OCR
volle Aktionsfreiheit wiedererlangen und habe hiefür schließlich Verständnis gefunden. Um Ihnen meine Tätigkeit in Sachen und im Interesse Österreichs zu schildern, müßte ich Bände füllen, deren ein Teil auch den politischen Verhältnissen in der österreichischen Emigration gewidmet werden müßte. Hiezu ist wohl weder Platz noch Zeit vorhanden. Ich unterlasse es aber auch, weil ich vermieden sehen möchte, mir Verdienste zu arrogieren, die mir besser von dritter Stelle zugebilligt werden sollten. Ich darf aber die Art meiner Tätigkeit umreißen, weil es zur Beurteilung meiner Zukunftspläne gehört. Sie wissen, daß ich so wenig ein „Politiker“ bin, wie es mein Vater war. Aber ich habe von ihm das Gefühl der Berufung geerbt, mich aufden Randgebieten von Jus und Politik zu betätigen. In dieser Eigenschaft habe ich hier so gut und redlich als möglich daran mitgeholfen, österreichische Auslandsorganisationen aufzubauen, Organisation zur Pflege britisch-österreichischer Beziehungen zu bilden etc. Als es in den letzten Jahren möglich war, diese Organisationen auszubauen und in den Dienst der Wiederherstellung eines freien, demokratischen Österreich zu stellen, habe ich bei der Ausnützung der sich also bietenden Möglichkeiten mit meinen jurischen und wirtschaftlichen Fachkenntnissen nach Kräften mitgeholfen. Hiebei kam meiner Arbeit zu statten, daß ich schon in meiner Studienzeit starke theoretische Neigungen hatte. Und daß mir in den ersten Jahren der Emigration möglich war, meine aufgezwungene Muße zur Auffrischung und Ausbreitung theoretischer Kenntnisse auf dem Gebiet des internationalen öffentlichen und Privatrechts zu verwenden. Eine Frucht dieser unfreiwilligen, aber deshalb nicht immer unwillkommenen Lehrzeit ist ein rechtsphilosophisches Buch „Zur Reformation des demokratischen Dogmas“. Von der Leber geschrieben, habe ich aber unterlassen, einen Verleger dafür zu suchen, weil es mir nicht richtig schien, als Emigrant und in einem Gastlande während eines Krieges rechtspolitische Ansichten zu verzapfen. Ich hoffe aber das Buch, das ohnedies in deutscher Sprache geschrieben ist, in nächster Zeit für den Druck ausfeilen zu können und es dann in Österreich zu verlegen. Meine also erworbene theoretische Fundierung half mir aber bei der sehr großen Reihe von Arbeiten, welche ich berufen war, auf verschiedenen Gebieten, die nicht einmal alle mit Österreich allein zusammenhingen, zu machen. Als Beispiele erwähne ich etwa eine Arbeit über die Reform internationaler Rechts(schieds) gerichtbarkeit; Arbeiten über die internationalrechtliche Stellung wie sie durch die Besetzung Österreichs geschaffen war; Ausarbeitung von Vorschlägen über die Wiedereinführung österreichischen Rechts u.v.a. Ob und in wie weit diese und andere Arbeiten von Einfluß auf die realen Entwicklungen waren, entzieht sich meiner Beurteilung (n.b. sie sind fast ausnahmslos für und im Namen von Organisationen abgegeben worden, wobei ich mich auch vielfach auf Mitarbeiter stützte); jedenfalls war es mir eine große Befriedigung, als die Realentwicklungen vielfach den in diesen Gutachten vertretenen oder empfohlenen Lauf nahmen; dazu gehört auch, daß ich aus den mir kürzlich hier zugänglich gewordenen Gesetzen der provisorischen Regierung mit Freude entnahm, daß sie — sogar bis in viele Details, wenn auch mit manchen Abweichungen — Wege ging, die den hier ausgearbeiteten Empfehlungen entsprachen. Meine also skizzierte Tatigkeit hat mich in erster Reihe mit der sozialistischen österreichischen Emigration in Kontakt gebracht. Das hatte nicht nur Gründe ererbter Sympathie. Nach der Lage der Dinge war sie die seriöseste politische Kraft in der hiesigen — oder 76 ZWISCHENWELT