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dabei nur den Kunstgenuss suchten, den sie beim Betrachten
einer Zeichnung von Dürer oder der Behandlung von Licht und
Schatten in einem Gemälde von Rembrandt erwarteten, oder
eventuell andere Ziele verfolgten, wie Vorteile für die deutsche
Öffentlichkeit auf Kosten der Nicht-Deutschen, oder aber Prestige
und persönliche Bereicherung.

Im letzten Absatz dieses Essays stellt Wittlin wiederum den
Bezug zu ihrem Hauptinteresse jener Jahre her, der Museumsar¬
beit und ihren Untersuchungen zum kommunikativen Potential
verschiedener Ausstellungsgestaltungen. Sie meint, jemand, der
sich mehr und bessere Chancen für die allgemeine menschliche
Aufklärung wünscht als es die oft durch Zufälligkeiten bestimmte
Kontrolle über wichtige Bildungsinstrumente erlaube (u.a. Muse¬
en, Kunstsammlungen), müsse sich die Frage stellen, nach welchen
Prinzipien die europäischen Museen, die durch die Naziherrschaft
zesstört wurden, wieder aufgebaut werden sollten.

In vielen Fällen werde die Rückgabe eines Objektes an den Ort
des Verbleibs vor 1939 ja keinerlei Diskussion erfordern, insbe¬
sondere wenn es sich um die Rückstellung von Eigentum handle.
Manchmal jedoch wäre die Situation nicht so klar und scheine
in Zeiten fortgeschrittener menschlicher Freiheit und Bildung
doch grundsätzlich verändert. Überzeugt von der Wirkung, die
Museen und Ausstellungen entwickeln können, plädiert Wittlin:
„One would wish that the authorities deciding on matters of
the rehabilitation of Continental museums should be assisted
by liberally-minded educationalists.“ (Siehe Anm. 51, S. 147).

Ab Herbst 1941 war Wittlin am Museum of Archaeology and
Anthropology sowie an der University of Cambridge beschäf¬
tigt, wo sie — ermöglicht durch ein Stipendium der International
Federation of University Women — im Rahmen eines zweiten
Doktoratsstudiums ihre erzichungswissenschaftlichen Ausstel¬
lungsarbeiten und -evaluationen durchführte. 1946, nach der
Rückkehr der männlichen Kollegen aus den Kriegsverpflichtungen,
fand Wittlins Arbeit am Museum in Cambridge aber keine Fort¬
setzung. Sie bemühte sich daher, auch mit Hilfe internationaler
Organisationen wie dem PE.N. oder der bald nach Kriegsende
gegründeten UNESCO, wieder Fuß zu fassen. Mit Verweis auf
ihre Tätigkeit im Museum in Cambridge und ihre Erfahrungen
mit Ausstellungen als gestaltete Lernumgebungen beteiligte sie sich
an einschlägigen Konferenzen des Internationalen Museumsrates
(ICOM). Sie setzte sich insbesondere für Museen und Kultur¬
zentren ein, als attraktive, wirksame und offene Lernräume, wie
geschaffen für die Erziehung zur internationalen Kooperation im
neuen Nachkriegs-Europa, und entwarf ein Konzept für einen
Europäischen Schul-Museums-Service.°?

Diese Arbeiten waren die Brücke in die USA, wo Wittlin ab
1952 mit einem Kindermuseum und Wanderausstellungen für
einige Jahre in New Mexico erfolgreich wirkte, und wo sie bis ins
hohe Alter, zwar nur unter großen Anstrengungen, immer wieder
Arbeitsmöglichkeiten und Unterstützung für ihre Interessen und
entsprechende Beschäftigung fand.

Aus diesem Hintergrund lässt sich vermutlich sowohl Alma
Wittlins Energie erklären, immer wieder neu zu beginnen, wie auch
ihre ungebrochene Zuversicht, mit Hilfe der Aufklärungsarbeit
von demokratie-politisch ausgerichteten Bildungseinrichtungen —
mit herausragenden Rollen für Kultur und Museen - längerfristig
eine bessere Zukunft für die Menschheit gestalten zu können.

