heute einen Kampf, der nicht nur im Rahmen der Politik statt¬
findet. Sie führt auch einen Kampf darum, ihre Selbstachtung
zu bewahren. Man denke daran, dass diese zweite Gruppe trotz
aller Repressionen, die sie zu dem oben erwähnten Selbstschutz
zwingen sollen, daraufbesteht, weiter und ohne Angst die Simme
zu erheben. Die Bedeutung dieses Kampfes um Selbstachtung
kann nicht genug betont werden. Denn wenn die Stunde der
Dunkelheit vorüber ist, wird die Zukunft von der Selbstachtung
derer geformt werden, die dann noch aufrecht stehen.
Zurück zum Anfang- zum Widerstreit von Tezer Özlü und Kon¬
stantin Kavafis. An dem Punkt, an dem ich gerade bin, bitte ich
sie beide, kurz innezuhalten. Denn, Özlü, weder die Türkei noch
ein anderes Land gehört irgend jemandem allein. Jedes Stück
Erde, jeder Ort, der vom Leben durchflutet wird, sei es der Ozean
oder der Urwald, jede Stelle, die wir begehen oder auf die wir nie
einen Fuß setzen werden, ist zu wertvoll, um sie denjenigen zu
überlassen, die uns töten wollen. Und Kavafıs, nicht die Stadt
folgt uns auf unseren Wegen. Es sind unsere Sorgen, die Sorgen,
die uns von denjenigen unterscheiden, die uns töten wollen. Die
Sorgen, die mit uns kommen, die mit uns kommen müssen, egal
wie viele tausend Kilometer wir uns entfernen. Und genau deswe¬
gen ist der Kampf nicht so „national“, dass es möglich wäre, ihn
in die engen Grenzen der Landkarten zu zwängen, noch ist die
Hoffnung so schwach, dass man sie angesichts der gemeinsamen
Träume der Menschen leichtfertig aufgeben könnte...
So wird in diesem Streit, in all dem Wirrwarr, der uns umgibt, in
all diesem emotionalen Durcheinander, in dem wir uns befinden,
eine dritte Stimme hörbar, die die anderen beiden mit Hoffnung
und Entschlossenheit verstummen lässt:
Die Paläste und die Herrschaft zerfallen,
das Blut schweigt eines Tages,
die Grausamkeit endet.
Die Veilchen werden über uns blühen,
der Flieder wird wieder lachen.
Und das, was von heute übrig bleibt,
sind die, die in den Morgen gehen
und die, die für den Morgen kämpfen...
So, dass man wieder Gedichte schreibt,
so, dass man seine Gefühle wieder spürt.
Und das mutige Herz,
das höchste aller Bilder.
Ihr, die ihr sagt, alles sei vorbei,
die vor Angst der Depression frönen.
Weder die Blumen, die auf den Feldern kämpfen,
noch die Wut, die in den Städten heranwächst,
haben sich schon verabschiedet.
Es ist nicht vorbei, der Kampf geht weiter
und wird weitergehen,
bis die Erde das Gesicht der Liebe trägt.”
Serife Ceren Uysal ist Juristin und war von 2007 bis 2016 als
Anwältin in Istanbul tätig. Sie ist Vorstandsmitglied einer der grö߬
ten linken Anwaltsverbände des Landes, der seit November 2016
verbotenen „Progressiven Anwaltsvereinigung“ (Caöda° Hukukgular
Dernedi, CHD). Vielen Mitgliedern der CHD, meist Strafverteidiger¬
Innen, wird seit 2013 der Prozess wegen Terrorismus gemacht. Diese
Anschuldigung gründet darauf, dass sie auch Mitglieder der PKK
vor Gericht verteidigt haben.
“erife Ceren Uysal ist Trägerin des Dr. Georg Lebiszczak-Preises für
Meinungsfreiheit und Gastwissenschaftlerin am Ludwig Boltzmann
Institut für Menschenrechte. Sie hat ihren Beitrag in Wien Anfang
2017 verfasst. Die Übersetzung desselben aus dem Türkischen ist
Can Gülcü zu danken.
1 Titel eines Gedichts von Adnan Yücel, das er nach dem Militärputsch
von 1980 gescrieben hat.
2 Die Definition von „Exilant“ im Wörterbuch des Instituts für die türkische
Sprache: „Eine Person, die strafhalber gezwungen wird, sich außerhalb eines
bestimmten Ortes oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten.“
3 Es wird angenommen, dass Tezer Özlü diesen Satz als Reaktion auf die
Polizeigewalt und die zivilen, faschistischen Angriffe auf die Demonstrationen
des 1. Mai 1977 in Istanbul niedergeschrieben hat. Er ist Teil der Briefe, die
sich in ihrem Buch „Reise an den Rand des Lebens“ befinden.
4 Zitat aus dem Gedicht „Die Stadt“ von Konstantin Kavafıs.
5 Zitat aus dem Gedicht „Bis die Erde das Gesicht der Liebe trägt“ von
Adnan Yücel. Alternativ wird die Stelle auch mit „Bis die Erde zur Erde der
Liebe wird“ übersetzt.