rinder. - Fine der letzten Bas¬
tionen logischen Denkens, die österreichische
Speisekarte, steht vor dem Fall. An die Stelle
des Schweinsbratens rückt der Schweinebraten,
und auch der Rinderbraten macht sich Duden¬
konform breit. Als bedürfte es nicht eines ge¬
schlachteten Schweines, um einen Braten zu
fabrizieren, sondern gleich mehrerer Schweine.
Vermutlich hatte er auch daneben zuviele andere
Beschäftigungen. Er erzählte mir einmal, er würde
an einem pornographisch-philosophischen Krimi
schreiben, in dem er seine Erlebnisse beim Stamm
der Dogon im südlichen Malı einzuarbeiten hoffte.
Das vierte Heft hat den Titel „oasen und chi¬
märe. 27 sonette“, entstanden um 1993. Aus
diesem hat Felix de Mendelssohn auch zitiert,
z.B. um seinen Fachaufsatz „Gruppenpsycho¬
analyse und psychoanalytische Therapie im
Gruppensetting — ein ‚kleiner‘ Unterschied?“
einzuleiten. Da heißt es:
die gruppe ist wer wir sind— es ist nicht ersichtlich
wozu
Felix de Mendelssohn fällt auch ein Urteil über
den Dichter Hugo Mondberg, welches lautet:
Ob seine Dichtungen etwas taugen, will ich hier
gar nicht in Erwägung ziehen. Es ist als Mensch
und Freund, dass ich ihn schätzen gelernt habe.
Zugegebenermafsen hat er es mir dabei nicht leicht
gemacht — 20.000 Schilling von mir ausgeborgt
und nie zurückgegeben, mit meiner damaligen
Ehefrau geschlafen, meiner geliebten Katze Fanny
eine starke Dosis Meskalin verabreicht (wüster,
tragischer Ausgang) und meine Kawasaki 125 zu
Schrott gefahren.
Die beiden scheinen es jedenfalls sehr lustig mit¬
einander gehabt zu haben. Wenn man diese Zei¬
len, die eigentlich eine Selbstbeschreibung sind,
liest, verfällt man leicht der psychoanalytischen
Theorie, dass Hugo Mondberg wahrscheinlich
Felix de Mendelssohns „Es“ gewesen sein muss.
Vielleicht stellt für diesen die Literatur, das Er¬
zählen, das Dichten die Ausdrucksform des „Es“,
mitunter eine, freudianisch formuliert, „gefähr¬
liche Triebregung“ dar. Dies könnte natürlich
einigen Aufschluss über Felix de Mendelssohns
Eltern liefern, die SchriftstellerInnen Hilde Spiel
und Peter de Mendelssohn. In diesem Zusam¬
menhang wohl ebenfalls aufschlussreich ist die
Beschreibung von Hugo Mondbergs Eltern:
Der Vater Eduard sei ein Dirigent aus Wien, der
1938 nach Rosario, Argentinien, flüchten konn¬
te, wo er Buchhalter in einer Konservenfabrik
wurde, und seine Mutter eine Indio-Frau. Beide
konnten kaum Spanisch, weshalb der Vater Que¬
chua lernte. Doch führen diese Überlegungen
Doch entbehrt Rinderbraten nicht ganz der
Logik - kann man sich doch die Allgemeinheit
des Rinds leichter mit einer Vielzahl von Rin¬
dern vorstellen. Und es irritiert das Feingefühl in
geringerem Maße, wenn man sich beim Fleisch¬
verzehr nicht ein besonderes Schwein, sondern
bloß Schweine überhaupt vorstellen muß. Mein
den Zeitläuften gemäßer Vorschlag lautet also:
weit weg und aus dem Cafe Rathaus hinaus...
Dorthin hinaus, wo vielleicht Hugo Mondberg,
der überall zu scheitern scheint, nun lebt, Felix
de Mendelssohn zufolge entweder in einer ein¬
samen Hütte in Irland, das Werk des Dichters
Mathghamhain Ö hlfearnäin übersetzend, oder
in Kopenhagen, mit einer ’Iranssexuellen liiert.
Wie dem auch sei, diese Biografien erklären
mir zumindest, wieso Felix de Mendelssohn im¬
mer ein schönes graues, bunt verziertes Tweed¬
Sakko anhatte, als wäre er nicht Professor an
der Sigmund Freud-Privatuniversität gewesen,
sondern am King’s College in Cambridge, und
einen Gaucho-Hut trug, der wohl wirklich in
Rosario gefertigt worden ist. Ein abenteuerlicher
und ungewöhnlicher Auftritt war jener von Felix
de Mendelssohn. Und weil das alles weiterhin
nach phantastischen Szenarios klingt, kann
und will ich es noch immer nicht wahrhaben,
dass Felix de Mendelssohn nicht mehr ins Cafe
Rathaus kommen wird. Außer das Lustprinzip
nimmt Rache am Realitätsprinzip — gern glaube
ich an seinen bzw. Hugo Mondbergs „Traum“,
einem Gedicht aus „oasen und chimären“, wo
es, dass uns der Stachel des Todes genommen
werde, heißt:
bin ich nicht der regisseur? sind das alles
meine leute meine gäste die ich brauche
um mein projekt mit mir zu verwirklichen?
Statt Landsfrau soll es von nun an Länderfrau,
statt Mordskerl Mordekerl heißen. Geringer
Trost: Im Zeichen der Regionalität setzt sich
der aus dem Französischen übersetzte Erdapfel
(pomme de terre) gegen die aus dem Lateini¬
schen und Italienischen kommenden Kartoffel
mehr und mehr durch.