überhaupt der westlichen-österreichischen Emigration. Dies hat ja dadurch Bestätigung gefunden, daß hier eine Labourregierung zur Macht kam, bei Ihnen die Sozialdemokratie jene Partei ist, welche den Kanzler stellte. Zu den Personen, mit denen ich also regen persönlichen und sachlichen Kontakt hatte, gehörte insbesondere Dr. Oscar Pollak, der kürzlich in seine alte Stellung als Chefredakteur der Arbeiterzeitung zurückgekehrt ist. Aus diesem Grunde bat ich ihn, sich nach Maßgabe seiner zeitlichen Möglichkeiten mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Er wird auch in der Lage sein, meine Informationen, die notwendig kursorisch sind, zu ergänzen, wobei ich nicht zweifle, daß er auch meiner Arbeit gerechte Kritik angedeihen lassen wird. Zum Schlusse dieses Teiles noch einige Worte betreffend Lawyers Group’, die ich in meinem letzten Briefe erwähnte. Sie ist eine der hier entstandenen Exilorganisationen, die sich nach ihrer Zusammensetzung von andern dadurch unterscheidet, daß sie die einzige ist, die wirklich überparteilich ist. Das heißt, es ist gelungen, in ihr die Bande der Kollegialität dazu zu verwenden, die Kollegen aus allen politischen Lagern von links bis rechts zusammenzuhalten. (Natürlich ohne Teilnahme nazistischer oder faschistischer Kollegen, die es hier ohnedies nicht gab.) Bei all meiner Tätigkeit war und bin ich natürlich auch von dem Wunsche erfüllt, meinen angemessenen Beitrag zur Lösung jener Probleme zu leisten, die mit der Gutmachung des mir und meinen Schicksalsgenossen vor 7 Jahren zugefügten Unrechts zusammenhingen. In der Studygroup of Austrian Lawyers haben wir uns insbesondere mit den Fragen beschäftigt, welche unsern Stand betreffen. Darüber hinaus aber auch mit den Rechtsfragen der Restitution und Schadensgutmachung. Bevor ich zu den Zukunftssorgen und -plänen übergehe, noch diese Bemerkungen, die ich aber als persönlich, also von Person zu Person gemacht, aufzufassen bitte. Ich sche mich zu dieser Bitte besonders deshalb veranlaßt, weil ich Ihnen wahrscheinlich demnächst in amtlicher Eigenschaft als Kammerpräsident auch namens anderer emigrierter Kollegen schreiben werde. Ohne meine Worte hier also so abzuwägen, wie es sich für einen offizielleren Schritt gebühren würde, sei dies gesagt: die Emigration hat nur zum Teile Fuß gefaßt. Dies hat zahllose Gründe, die meist offenbar sind. Aus nicht minder offenbaren Gründen haben die Kollegen (worunter ich Juristen im weiteren Sinne verstehe, also insbesondere auch Richter etc.) am schwersten Fuß gefaßt, weil ihre Kenntnisse am wenigsten verpflanzbar sind; aber auch weil sie sonst wenig adaptabel sind. Die Emigration wird in drei Lager fallen: jene, welche unter keinen Umständen zurückkehren wollen; jene, welche entschlossen sind, zurückzukehren; und die wahrscheinlich numerisch stärkste Gruppe der Zweifler. In der „neuen Welt“ dürfte die Gruppe der „Nichtrückkehrer“ die stärkste sein; aber gerade in Juristenkreisen zweifle ich sogar daran! Die Motivwurzeln dieser Teilung liegen auch auf der Hand; Erziehung, Alter, Erlebnisse (eigene und naher Angehöriger) vor der Flucht und dementsprechende Ressentiments; politische Einstellung und schließlich Erlebnisse im Exil. So wie bei mir, spielen auch Familienrücksichten eine Rolle, worunter ich Rücksichten auf die Kinder verstehe (mein Bub ist 15 Jahre, mein Mäderl 8; beide können fast nur englisch). Wenn also nach Ansichten und Interessen geteilt, so sind wir doch, was man juristisch eine Zwangsgemeinschaft nennt, gebildet durch das uns gemeinsam zugefügte schwere Unrecht und Unheil. Denn ich darf dies hinzufügen: natürlich läßt sich das Los der Emigration nicht mit jenem der am Kontinent hingemordeten