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BERICHTE Anna Mayer-Benedek Am 8. November 2016 fand im Literaturhaus Mattersburg (es war wegen des geschlossenen Kulturzentrums im Rathaus untergebracht) eine vom Verein „70er Haus der Geschichten“ ermöglichte letzte Veranstaltung zum Theodor Kramer Preis 2016 statt. Gerhard Scheit konnte krankheitshalber leider nicht dabei sein. Er sandte eine Grußbotschaft, die Anna Benedek nach ihrem Einleitungsreferat vortrug. Danach las Stefan Horvath aus seinen Werken. Der Abend wurde von der Sängerin Joana Feroh und dem Pianisten Nikos Pogonatos musikalisch begleitet. Der ORF Burgenland berichtete im Fernsehen und Radio. Seit 2001 wird jedes Jahr der Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil verlichen. Gewürdigt werden soll mit ihm nicht allein die literarische Qualität, sondern darüber hinaus die Haltung und das Schicksal der Preistragerinnen. In diesem Jahr wurde der Preis an Gerhard Scheit und Stefan Horvath vergeben. Es handelt sich hier um zwei sehr unterschiedliche Autoren, zwei Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlicher Geschichte. Gerhard Scheit wurde am 15. Oktober 1959 in Wien geboren, wo er heute als freier Autor, Kritiker und Essayist lebt. Er ist Sohn eines Wiener Philharmonikers, ging neben dem Schulbesuch an die Hochschule fiir Musik und darstellende Kunst in Wien (Hauptfach: Violine, Posaune, Klavier). Nach der Matura begann er Iheaterwissenschaft, Deutsche Philologie, Philosophie und Politikwissenschaft an der Universitat Wien und an der FU Berlin zu studieren. Er promovierte 1986. Stefan Horvath ist 1949 geboren, wuchs in der alten, 1946 entstandenen Oberwarter Roma-Siedlung, weit vom Ortskern entfernt und zwischen Schießplatz und Deponie gelegen, auf. Die erste, seit 1857 bekundete RomaSiedlung in Oberwart war 1939 aufgelöst, ihre 360 BewohnerInnen vom NS-Regime deportiert und ermordet worden. Nur ein Dutzend Menschen hatte den Porajmos überlebt und war nach 1945 zurückgekehrt. Unter den Überlebenden befand sich Stefan Horvaths Vater. Dachau, Buchenwald, Gusen und Mauthausen waren zwischen 1939 und 1945 die Stationen seines Leidensweges gewesen. Die Mutter hatte Auschwitz und Ravensbrück überlebt. Stefan Horvath durfte als erster Rom der Siedlung die Hauptschule besuchen. Bereits vor 1939 war „Zigeunern“ der Schulbesuch verwehrt, kaum jemand in der Siedlung konnte lesen oder schreiben. Mit 15 Jahren begann Stefan Horvath mangels Zukunftsperspektiven im Burgenland als Bauarbeiter in Wien. Er brachte es zum Polier und war Betriebsrat. Später arbeitete er bis zu 86 _ ZWISCHENWELT seiner Pensionierung im Oberwarter Krankenhaus. Stefan Horvath war im 46. Lebensjahr, als in der Nacht vom 4. auf 5. Februar 1995 vier junge Männer durch eine Sprengfalle der Bajuwarischen Befreiungsarmee (Franz Fuchs agierte unter diesem Namen) in den Tod gerissen wurden. Einer der vier war sein Sohn Peter. Mit diesem traumatischen Erlebnis änderte sich sein Leben. Er stand gebrochenen vor den toten Männern und in ihm brach etwas auf, das nicht nur sein Leben beherrscht hatte — das Schweigen. Er dachte an Auschwitz, an den langen Leidensweg seines Volkes. Er dachte, jetzt kann ich nicht mehr schweigen, mit dem Verdrängen muss Schluss sein. Er fing zu schreiben an: Gedichte, Geschichten, Dokumentationen. Er brachte zu Papier, was ihm seine Eltern und andere Roma aus der Siedlung erzählt hatten. Alles, worüber so lange nicht gesprochen worden war. Plötzlich begannen die Roma mit ihm zu reden, ihm von ihrem Leid zu erzählen und verlangten von ihm, nicht wegzuschauen wie all die anderen Roma zuvor. Stefan Horvath trat aus seinem Schatten — nicht nur schreibend -, er wurde auch zum Vermittler zwischen Siedlung und Gemeinde und Land. Er initiierte Renovierungsarbeiten und setzt sich für