In ZW Nr. 1-2/2016 wurde ein ausführlicher
Vortrag, „Iransatlantischer Odysseus des 20.
Jahrhunderts“, den der Czernowitzer Germanist
und Übersetzer Peter Rychlo 2015 im jüdischen
Gemeindezentrum in Osnabrück gehalten hatte,
publiziert. Darin sprach er insbesondere auch für
den Mitveranstalter „Alfred Gong Gesellschaft“
über den 1920 in Czernowitz geborenen Dichter
Alfred Gong. Bescheiden wie Rychlo ist, geht aus
seiner Rede nur sehr verschliisselt hervor, dass er
damals gerade dabei war, die Publikation einer
Auswahl von Gedichten Alfred Gongs auf den
Weg zu bringen, und zwar eine zweisprachige
Ausgabe in deutscher und ukrainischer Sprache,
mit einem Nachwort (das in wesentlichen Teilen
mit dieser seiner Rede übereinstimmt) und ei¬
nem erläuternden Glossar für ukrainische Leser.
Ich maße mir nicht an, dieses Buch im eigent¬
lichen Sinn zu rezensieren, obwohl es darum
geht, darüber zu berichten. Für eine Rezension
wäre es erforderlich, dass der Rezensent vor
allem zweierlei besäße: Kenntnis der ukraini¬
schen Sprache und umfassende Kenntnis des
Werkes von Alfred Gong. Beides fehlt mir. Da
aber andererseits beides zusammen in unserem
Land nicht besonders häufig sein dürfte, wage
ich mich daran, über dieses 2015 erschienene
Werk und seinen Herausgeber kurz zu erzählen.
Ich fühle mich dazu umso mehr berechtigt, als
mir Petro oder Peter Rychlo bereits 2003 in
Czernowitz seine Anthologie deutschsprachiger
Lyrik aus der Bukowina signierte, die 2002 unter
dem Titel „Die verlorene Harfe“ ebenfalls auf
Deutsch und Ukrainisch erschien und in der
bereits 13 Gong-Gedichte erstmals in ukraini¬
scher Übertragung veröffentlicht waren. Für die
nunmehrige Ausgabe wählte Rychlo den Titel
des 1961 erschienenen Gedichtbands „Manifest
Alpha“ und versammelt darin eine Auswahl von
80 Gedichten aus allen drei zu Lebzeiten Gongs
erschienenen Gedichtbänden (Gras und Ome¬
ga, 1960; Manifest Alpha, 1961; Gnadenfrist,
1980) sowie einige Proben aus dem Frühwerk
und Nachlass.
Rychlo spricht immer wieder vom „poetischen
Dreigestirn“ aus Czernowitz, das im gleichen
Jahr geboren wurde und dieselbe Schulbank
drückte — Immanuel Weißglas, Paul Celan und
Alfred Gong. In unseren Breiten wird dieses
Dreigestirn häufig reduziert auf den Stern Celan.
Aber so wie schon im Frühwerk von Weißglas
„der Tod ein deutscher Meister ist“ und damit
auf Celans spätere „Todesfuge“ verweist, so las¬
sen auch manche Gedichte Gongs bekanntere
Celans anklingen. Der nun vorliegende Band
lässt den zweiten Czernowitzer Himmelskör¬
per Gong strahlen. Vielleicht überrascht uns
Rychlo demnächst auch noch mit einem ge¬
meinsam mit einer Romanistin herausgegebe¬
nen dreisprachigen Auswahlband von Weißglas,
rumänisch-ukrainisch-deutsch, sofern ihm die
Fertigstellung der zehnbändigen zweisprachigen
Celan-Gesamtausgabe die Zeit lässt.
Lea Goldberg (1911 - 1970) wurde in Königs¬
berg geboren und wuchs in Kaunas in Litauen
auf, wo sie das Hebräische Gymnasium absol¬
vierte. Sie studierte in Kaunas und Berlin und
promovierte 1933 in Bonn bei dem Orienta¬
listen Paul Kahle. 1935 ging sie nach Palästina,
wohin 1936 ihre Mutter Tsila folgte, mit der
Lea Goldberg bis zu ihrem Krebstod 1970 zu¬
sammenlebte.
