OCR
Charakter und Gründe der Mission; und nicht zuletzt - reichliche Unterstützung von Außen. Sie sind es, welche den Erfolg der Mission entscheiden werden und damit das Schicksal der Missionsteilnehmer, des Judentums, Österreichs und der Welt, wenn schon nicht entscheiden, entscheidend beeinflussen. Meiner Überzeugung nach liefert das Problem „Österreichs Zukunft und das Judentum“ also überhaupt nicht das Dilemma, ob eine jüdische Mission in Österreich wieder übernommen werden soll. Dieses Dilemma wird ohne Mitwirkung der Emigration von den äußeren Umständen entschieden werden. Darum scheinen mir die Probleme zu lauten: 1) Welches sind die geeignetesten Kräfte für eine — auch national — unvermeidliche Mission? 2) Welche Ausstattung verspricht den besten Erfolg? und 3) Welches ist der Inhalt der Mission? Zu 1) Die erste Frage scheint mir einfach zu beantworten: die besten Elemente gehören auf die schwierigsten und verantwortungsvollsten Posten! Auch vom nationalen Standpunkt aus! Denn der Erfolg mag einer der Maßstäbe werden, nach welchem der, dem Judentum verständnisvoll gegenüber stehende Westen, das Judentum beurteilen wird. Die besten Elemente scheinen mir aber jene, welche Sachkenntnis, Tradition und Idealismus für die Sache mitzubringen versprechen! Wie ich noch ausführe, leisten Sie einen guten Dienst, wenn Sie vor den Schwierigkeiten und Risiken der Mission warnen! Aber Sie leisteten einen schlechten Dienst, wenn der Erfolg dieser Warnung wäre, daß sich die besten Elemente der Mission entzögen! Und übersehen Sie nicht, wie verlockend es ist, sich ihr zu entziehen! Aus Egoismus, Müdigkeit, Vorsicht! Und wie leicht es ist, daß die Mission damit in Hände geriete, in denen sie im Voraus zum Scheitern verurteilt wäre! Zu 2) In der zweiten Frage scheint mir jüdischer Nationalismus als berufener Wahrer des Volksbestandes ein gewichtiges Wort mitreden zu sollen! Ich stimme Ihnen völlig zu, daß es ein Wahnsinn wäre auf eine politische Mission, die ich als einen socialen „Kommandoraid“ bezeichnen möchte, wie auf eine „Fahrt ins Blaue“ auszuziehen! Auch mir schiene der Erfolg gefährdet, oder gar im Voraus vereitelt, wenn nicht sowohl der Remigration, als auch der Welt klar bleibt, was es bedeutet in Landstriche zurückzukehren, deren Boden vom unschuldig gemordeten Blut der Brüder getränkt ist! Zumal fast jeder unter den Opfern nahe und nächste Angehörige zu beweinen haben wird! Wenn ich in meinem Memorandum darauf hinweise, daß die österreichische Emigration unentziehbare Pflichten hat, so soll dies nicht bedeuten, daß ich die Notwendigkeit übersche, auch die Welt auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen. Im Gegenteil: gerade weil ich diese Notwendigkeit sche, scheint mir Einigkeit so wichtig! Worin ich mit Ihnen also voll übereinstimme, ist, daß den westdemokratischen Ländern, unter Einschluß des westlichen Judentums, klar gemacht wird, was es heißt, nach Mitteleuropa zurückzukehren! daß nur zwei Spielarten die Rückkehr ins Auge fassen können: kindliche Naivität; oder reifes Pflichtgefühl! daß es nicht damit getan ist, kindliche Naivität zu benützen, um unbequeme Mitbürger ins Verderben ziehen zu schen! Schon gar nicht aber, Pflichtgefühl damit zu bestrafen, daß man es im Stiche läßt! Allein Menschenpflicht wird aufgeben, die spärlichen Reste des hingemordeten kontinentalen Judentums davor zu bewahren, in ihrer Mission abermals zu scheitern! Zumal Humanität nach diesem Kriege niemand verschuldeter sein wird, als dem jüdischen Volke! Aber nicht nur Humanität wird ins Treffen zu führen sein: auch, ja in erster Linie, Interesse! Es gilt in Österreich die Mission Rathenaus zu schützen! Und zu verhindern, daß sie nicht abermals 74 ZWISCHENWELT