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Die Beschäftigung mit den Menschenrechtsligen der Zwischenkriegszeit zeigt im Zusammenhang der Emigration eines: Auch wenn es verschiedene Wege ins Exil gab, bildeten Paris und Frankreich ein Zentrum, in dem einheimische (Menschenrechts-)AktivistInnen und EmigrantInnen eine europäische Zivilgesellschaft im Kleinen formten, die gewissermaßen die künftige europäische demokratische Gesellschaft erprobte. Die starke Präsenz der traditionell international vernetzten Freimaurer in den Ligen begünstigte die kosmopolitische Ausrichtung dieses „demokratischen Versuchslabors“, wenngleich den Ligen auch Nicht-Freimaurer — wie Franz Theodor Csokor in der österreichischen Liga — angehörten. Zahlreichen LigistInnen war es nicht vergönnt, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Verrechtlichung und Universalisierung der Menschenrechte’ mitzuerleben. Sie wurden im Faschismus ermordet wie 1944 Victor Basch, Gründungsmitglied und Präsident der französischen Liga, oder Elise Richter von der österreichischen Liga, die 1943 in Theresienstadt eines gewaltsamen Todes starb. Durch die nationalsozialistische Verfolgung ging vielfach auch das Wissen um die Vorkriegsgeschichte der Menschenrechtsligen verloren. 2014 fand deshalb am Institut fiir Geschichte der Universitat Wien eine von den Autoren gemeinsam mit der österreichischen Liga organisierte Tagung statt, die jene AktivistInnen und ForscherInnen versammelte, die sich mit der Geschichte der verschiedenen Ligen beschäftigen. Darauf basierend erscheint 2017 ein englischsprachiger Tagungsband im Franz Steiner Verlag, Stuttgart”, der einmal mehr deutlich macht, wie nachhaltig es den Nationalsozialisten in vielen Fällen gelungen ist, die Erinnerung an die Ligen und die Persönlichkeiten, die sie prägten, auszulöschen. Der Band, der erstmals den internationalen Forschungsstand dokumentiert und zu weiteren Forschungen anregen soll, ist nicht zuletzt ein Plädoyer dafür, dem durch die Nationalsozialisten herbeigeführten Vergessen entgegenzuwirken. Wolfgang Schmale ist ordentl. Universitätsprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Geschichte Europas und die Geschichte der Menschenrechte. Weblog: wolfgangschmale.eu. Christopher Treiblmayr ist Lektor und Habilitant am Institut für Geschichte der Universität Wien sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter bei QWIEN — Zentrum für schwulllesbische Kultur und Geschichte. Zu seinen Schwerpunkten im Bereich der Forschung und Lehre zählen die Geschichte der Menschenrechte und der Zivilgesellschaft, die Geschichte des Nationalsozialismus sowie Geschlechtergeschichte. Anmerkungen 1 Das Folgende stützt sich auf ein Forschungsprojekt der beiden Autoren zu den Menschenrechtsligen 1898-2016. Der Österreichischen Liga für Menschenrechte ist dabei ein eigenständiges Projekt gewidmet, das Christopher Treiblmayr durchführt. Weiters ist Stilyan Deyanov, derzeit Wien, beteiligt (rumänische und bulgarische Liga). Wolfgang Schmale bearbeitet Archivbestände in Paris (internationale Liga, Freimaurer). 62 _ ZWISCHENWELT 2 Emmanuel Naquet: Pour ’humanite. La Ligue des droits de ’homme, de laffaire Dreyfus a la défaite de 1940. Rennes: Presses universitaires de Rennes 2014. 3 BDIC — Bibliothéque de documentation internationale contemporaine. Diese Archive waren von der Gestapo beschlagnahmt worden, fielen am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Hände der Roten Armee und wurden in Moskau in ein Spezial- und Geheimarchiv verbracht. Die französische Regierung konnte die Rückgabe dieser Archive erfolgreich verhandeln, sie wurden dem Wunsch der französischen Liga entsprechend der im Ersten Weltkrieg geründeten BDIC übergeben, wo sie seit etlichen Jahren benutzt werden können. Nachlesbar hier: Sonia Combe, Gregory Cingal (Hg.): Retour de Moscou. Les archives de la Ligue des droits de ’homme, 1898-1940. Paris: La Découverte/BDIC 2004. 4 Vel. zur österreichischen Liga auch Marcus G. Patka: Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich, Wien: Löcker 2011, 145-158. 5 Diese Pläne dürften aber nicht realisiert worden sein, der Rechtsanwalt und Historiker emigrierte zunächst in die Schweiz und lebte dann in England. Vgl. zu Koblers Biographie: Evelyn Adunka: Franz Kobler (1882 — 1965): Rechtsanwalt und Historiker. In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 5/1994, 97-121. 6 1944/45 nahm die französische Liga ihre Tätigkeit erneut auf, zahlreiche andere Wiederbegründungen folgten. Erst ansatzweise erforscht ist die Geschichte einer 1941 von europäischen EmigrantInnen in New York gegründeten Exil-Liga. Auch sie dürfte Flüchtlingshilfe betrieben haben. Vgl. Jan Eckel: The International League for the Rights of Man, Amnesty International, and the Changing Fate of Human Rights Activism from the 1940s through the 1970s. In: Humanity: An International Journal of Human Rights, Humanitarism, and Development 4/2013, 2, 183-214, 184ff. 7 Vgl. dazu etwa Stefan-Ludwig Hoffman: Einführung. Zur Genealogie der Grund- und Menschenrechte. In: ders. (Hg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2010, 7-37. 8 Wolfgang Schmale, Christopher Treiblmayr (Hg.): Human Rights Leagues in Europe (1898-2016), Stuttgart: Franz Steiner 2017. Die Tagung und die Herausgabe des Sammelbands wurden dankenswerterweise von der Universität Wien und dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus gefördert. Verstreutes „medien & zeit“, die Zeitschrift für „Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart“, beschließt ihren 31. Jahrgang 2016 mit dem Schwerpunktheft „Media, Communication and Nostalgia“. Einige der Beiträger mögen im englischen Sprachraum zu Hause sein, andere sind es nicht. Gleichwohl sind alle Texte in dem Heft englisch — mit Ausnahme der „Reviews“ (Besprechungen), die sind nämlich auf Deutsch. Vielleicht gibt es deutschsprachige WissenschafllerInnen, die sich auf Englisch besser ausdrücken können als in ihrer Muttersprache. Doch in der Regel quält uns die Manie, Englischsprachiges publizieren zu müssen, mit schwerfälligen Sprachschöpfungen. Akademisch-trockene Verständigkeit ist in solchem Englisch sicher unauffälliger. Leseprobe, S. 13: „Iheir“ (Emily Keightley and Michael Pickering, 2006) „seminal work on nostalgia signals that we should be more attentive to nostalgia as a hybrid emotion, which has both positive and negative effects of varying degrees.“ Abgesehen von der Trivialitat der Aussage verwundert, mit welcher Selbstverständlichkeit „positive“ (erwünscht?) und „negative“ (unerwünscht?) gebraucht werden. Konformität statt Internationalität.