fehlende Information und einer nicht erlernten Meinungsvielfalt
basiert, ist gefährlich. Man verzichtet offenbar gerne darauf, Grund¬
sätzliches zu klären: Über Antisemitismus sprechen, historische
Fakten darstellen, schlicht erzählen, bilden, und nicht zuletzt: vor
den Kopf stoßen.
... und „Islamophobie“ als Verschleierungsbegriff
Religion und Alltagsverstand können keine intellektuelle Ordnung
bilden. (Antonio Gramsci)
Den Begriff der Islamophobie braucht es nur dann, wenn man
beabsichtigt, Religion im „kritischen Denken“ wieder anzusiedeln
und das Diktum, dass „jede Kritik, mit der Kritik an der Religion
beginnt“, zur Seite zu wischen. Für diskriminierende soziale und
staatliche Praktiken sind die Begriffe Fremdenfeindlichkeit und
Rassismus zutreffend und völlig ausreichend. Der Islam ist nicht
inkorporiert in die „Flüchtlings-Körper“ (genauso wenig wie ich
das Christentum in meinem Zwerchfell spazieren trage), der Begriff
der Islamophobie ist eben nur die andere Seite des Rassismus: Er
zwingt— oft junge Menschen - sich als religiös definieren zu müssen,
sich als solche verteidigen und positionieren zu müssen. Es wird
ihnen vermittelt, dass das, was Religion ist, Kultur sei und Kultur
per se widerständig sein könne. Über eine solche Konzeption von
Kultur werden schlummernde Ressentiments unzugänglich. Eine
verantwortungsvolle Sozialarbeit ist säkular. Sie führt keine „stillen“
Gespräche und Gebete, sie klärt die Kategorien des Politischen und
Religiösen und trägt nicht dazu bei, sie zu verwischen. Sie benennt
Probleme ohne sich den rechten Kräften an den Hals zu werfen.
Die Marginalisierung und Diskriminierung (und Konstruktion)
einer Gruppe, sollte nicht gleichzeitig — als Gegenreaktion — zu
ihrer Ästhetisierung führen. Denn diese Asthetisierung bedingt,
vielleicht noch perfider als der allgemeine Fremdenhass, weitere
Ausschlüsse und verdeckt gleichzeitig, dass Rassismus gegenüber
Muslimen tatsächlich existiert und die Kritik von Antisemitismus
unter Flüchtlingen aus bestimmten, islamisch geprägten Ländern,
eben nicht Teil einer solchen Haltung ist. Die Kulturalisierung
des Religiösen bzw. die Sakralisierung des Kulturellen führt in die
genau andere Richtung. Sie schneidet ganze Bevölkerungsgruppen
von Aufklärung und Bildung ab und konstruiert Frontstellungen
kraft kultureller Identität. Sie verzichtet zuletzt auf ein säkulares,
politisch-ökonomisches Vokabular.
Einen Kulturbegriff als Begriff der Kritik kann es vielleicht geben;
der Kulturwissenschaftler und Sozialdemokrat Raymond Williams
glaubte einen solchen beispielsweise unter walisischen Bergarbei¬
tern als cultural materialism zu finden. Ein solcher Kulturbegriff
ist aber nur solange an Emanzipation orientiert, wie er einerseits
dem Kulturprozess als Zivilisationsprozess begreift — Gegenteil des
Kulturalismus -, andererseits auch nicht determiniert sieht, etwa
im Sinne einer Basis-Überbau-Konzeption, um das vollständig
Determinierte als Totalitat zu bejahen. „Die Schlüsselfrage an jeden
Begriff von Totalitat in der Kulturtheorie lautet nämlich: schließt er
den Begriff der Intention mit ein?“! Und genau hier liegt die Auf¬
gabe einer Sozialarbeit, die über Sozialarbeit hinausreichen würde:
Sie muss die versteckte Intentionalität eines bloß ‚dahingesagten‘
Antisemitismus aufdecken; das homogene Weltbild auflösen, das
er garantiert, und zeigen, dass sich die eigene Position zwischen
Unterdrückung und Marginalisierung nicht durch einfache Sche¬
mata und Personalisierung erklären lässt. Es ist schmerzhaft, aus
dieser wohlgeordneten Welt herauszutreten und sich mancher
Feindbilder zu entledigen. Denn was ist das Erlangen von Klarsicht
— während den Flüchtding in Europa meist die Ohnmacht über die
eigene Lebenssituation und die in seinem Herkunftsland plagt —
anderes, als auf die Spitze getriebene Einsamkeit? Es ist mehr, es
ist auch Emanzipation und im besten Fall die Wiedererlangung
von Handlungsfähigkeit und die Möglichkeit eines unverstellten
Blicks und einer Kritik des Politischen: Sukzessiver gesellschaftli¬
cher Ausschlüsse aus dem Bildungsbereich und vom Arbeitsmarkt,
prekärer Wohnverhältnisse und armutsbefördernder politischer
Maßnahmen wie die Kürzung von Sozialleistungen etc. Die Be¬
nennung solcher Missstände braucht keinen kulturell-religiösen
Identitätsbegriff und Pädagogen sollten sich hüten, einen solchen
zu befördern. Viele gehen diesen Weg der Kritik: Ein jugendlicher
Syrer, Enkelkind von palästinensischen Flüchtlingen, meinte vor
Kurzem, dass er lieber in Israel geboren wäre und man in Syrien
für ihn nichts übrig gehabt habe, und ein anderer sagte in einer
Diskussion über den sogenannten „expansiven Zionismus“ — es
ging dabei um eine wohlbekannte Landkarte, die von vielen BDS¬
Aktivisten verwendet wird, um zu zeigen, dass sich Israel immer
mehr palästinensische Gebiete einverleibe —, dass diese Landkarte
propagandistisch sei und z.B. die Kategorien von Landbesitz und
Staatsgebiet vermische. Letzterer betet übrigens ein paar Mal am Tag
in Richtung Mekka und diese Gebete sind still, aber auch privat.
1 Raymond Williams: Innovationen. Über den Prozeßcharakter
von Literatur und Kultur. Frankfurt a.M.: Syndikat 1977, 188.