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sich nicht aus staatsbürgerlichen Rechten ableiten, nur aus der prekären, außerhalb der Rechtsordnung stehenden Zugehörigkeit zur Menschheit. Für die ins Exil getriebenen Rechtsgelehrten ging es in der Zeit des Zweiten Weltkrieges darum, Rechtsvorstellungen und Vorschläge zur Gestaltung der Rechtsverhältnisse zu entwickeln, die diesen neuen Tatsachen Rechnung trugen und zudem eine Möglichkeit schufen, die Verbrechen der für Vertreibung und Massenmord verantwortlichen politischen Machthaber zu ahnden. Dies war 1938 nicht so selbstverständlich, wie es heute scheint. Nicht ganz und gar vergessen werden sollen die Vorläufer solcher Bemühungen. Der im späten Habsburgerreich und im Österreich der Ersten Republik noch sehr einflussreiche Denker Josef Popper-Lynkeus, der für Bruno Frei «Genialität und Naivitäv» in einem verkörperte, hatte sein eigenes «Grundprinzip einer gesitteten Gesellschaftsordnung» aufgestellt, und das lautete 1910 folgendermaßen: Wenn irgendein, selbst noch so unbedeutendes Individuum, das keines Anderen Leben mit Absicht gefährdet, ohne oder gar wider seinen Willen aus der Welt verschwindet, so ist das ein ungleich wichtigeres Ereignis, als alle politischen, religiösen oder nationalen Ereignisse und als sämtliche wissenschaftliche, künstlerische und technische Fortschritte aller Jahrhunderte und aller Völker zusammen. Das Manuskript eines Vortrages von Bruno Frei über PopperLynkeus stammt aus dem Herbert Exenberger-Archiv, wo es in der Mappe zu Else Feldmann zu finden ist. Es ist deshalb von Herbert Exenberger dort abgelegt worden, weil Else Feldmann und Bruno Frei als Mitarbeiter des Zeitungsherausgebers Carl Colbert zum Kreis von Josef Popper-Lynkeus gehört haben. 1971 ließ Bruno Frei dem Vortrag eine ausführliche Schrift über den bewunderten Vordenker folgen, mit dem Titel «Der Türmen». Lynkeus, der Türmer, kann von seinem Standort aus sowohl in die Zukunft blicken, als auch gegenwärtige Gefahren erkennen. Menschenrecht muss für jedes, sei es noch so unbedeutende Individuum gelten. In diesem Sinne entstanden in der Ersten Republik etliche Vereinigungen, die den von Popper-Lynkeus verfochtenen unbedingten Humanismus vertraten, darunter die österreichische Liga für Menschenrechte. Die große Arbeit der Menschenrechtsligen in ganz Europa ist weitgehend in Vergessenheit geraten; wie in vielen Bereichen war auch hier das Vernichtungswerk der Nationalsozialisten nachhaltig; es ist ihnen gelungen, die Erinnerung an die Ligen und die Persönlichkeiten, die sie prägten, auszulöschen. Einer, der die Liga in Österreich jedenfalls tatkräftig unterstützte und sich nicht davon abbringen ließ, sich gegen das immer unverschämtere gewalttätige Auftreten von Deutschnationalen und Nazis an den Wiener Hochschulen zu verwehren, war der Rechtsgelehrte Josef Hupka. Klaus Taschwer schildert eindringlich Leben und Wirken des vergessenen und in Theresienstadt ermordeten Kämpfers für Recht und Menschenwürde. Als fast alle Länder Europas 1940 durch die Wehrmacht erobert oder von mit Hitlerdeutschland verbündete diktatorische Regime beherrscht waren, kamen im freien London britische und aus ganz Europa exilierte Rechtsgelehrte, PolitikerInnen, Intellektuelle zum Schluss, dass der globalen Bedrohung durch Faschismus und Nationalsozialismus nur mit international wirksamen Instrumenten des Rechts und mit global geltenden Menschenrechten Einhalt geboten werden könne. Auf eine universelle Bedrohung waren universelle Antworten zu finden. Diese Antworten sollten die Welt nach 1945 und bis heute prägen und heißen Vereinte Nationen und Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch eine internationale Gerichtsbarkeit, die Nürnberger und die Tokioter Prozesse gehören ebenfalls zu den Konsequenzen, welche man aus den Verbrechen der Nazis und ihrer Verbündeten zog. Rechtsgelehrte im Exil haben durch ihre Petitionen, ihre Studien und Expertisen und durch die Zusammenarbeit mit politischen Protagonisten der Alliierten erheblich zur Konstitution einer humanistischen Rechtsordnung beigetragen. Einer von ihnen war der Wiener Rechtsanwalt und Rechtswissenschaftler Otto Harpner. Otto Harpner, Sohn des 1919 zum «Anwalt der Republik» bestellten Gustav Harpner, hatte mit seiner Frau und seinen Kindern nach Großbritannien flüchten können. In ZW Nr. 4/2012 erschien bereits ein ausführlicher Beitrag von und über ihn: «Lese Hamlet, spiele Bridgel» Sein Leben, seine vorübergehende Internierung als «enemy alien», seine Arbeit im britischen Exil, so für die österreichischen Sozialisten, für die österreichisch-tschechoslowakische Zusammenarbeit und die «New Commonwealth Society of Justice and Peace» werden geschildert. Die TKG bewahrt Otto Harpners umfangreichen Nachlass an Schriften, Dokumenten, Briefen, Zeugnissen aus dem Exil. Zu Otto Harpners Schriften im Archiv der TKG zählt auch sein rechtsphilosophisches Hauptwerk «Reformation des demokratischen Dogmas», dessen Einleitung auszugsweise ebenfalls in ZW Nr. 4/2012 erschienen ist. In dieser Schrift tritt der Autor ... dafür ein, dass die Welt nur genesen kann, wenn sich die Demokratie dazu aufraffi, ihre ehemalige, ganz eigentümliche Methode socialer Organisation dogmatisch zu fixieren; dabei aber gleichzeitig ihr politisches Glaubensgebäude an Haupt und Gliedern reformierend. Das Buch umfasst die Analyse der «socialen Realwelt» und ihren Zusammenhang, ihre Wechselwirkung mit den Gerechtigkeitspostulaten der «sozialen Idealweltv. Es beschäftigt sich mit der «Mechanik der Dogmenbildung» und bietet eine «Iherapie der socialen Behandlung der Zukunft» durch die Bildung einer «internationalen, interdemokratischen Macht und Zwangsgerichtsbarkeit», eines interdemokratischen Rechts. Die Gerechtigkeit der Zukunft ist nicht ohne entsprechende soziale Grundlage möglich. Harpner sucht nach einem Weg, das moralische Anliegen des Naturrechts mit den Normen positiven Rechts zu vereinbaren. Sein Werk sah Otto Harpner als «geistiges Kind» der Lehre Hans Kelsens, der auch Freund der Familie war. In der aktuellen Ausgabe von ZW wird ein kleiner Ausschnitt aus Harpners umfangreicher Korrespondenz dokumentiert. Ein Brief ging 1942, als man sich des Ausmaßes der nationalsozialistischen Verbrechen bewusst zu werden begann, an Franz Rudolf Bienenfeld, den nach Großbritannien geflüchteten Wiener Anwaltskollegen. Dieser wird nach 1945 an der Abfassung der UN-Menschenrechtscharta mitwirken. Im Gegensatz zu Otto Harpner glaubte Franz Rudolf Bienenfeld nicht an die Méglichkeit einer Rückkehr nach Österreich, jedenfalls nicht «die nächsten 20 Jahre — solange bis das Nazigift aufgehört hat zu wirken». Im zweiten Briefwechsel wird Otto Harpner mit der Antwort von Emmerich Hunna konfrontiert, dem ersten Prasidenten der Wiener Rechtsanwaltskammer nach 1945. Dieser meint, dass Otto Harpner und seine Kollegen erst zurückkehren sollten, wenn die «allgemeinen Lebensbedingungen [...] etwas leichter» seien. Dass Juni 2017 55