und die Beseitigung des Schutts bezahlt werden. Doch dabei
bleibt es nicht. In Stara Zagora beispielsweise, einer Stadt mit
knapp 140.000 Einwohnern, wurden stabile, neu gebaute Häuser
abgerissen.
Ich frage Anton Karagyosov, wie das möglich ist, und er macht
mich mit den geschichtlichen Hintergründen für solche Abriss¬
aktionen bekannt: Vor 1989, also während der kommunistischen
Ära, waren alle Baugründe im staatlichen Besitz. Hatte man eine
notariell beglaubigte Genehmigung für den Hausbau, bekam
man auch nach der Demokratisierung 1989 keine Probleme.
Man konnte nun den Grund vom Staat kaufen. In Stolipinovo
entstand nach 1989 ein regelrechter Bauboom, und ein Großteil
der Gründe ist nach wie vor in kommunalem oder staatlichem
Besitz. 90 Prozent der Häuser stehen auf öffentlichem Grund und
sind illegal errichtet. Anton stellt nüchtern fest: Für Roma war
und ist es kaum möglich, eine Baugenehmigung zu erhalten, auch
wenn man alle erforderlichen Dokumente beibringen kann und
bereit ist, das Haus entsprechend den geltenden Bauvorschriften
zu adaptieren. Der derzeit gültige Bebauungsplan von Stolipinovo
stammt aus dem Jahr 1965. Die gesamte Bautätigkeit seit dieser
Zeit ist nicht erfasst worden. Darüber hinaus ist die Legalisierung
eine in jeder Hinsicht aufwändige, bürokratische Prozedur, die für
eine Roma-Familie kaum leistbar ist. Sie kostet alles in allem 2000
Leva (ca. 1000 Euro). Anton weist auf einen interessanten Wider¬
spruch in der städtischen Wohnpolitik hin: Obwohl die Häuser
in Stolipinovo illegal errichtet wurden, erhielten sie problemlos
ihre Anschlüsse an das Stromnetz, das Wasser- und Kanalnetz der
Stadt. Das städtische Stromnetz wird von der niederösterreichi¬
schen Stromgesellschaft EVN betrieben, und die Strompolitik
der EVN ist die: Solange die Hausbesitzer ihren Stromverbrauch
bezahlen (und Stolipinovo ist jenes Stadtviertel in Plovdiv mit der
höchsten Zahlungsmoral!), spielt die fehlende Baugenehmigung
keine Rolle. „An das ‚Cleaning‘ waren wir schon gewöhnt“, meint
Anton. Nun jedoch hat dieses „Cleaning“ eine völlig neue, für
die BewohnerInnen bedrohliche Dimension angenommen: Eine
ganze Teilsiedlung an der Banderitsa-Straße, die am Rand von
Stolipinovo liegt, soll dem Erdboden gleich gemacht werden. Im
Herbst 2016 erschien eine von der Stadt eingesetzte Kommission,
um die Häuser in dieser Siedlung zu kartographieren. Danach
kamen die Abrissbescheide der Stadtverwaltung für ca. 30 Häuser
am Ufer der Maritsa. Fünfundvierzig Familien im Stadtteil sind
aktuell durch die Abrissaktion der Stadt bedroht. Gegen diese
Bescheide kann binnen einer Frist von vierzehn Tagen Einspruch
erhoben werden. Danach wird noch eine Frist für den freiwilli¬
gen Abriss festgesetzt. Nach Verstreichen dieser Frist erfolgt der
Zwangsabriss. Nach dem Zwangsabriss werden die Kosten durch
die Kommune vom Hausbesitzer zurückgefordert — notfalls mit
Gerichtsvollzieher.
Anton und sein Sohn Asen führen uns zu der Siedlung an der
Banderitsa Straße. Wir gehen an der gemauerten Baracke vorbei,
die das Gotteshaus der evangelikalen Gemeinde ist. Sie ist neu
gestrichen und hebt sich durch ihr gepflegtes Aussehen von den
sie umgebenden, desolaten Häusern ab. 200 Meter weiter in
Richtung des Ufergeländes der Maritsa beginnt die Siedlung:
eine Ansammlung gemauerter Bauten, oft kleiner als eine Garage.