In Israel wurde sie Literatur- und Theaterkri¬
tikerin, Dichterin, eine der beliebtesten Kin¬
derbuchautorinnen und als Nachfolgerin von
Ludwig Strauß Professorin für vergleichende
Literaturgeschichte an der Hebräischen Univer¬
sität. Als Übersetzerin von Autoren wie Tolstoi,
Turgenjew, Gorki, Baudelaire, Rilke, Heinrich
Mann, Petrarca und Dante war sie auch eine
der großen Vermittlerinnen der europäischen
Weltliteratur im Hebräischen.
Für die österreichische Literaturgeschichte
wichtig wurde Lea Goldberg mit ihrem 1952
veröffentlichten hebräischen Buch über den
Dichter Abraham Sonne (Avraham Ben-Jiz¬
chak), den Freund Elias Canettis, Hermann
Brochs und Soma Morgensterns. In der Zeit¬
schrift „Naharaim“ erschien 2013 eine Überset¬
zung dieses kleinen Buches von Markus Lemke
ins Deutsche. Der Dichter und Literaturwis¬
senschaftler Tuvia Rübner, der 2008 mit dem
Theodor Kramer Preis ausgezeichnet wurde,
veröffentlichte 1980 eine hebräische Monogra¬
phie und 2002 in ZW Nr. 1/2002 einen Aufsatz
über Lea Goldberg.
Ihr Roman „Verluste — Antonia gewidmet“
erschien erst 2010 im hebräischen Original.
Die Hauptfigur Jehuda Elchanan Kron ist ein
männliches Alter Ego der Autorin. Mit Klaus Pe¬
ter und Evelyn Bracke beschreibt Goldberg Paul
und Marie Kahle, die die NS-Zeit im englischen
Wie die vorhin erwähnte Rede über Alfred
Gong beinhaltet dasselbe ZW-Heft auch einen
kurzen Bericht von Christel Wollmann-Fiedler
über die Verleihung des Georg-Dehio-Kultur¬
preises 2015 an Peter Rychlo in Berlin. In der
prägnanten und berührenden Laudatio des
Lyrikers und Übersetzers Rainer Kunze heißt
es unter anderem: „Ein Gedicht zu übersetzen
heißt, es so zu übertragen, dass es in der Sprache,
in die es übersetzt wird, wie ein Original wirkt,
und dass dieses dem fremdsprachlichen Original
höchstmöglich gleicht. Ein Gedicht zu überset¬
zen heißt, dasselbe zu schaffen, das ein anderes
ist, ein Eigenes, das ein Fremdes bleiben muss.
(...) Der Autor, der einen Übersetzer findet wie
Petro Rychlo, kann sich glücklich schätzen.“
Ich habe keinen Zweifel, dass Alfred Gong mit
Rychlos Übertragungen ins Ukrainische glück¬
lich wäre.
(Kunzes Rede kann auf folgender Seite nach¬
gelesen werden: www.kulturforum.info/de/start¬
seite-de/1019453-preise-stipendien/ 1006400¬
georg-dehio-kulturpreis/6983-rychlos-werk-ist¬
mitteleuropaeischer-kultureller-raum-ukraini¬
scher-identitaet)
Karl Wimmler
Alfred Gong: Manifest Alpha. Hg., ins Ukrainische
übersetzt, mit Nachwort und Glossar von Peter
Rychlo. Deutsch und Ukrainisch. Czernowitz:
Knyhy — XXI 2015. 250 S.
Exil verbrachten. Das Vorbild ftir die Schauspie¬
lerin Elbina Sommergast ist Elisabeth Bergner.
Das Buch spielt 1932 und 1933 in Berlin; die
Zeitgeschichte wird in vielen Details am Rande,
wie erwa dem Reichstagsbrand, erwähnt.
Der Roman enthält zahlreiche Anspielungen
auf die jüdische Traditionsliteratur und die Welt¬
literatur, die in einem genauen Kommentar er¬
klärt werden.
Gundula Schiffer, die als Übersetzerin aus dem
Hebräischen, Französischen und Englischen in
Köln lebt, hat das Werk einfühlsam und kompe¬
tent ins Deutsche übertragen und kommentiert.
Lea Goldberg: Verluste — Antonia gewidmet.
Roman. Aus dem Hebräischen und mit einem
Nachwort herausgegeben von Gundula Schiffer.
Wuppertal, Wien: Arco 2016. 412 5. € 26,¬