32. ZWISCHENWELT

Hadwig Kraeutler, geb. 1949 in Dornbirn, ist freiberuflich tä¬
tig und publiziert mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten
Museologie, Kunst und Kunstvermittlung; bis zur Pensionierung
(2012) Mitarbeiterin der Osterreichischen Galerie Belvedere (Wien),
verantwortlich für Aufbau und Leitung der Abteilung Kunstvermitt¬
lung und Besucherservice (1992-2000), ab 2002 Beauftragte für
museologische und konzeptionelle Fragen, sowie für Projekte. Studien
an der Akademie der bildenden Künste und an der Universität in
Wien (Abschlüsse 1974/1978) und Museologie mit Schwerpunkt
Museumskommunikation an der Universitat Leicester, GB (M.A.
Museum Studies 1985; Ph.D. 2004).

Quellenhinweise

Alfred M. Bailey Library & Archives, Denver Museum of Nature & Science,
Denver, Colorado

Archiv der Universitat Wien, Wien

Bodleian Libraries, University of Oxford, Department of Special Collec¬
tions, Oxford

Deutsche Nationalbibliothek, Exilbibliothek, Frankfurt/M.

Harry Ransom Center, The University of Texas, Austin, Texas

Harvard University, Schlesinger Library, Radcliffe Institute, Boston, Mas¬
sachusetts

Hoover Institution on War, Revolution and Peace, Stanford University,
Stanford, Kalifornien

Smithsonian Institute, Smithsonian Institute Archive, Washington DC
Green Library, Stanford University Libraries, Stanford, Kalifornien

‘The National Archives, Kew, GB

University of California, Santa Barbara, Kalifornien

University of Leeds, Library, Special Collections, Herbert Read Fonds,
Leeds, GB

University of New Mexico, Albuquerque, New Mexico

University of Reading, Otto and Marie Neurath Isotype Collection, Rea¬
ding, GB

Zentralbibliothek Zürich, Schweiz

Anmerkungen

1 Ich widme diesen Artikel dem ehrenden und dankbaren Gedenken an Mary
Lib, meine geliebte amerikanische Mommy, die mir als AFS-Austauschschü¬
lerin (1967/68) und in vielen Jahren danach als aktive und selbstbewusste
Frau, demokratie-bewusste und engagierte Journalistin uneinholbares Vorbild
war. [http://www.editorandpublisher.com/people/obituaries/mary-elizabeth¬
lasher-barnette-first-woman-ep-reporter-dies-at-93/; Abruf: 2016-05-16].

2 Wittlin, A.S. (1949), The Museum. Its history and its tasks in education.
London: Routledge & Kegan Paul; Dies.: (1970), Museums. In Search of
a Usable Future. MIT-Press (Paperback, 1974).

3 Vgl. die Arbeit des Internationalen Museumsrates (ICOM) [http://icom.

museum] oder der School of Museum Studies der Universitat Leicester,
die hier eine Vorreiterrolle einnimmt, mit exzellenten Programmen in
Lehre, Forschung und Publikationen [http://www2.le.ac.uk/departments/
museumstudies/50-years-of-museum-studies; Abruf: 2016-03-21].

4 Universitat Wien, Forum Zeitgeschichte [www.univie.ac.at/
geschichtegesichtet/a_wittlin-frischauer.htm]; Abruf: 2016-03-21].

5 Mein diesbezügliches Forschungsprojekt wurde unterstützt von: Martin
Miller and Hannah Norbert-Miller Fellowship, Institute of Modern Languages
Research, SAS, University of London (2013), Nationalfonds der Republik
Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus (in Zusammenarbeit mit
eXponat-Forum für Museologie und visuelle Kultur, Wien, 2012), Smith¬
sonian Institution, SCEMS, Washington DC, USA (2011).

6 Mein Dank für wiederholt gewährte Hilfe bei sprachlichen Formulierungen
geht an meine Schwägerin Rita Kräutler-Doll. Übersetzungen von Texten
aus dem/ins Englische/n / Deutsche/n durch die Autorin [HK].

7 Alma [eigentlich Alina], S[t].(ephanie) Wittlin (geb. 23.3.1899 in Lemberg
— gest. 31.12.1992 in Palo Alto; verheiratete/geschiedene Frischauer (vgl.: