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dass es den Partisanen immer wieder gelungen sei, sich der un¬
ausweichlich erscheinenden völligen Vernichtung zu entziehen.

„Den Aufständischen war es bisher immer wieder gelungen,
durch ihren Nachrichtendienst von den Absichten der Deutschen
Kenntnis zu erhalten und sich meist rechtzeitig ihrem Zugriff zu
entziehen.“ So der deutsche Historiker Karl-Dieter Wolf in seinem
Aufsatz „Das Unternehmen ‚Rösselsprung‘. Der deutsche Angriff
auf Titos Hauptquartier in Drvar im Mai 1944“. Im Erfahrungs¬
bericht der SS Division Prinz Eugen nach dem gescheiterten
Unternehmen ist auch von der Bedeutung der „Zuverlässigkeit
der Funkverbindungen“ die Rede.

Was können wir, Gerhard Pazderka, der unseren Besuch mit
der Kamera begleitet, und ich, heute an den Orten der Erzählung
„Bora“ finden? Der bronzene Soldat auf dem Hauptplatz von
Kralejvo ist derselbe wie in der Erzählung.

In Kraljevo ... blühen keine Rosen, springen keine warmen Quel¬
len und es fehlen die Villen der Reichen und Saiten. Dafür regnet
es ununterbrochen, Jänner, Februar, März und man versinkt im
Dreck. Von einem großen, rufüigen Bahnhof, dem eine Waggonrepa¬
raturwerkstätte angeschlossen ist, geht man auf einer breiten, kat¬
zenköpfigen Straße dem Marktplatz zu, in dessen Mitte ein alle die
niederen Häuser ringsum überragendes graues Denkmal steht, ein
erzener Krieger, der in der Rechten das Gewehr und in der Linken
die Fahne des serbischen Königreichs trägt. Es ehrt die Toten des
ersten Weltkrieges, da Serbien von allen kriegführenden Völkern die
prozentuell höchsten Verluste hatte. Die Hälfte seiner ganzen Armee
wurde getötet. Nicht ehrt diese Toten das Aussehen der übrigen Stadi,
denn sie macht einen verwahrlosten, schmutzigen und armseligen
Eindruck. Es hat sich nicht gelohnt, wofür sie fielen, dieses Jugoslawien
des Hauses Karageorgewitsch! Nur wenige moderne Bauten gibt es
im Ort, die Kaserne des Militärflugplatzes, einige Wohnblocks der
Bahnbeamten, die Apotheke, die nur deutsche Drogen führt, zwei
oder drei Advokatenvillen und das Polizeigebäude. Alles andere sind
mehr oder weniger elende Lehmhütten, die sich an die vier sternförmig
von dem Platze abgehenden Straßen drängen.

Doch was heute so scheint wie 1943 ist durch die Ereignisse mehr
als verformt. Denn nach dem Krieg wurde die Statue transferiert,
im titoistischen Jugoslawien war für die serbische Königsfahne, die
der Soldat hält, kein Platz. Wenige Jahre nach der Übersiedlung auf
den Friedhof kehrte die Figur jedoch auf ihren alten Platz zurück.
Die Geschichte schreibt eigene Geschichten. Denn dieser Platz
hat in den letzten Jahrzehnten schon mehrere Namen getragen,
zuerst hieß er während der österreichischen Besetzung im Ersten
Weltkrieg nach Kaiser Franz Josef, dann nach König Alexander
I, nach dem Krieg Tito-Platz, und jetzt, nach dem Tod Titos, ist
er der Platz der Serbischen Krieger.

Auch die Stadt hat ihren Namen mehrmals gewechselt. Einst
hieß sie Rudo Polje (Erzfeld), dann Karanovac. Karanovac war
der türkische Name; die Bevölkerung wollte die Erinnerung an
die Ottomanen-Herrschaft abstreifen und ersuchte König Milan
IL, die Stadt in Kraljevo, „Königsstadt“, umzubenennen. 1949 bis
1955 hief3 die Stadt Rankovi¢evo nach Aleksandar Rankovi¢, dem
grimmigen Mitstreiter Titos, und dann wieder Kraljevo.