scheitert! Nicht, um einige Märtyrer weniger sterben zu schen; sondern um der Welt die Tragödie des ungesühnten Fememordes zu ersparen, dessen Saat so furchtbar aufgegangen ist! Ich gebe Ihnen völlig recht, daß sich nicht alle Emigranten in gleicher Weise für die Rückkehr eignen! Wobei mir gleich ungeeignet scheinen, die nicht zurück können, wollen. Auch auf die Kommandoraids werden nur Freiwillige geschickt. Mit dem Opfer der Rückkehr wird also auch das Recht derer eingekauft werden müssen, die bleiben wollen. Ich stimme Ihnen völlig zu, daß ein Bedürfnis besteht, klar zu machen, daß eine österreichische Emigrationspolitik nicht mit Rückkehr oder gar bedingungsloser Rückkehr verwechselt werden darf. Nur darf man dabei die Gefahr einer Spaltung zwischen Rückkehrern und Nichtrückkehrern nicht aus dem Auge verlieren. Nur rechtzeitiges Erkennen und Überbrücken potentieller Interessensgegensätze zwischen „Hierbleibern“ und Rückkehrern kann verhindern, daß sich solche Spaltung zum Schaden beider Fraktionen auswirkt! Darf ich ein Bild gebrauchen, wie ich das Verhältnis zwischen am Kontintent überlebenden Juden, Heimkehrern und Hierbleibern sehe? Der Westen gleicht einem überfüllten Rettungsboot. Wer in dieses Rettungsboot keine weitere Aufnahme verlangt; und wer bereit ist, auszusteigen, um sein Glück im politischen Dschungel zu versuchen, entlastet das Rettungsboot und erhöht die Aussicht des Restes! Diese Bild scheint mir diese Ausdeutung nahe zu legen: Sie haben Recht, wenn Sie das Boot davor bewahren, zu kentern, bevor oder während es jene in die Wildnis zurückgebracht hat, die auszusteigen bereit sind! Aber Sie hätten völlig Unrecht, wenn Sie dem scheidenden Ballast noch Vorwürfe machten! Ja, wenn Sie nicht dabei mitwirkten, seine Dschungelexpedition so aussichtsreich wie möglich zu gestalten! Dabei verficht es nicht, ob die Scheidenden mehr vom Leitgedanken erfüllt sind, das Rettungsboot zu entlasten; oder von der Abenteuerlust, ihr Glück im Dschungel zu suchen; oder schließlich daran glauben, mehr Aussicht zu haben, ihr Leben im Dschungel als im Boot zu retten! Denn immer entlasten sie das Boot zu Gunsten der Verbleibenden, die ihr Vertrauen in dieses Boot schon dadurch dokumentieren, daß sie nicht mit aussteigen! Ohne auf Details einzugehen, will ich damit andeuten, daß mir im Falle von Interessenskonflikten, welche ich insbesondere in der Frage der Revendikation aufsteigen sehe, der Favor auf Seiten der Rückkehrer zu liegen scheint, deren Mission nicht zu gefährden, die erstes Prinzip wird bleiben müssen. Nur noch zwei Bemerkungen: Ich stimme nicht mit Ihnen überein, wenn Sie zu großes Gewicht auf „Minoritätenschutz“ legen! Mir scheint Minoritätenschutz mit einem Regenschirm vergleichbar, den man bei schönem politischen Wetter als häßlichen Ballast mitschleift und der sich bei schlechtem nicht aufspannen läßt. Denn Nationalitätsschutz basiert auf Macht. Und Macht scheint mir ein numerisch kleines, verstreut siedelndes Volk nur aus seinen geistigen Leistungen schöpfen zu können, mit welchen es sich fremde Macht besser verpflichtet, als mit einem „Fetzen Papier“. Wenden Sie mir nicht ein, daß die großen Leistungen des Judentums in der Vergangenheit ihm nicht geholfen haben! Ich müßte darauf zweierlei erwidern: die Minderheitsrechte haben ihnen noch weniger geholfen! Und soweit ihnen dennoch geholfen wurde, geschah es dank der internationalen Verzweigung der Freunde innerhalb und außerhalb des Judentums und des Gewissens der Welt! Nützt also Minoritätenschutz nichts, so vermag er dennoch den Schaden des selbstgewählten gelben Flecks zufügen. Und dies zum Schluß: meine und Ihre Einstellung scheinen mir keinen zwingenden Schluß auf die persönliche Rückkehrabsicht