bessere Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen ein. Schreibend und aktiv handelnd wurde er ein Vorkämpfer seiner Volksgruppe. Das erste Werk war ein Gedicht für den toten Sohn Peter, danach entstand „Ich war nicht in Auschwitz“, das 2003 erschien. Geschichten aus den Konzentrationslagern, Geschichten von Tortur, peinigender, oft tödlicher Zwangsarbeit, von Tod durch Erschießen und Vergasen, aber auch Geschichten von Widerstand und übermenschlicher Durchhaltekraft. Diese Geschichten hat Stefan Horvath Kindern vorgelesen und sie haben danach gezeichnet. Ein wunderbares Projekt, das zusammen mit Peter Wagner entstand. 2005 wurde der Einakter „Begegnung zwischen einem Engel und einem Zigeuner“ publiziert. 2007 kam das Buch „Katzenstreu“ heraus. Es handelt sich hier um die persönliche Aufarbeitung des Attentats. Es entstand nach einem Besuch bei den Eltern des Mörders Franz Fuchs nach dessen Verhaftung 1997. Es ist ein extremes, ungewöhnliches, sehr beeindruckendes Buch, das Stefan Horvath viel Kraft gekostet haben muss. Er schlüpft selbst in verschiedene Rollen und schreibt aus vier verschiedenen Perspektiven: eine Wirtshausrunde, die sich in den damals wie heute gängigen Ressentiments und fremdenfeindlichen Phrasen über die Geschehnisse in Oberwart unterhalten und die nach der Verhaftung von Franz Fuchs zerfällt. Weiters die Perspektive der Eltern von Franz Fuchs, die ihren Sohn beobachten und sich Sorgen machen, Verdacht schöpfen, aber nichts unternehmen. Die dritte Perspektive ist der Vater eines der vier Opfer, also Stefan Horvath selbst. Und die letzte ist schließlich Franz Fuchs, der Mörder. Das war das schwierigste und wohl schmerzvollste Kapitel. Das Buch schließt mit Vergebung und dem Willen zu einem Leben ohne Hass — zum Wohle des eigenen Seelenfriedens. „Katzenstreu“ wurde als Hörspiel-CD mit dem Sprecher Karl Markovics und dem Musiker und Komponisten Willi Spuller verarbeitet. 2013 erhält Stefan Horvath den „Roma-Literaturpreis des österreichischen PEN“. Im gleichen Jahr kam sein Buch „Atsinganos“ heraus. Eindringlich, lehrreich und literarisch hochwertig dokumentiert das Buch die Geschichte der drei Roma-Siedlungen in Oberwart und das Leben der Menschen dort. Erinnerungen aus den Konzentrationslagern und an die Traumata, die seit damals geblieben sind, werden erzählt. Er schreibt auch über die politischen und sozialen Entwicklungen und deren Konfliktpotential. Derzeit arbeitet er an einem neuen Buch. Stefan Horvath wurde 2004 in das Zeitzeugenprogramm des österreichischen Unterrichtsministeriums aufgenommen. Seitdem besucht er Schulen in ganz Österreich, um Jugendlichen von seiner persönlichen Geschichte und der Schicksalsgeschichte der Roma zu berichten. Gerhard Scheit schreibt keine Gedichte, keine Prosa, er verfasst kritische Essays und Bücher zu Musik, Theaterwissenschaft, Philosophie und Politik. Er befasst sich mit Gustav Mahler, Franz Grillparzer, Bertolt Brecht, Jura Soyfer, Thomas Hobbes, Immanuel Kant, Theodor W. Adorno, Jean Améry u.v.a.m. Er hat eine Unmenge ggeschrieben und ich kann hier nur auf sehr wenig davon eingehen. Mit dem Aufkommen rechtspopulistischer Parteien, Neonazi-Banden und von Attentaten aus rassistischen und antisemitischen Motiven heraus richtet Scheit seit den 1990er-Jahren seinen Fokus auf die Welt, die Gustav Mahler bedroht und Jura Soyfer und Millionen andere ermordet hat. Seine Schriften wurden eine Kampfansage an Antimoderne, Antisemitismus, Antizionismus und Rassismus. In seinen Analysen und in seiner Kritik geht er von der Marxschen Kritik der politischen Okonomie, der Kritischen Theorie und der Psychoanalyse aus. Erste Resultate hiervon sind seine Biicher „Mülltrennung“ (1998) und „Die Meister der Krise“ (2001). 9/11, der Terror gegen Juden und Jüdinnen in Israel und der ganzen Welt sowie die Suche nach den Ursprüngen dieses Terrors führten