Auf dem Platz befindet sich heute noch die Gaststätte „Pariz“,
vielleicht war das der Platz, vor dem einst eine Limousine stehen¬
blieb und zwei Nackte aussteigen mussten. Louis Mahrer berichet:

In Kraljevo, vor dem Soldatenheim, hält eine militärisch graue
Luxuslimousine. Es öffnet sich der Schlag und ein splitternackter
Mann springt heraus. Es folgt ein zweiter, dürrer und grauschädeliger,
und — ein Mädchen mit dicken Beinen, das Mühe hat, seine großen

10 ZWISCHENWELT

Brüste unter dem Arm zu verstecken und die andere Hand als Fei¬
genblatt zu benützen. Alle drei springen an den großen Fenstern des
Soldatenheimes vorbei um die Ecke in den Hinterhof hinein. Bald
weiß es die ganze Stadt. Eine Tschetnikabteilung sperrte die Straße von
Kragujewac und hielt den Wagen des Generals P auf, zog ihn, seinen
Fahrer und eine Nachrichtenhelferin aus und ließ sie weiterfahren.
Das ist Michailowitschs Krieg gegen Hitler.

Nicht nur für die ältere Generation der Historiker ist die Ge¬
schichte „Bora“ etwas Besonderes, auch für Vjokan Trifunid, den
Geschichtslehrer, dessen Spezialgebiete nicht nur der Anarchismus
und die Punkbewegung sind, sondern auch die Zeit der deutschen
Besatzung in seiner Heimatstadt. Er begleitet uns und auf unserer
Reise zu Orten des Geschehens.

Wir können uns nicht überwinden, länger im Etablissement
„Pariz“ zu verweilen. Der blaue Dunst auch hier: Serbien ist ein
Eldorado für Raucher und dementsprechende Überwindung kostet
es, sich hier länger aufzuhalten.

Der Platz, an dem die Treffen mit den Partisanen in der Nähe
des Flusses Ibar stattgefunden haben, ist auch heute ein Sportplatz,
die Brücke, auf der ein Spitzel getötet wurde, ist längst erneuert.
Das Kloster Zila, ist ein für Serben symbolträchtiger Ort, da
dort immerhin sieben Könige gekrönt worden sind. Das Kloster
aus dem 13. Jahrhundert ist längst wieder aufgebaut. Als Louis
Mahrer und sein Freund Gerhard Chmiel es besuchten, war es
von deutschen Fliegerbomben schwer beschädigt.

In der ältesten Schule der Stadt, der 1882 gegründeten Agrar¬
pädagogischen Lehranstalt, waren auch die Funkaufklärer unter¬
gebracht. Gleich beim Eingang steht eine Tafel, die SchülerInnen
erarbeitet haben. Thema ist — wie könnte es anders sein — das
Massaker 1941 und die Geschichte der „Serbenhalle“. Die Direk¬
torin empfängt uns und schenkt uns eine Geschichte der Schule,
in der auch die Devastierung durch die Deutschen vermerkt ist,
so spontan kann sie sich zu keinem Interview entschließen. „Viel¬
leicht beim nächsten Mal.“ Vielleicht ist das nur ein Eindruck:
Während die Geschichte des Massakers von 1941, das auch The¬
ma im Nürnberger Nachfolgeprozess gegen die Generäle Südost
Verhandlungsgegenstand war, in der Erinnerungsarbeit der Stadt
eine grofe Rolle spielt, sind die nachfolgenden Jahre und die
Zeit der Besatzung nicht Thema von Ausstellungen. Noch nicht.

Im Vergleich zum tristen Kraljevo ist der Kurort Vrnjacka Banja
freundlicher. Die Villa Mostar, in der Mahrer einquartiert war, gibt