Jedoch, es sind keine Hütten, keine Baracken wie im Zentrum
von Stolipinovo. Die Siedlung zeugt von dem Wunsch, es besser
zu haben, einen neuen Wohnstandard zu erreichen. Bald sind wir
von einer Gruppe von Menschen umringt: sechs, sieben meist
junge Leute, deren Neugier wir geweckt haben. Fremde kommen
selten hierher. Nachdem die Versuche, uns auf Türkisch, Bulga¬
tisch oder Englisch zu verständigen, gescheitert sind, spricht uns
ein Mann auf Deutsch an. Er hat mehrere Jahre in Deutschland
gearbeitet. Und er bestätigt uns: Sie alle hier verstehen nicht,
warum sie plötzlich aus ihren Häusern wegmüssen. Mitten im
Winter. Eine junge Frau erzählt: In ihrem Haus lebt sie mit vier
kleinen Kindern. Nun muss sie weg. Dabei hat sie das Haus
selber gebaut, mit ihrem Geld, mit ihren Händen. Eine andere,
so übersetzt der Mann, hat kranke Eltern zuhause. Überhaupt,
meint er, viele alte Leute hier sind krank, bettlägerig. Die können
gar nicht mehr gehen. „Wo sollen wir hin mit ihnen? Es ist so
kalt wie schon viele Winter nicht mehr!“ Eine Frau, deren Haus
gleich nebenan ist, lädt uns zu sich ein. Wir schütteln verlegen
den Kopf. „Nein, nein. Wir wollen keine Umstände machen.“
Doch sie besteht darauf. Ein kleines, gemauertes Häuschen mit
einem Eingangsbereich: ungeheizt, Betonboden. Dahinter, mit
einem Vorhang abgetrennt, der geheizte Wohnbereich. Dort liegt
eine alte Frau im einzigen Bett, das im Raum steht. Ihre Mutter,
sagt die Frau, die uns eingeladen hat. Sie sei bettlägerig, schon
seit einem halben Jahr. Außerdem lebt sie hier mit ihren drei
Kindern. Ich frage mich, wie fünf Menschen in diesem winzigen
Zimmer miteinander auskommen können. Das Bewusstsein,
Rechte zu haben, und das Wissen über die eigenen Rechte ist bei
den BewohnerInnen von Stolipinovo äußerst gering ausgeprägt.
Wir fragen die Menschen, ob sie wissen, dass sie Einspruch erheben
können gegen die Bescheide und ob sie’s schon getan haben. Sie
zucken mit den Achseln und schütteln die Köpfe. Unser Dolmet¬
scher meint: „Sie wissen es nicht. Und wenn sie’s wiissten: es nützt
ja doch nichts!“ Dazu kommt, dass es kaum Möglichkeiten gibt,
direkt gegen die Bescheide vorzugehen, meinte der Rechtsanwalt
der Roma-Stiftung Todor Dimov im Gespräch, das wir zuvor mit
ihm geführt hatten. Man bräuchte einen Rechtsanwalt, den sich
hier kaum jemand leisten könne. Und: Der Einspruch erwirke
einen geringen zeitlichen Aufschub bis zum endgültigen Abriss
der Häuser, nicht mehr. Er würde kaum zu einer Aufhebung der
Bescheide führen. Deshalb werde dieses Einspruchsrecht auch
von niemandem in Anspruch genommen.
Wir verabschieden uns von unseren GesprächspartnerInnen. Von
Schekir Tener Süleyman werden wir weiter durch die Siedlung
geführt. Schekir ist zu einem informellen Sprecher geworden für
die Menschen, die hier wohnen. Er hat mit dem Bezirksbürger¬
meister gesprochen, mit ihm verhandelt. Aber: „Da war nichts
zu machen“, sagt er. Auch er zeigt uns sein Haus. Er ist stolz
darauf. Denn er und seine Familie, sie haben es mit ihren eigenen
Händen gebaut. Sein Haus ist größer als viele andere. Es hat vier
Zimmer. Darin wohnen seine Frau, vier Kinder und er. Zwei der
Kinder sind volljährig, zwei sind noch klein. Das Haus wurde mit
Betonsäulen und modernen Ziegeln errichtet. Zusätzlich hat es
einen Hof von ca. 20 qm. „Ich lebe seit 22 Jahren in diesem Haus,
und auf einmal kommen unsere Behörden auf die Idee, dass sie
uns das Haus abreißen. Nach 22 Jahren... Und das alles, ohne
mir ein anderes Zuhause anzubieten!“ Dieser Grund ist kom¬
munales Land. Natürlich. Das wissen alle hier. Schekir hat den
Bürgermeister des Stadtbezirks gefragt, was sie nun machen sollen:
„Ihr sagt uns nicht, was los ist. Warum muss das Haus plötzlich
abgerissen werden? Warum haben die anderen Bürgermeister