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NEUE TEXTE Hedwig Brenner Zwei Gedichte Das Alter Ganz leise klopft esan meine Tür. Gut erzogen rufe ich „Herein“. Niemand tritt ein. Ich gehe nachzusehn — Öffne einen Türspalt Und habe das bestimmte Gefühl, jemand sei ins Zimmer geschlüpft. Sollte es der Prophet Elijahu sein? Ausnahmsweise nicht zu Pessach. Plötzlich fühle ich, dass ein „Etwas“ sich mir nähert, Mich umgarnt, mich umarmt, in mich dringt, Mich fest, ganz fest an sich zieht Wie ein Geliebter... Ich fühle wie eine immer enger werdende Schlinge Meinen Hals zuschnürt. Atemraubend. Ob dies Gehängte fühlen? Ich gehe unter, sinke, ein Meer über mir. Ich sche mein ganzes Leben Im Bruchteil einer Sekunde Vor meinem geistigen Auge abrollen... Ob dies Ertrinkende sehen? Ich will um Hilfe rufen Und bringe keinen Ton heraus. Ich sende Gebete zu Gott, an die Seelen aller lieben Toten, Will meine Seele der Hölle verschreiben Nur Erlösung, Erlösung! Langsam lockern sich die Fesseln. Ich erwache aus dem schrecklichen Albtraum Und höre eine Stimme: „Von nun an sind wir Gefährten, Ich werde stets bei Dir sein, Mit Dir sein, in Dir sein. Mit oder ohne dein Wollen. Ich bin Dein Schatten, Gestatte, Dass ich mich vorstelle, Ich heiße ALTER.“ Brief an Iryna Lykovych Sehr geehrte Frau Lykovych, ich habe vor ein paar Tagen in ZW Nr. 4, Dezember 2016, Ihre zutiefst berührenden Prosa-Gedichte MEIDLING entdeckt (möchte ich sagen), eine Art Literatur, wie ich sie noch nie zuvor gelesen hatte. Ich meine damit, Sie können schreiben, seien Sie stolz darauf! Und Sie haben etwas zu sagen, etwas, das man nie oder 42 ZWISCHENWELT Haifa Endloses Meer, Ewig die Farbe wechselnd, Verheißungsvoll blau, Verräterisch grün, Gesäumt von kräuselnder Gischt Am Kamm seiner Wellen, Schlägt es den Schicksalstakt deiner Tage Ans Land, Du, Stadt meines Alters! Stolz steigst du auf Von Kränen und Schiffen Und Hafengeschäftigkeit — Hinauf, immer höher. Und dein Haupt ist der Karmel, „Weingarten Gottes und Pracht meines Landes“. In Stufen klimmst du hinauf, Als wäre es zu vermessen, in einem Satz Den unbeschreiblich blauen Himmel Israels zu küssen, Und lässt auf halbem Wege Die goldene Kuppel des Bahais blinken, Fremde und doch nahe Schicksalsgenossen, Weit übers endlose Meer... Du, meine schöne Stadt, Haifa. nur äußerst selten liest in dieser Zartheit und Wucht gleichzeitig; Sie geben den Kindern und ihren Schicksalen mit Liebe und Würde eine Stimme, die ihre Existenz nicht verfälscht: und das ist mehr als ein bißchen Kunst. Ich mußte Ihnen das unbedingt sagen. Machen Sie weiter! Es hat Gewicht. Ludwig Fels, Wien, 13.1. 2017